Was in unserem Nachbarland im Vorfeld der Präsidentenwahl abläuft, ist eine Selbstzerstörung der Demokratie durch die staatstragenden Parteien der Sozialisten und der Republikaner – unfreiwillige, aber konsequente Steigbügelhalter des rechtsextremen Front National von Marine Le Pen und ihrem Clan.
Bei den blutarmen Sozialisten hat der nicht ganz freiwillige Verzicht von Präsident Hollande auf eine zweite Kandidatur eine Kür von seriösen oder bloss lustigen Kandidaten für die parteiinternen Primärwahlen in Gang gesetzt. Der vorletzte Premierminister von Hollande, Manuel Valls, hat sie verloren, weil er für Hollande bezahlen musste. Der kaum gereifte Jungsozialist Hamon hat gewonnen, weil er, obwohl Minister unter Hollande, sich gegen ihn in Front brachte. Er verwechselt den nationalen Wahlkampf noch mit der Vorbereitung eines sozialistischen Parteitags und seinen Flügelkämpfen.
Der ehemalige Bankier und Minister unter Hollande, Emmanuel Macron, schuf seine Mikropartei „En Marche“ (man beachte die Initialen). Sie ist mit grossem Erfolg und vielen Spenden aus seinem Milieu zu einem politischen „Start-up“ geworden. Ein politisches „Wellness“-Programm wurde nachgeliefert. Inzwischen rechnen Beobachter damit, dass Macron und Le Pen in die Stichwahl kommen.
Allein die Republikaner von Altpräsident Sarkozy hätten eine solche Konstellation verhindern können, wenn sie wirklich „republikanisch“ wären. Ihre Primärwahlen haben Sarkozy brutal ausgeschaltet und seinen faden Premierminister Fillon aufs Podium gehoben. Sein Wahlsieg im Mai schien sicher, denn ein Lagerwechsel („alternance“) nach Hollande war dank Hamon nahezu garantiert. Die Affäre um die Beschäftigung seiner Ehefrau und seiner Kinder hat den einst ehrbaren, konservativen und gläubigen Republikaner Fillon total ins Abseits katapultiert. Fillon attackierte daraufhin die Justiz, drosch auf die Presse ein, sprach von einem „politischen Mord“ und von „bürgerkriegsähnlichen“ Zuständen in Frankreich: Gerade so, wie es die Familie Le Pen zu tun pflegt.
Fillon wurde jetzt von seiner Partei als Kandidat bestätigt, die Abtrünnigen kehren zurück, um nicht in den kommenden Parlamentswahlen abgehängt zu werden. Die Wähler sind nicht am juristischen Problem von Fillon interessiert, sondern am moralischen, und sind wütend – erstmals auch ältere, distinguierte Damen, die nie sozialistisch wählen würden. Auch junge Wähler sind frustriert. Das kommt dem Front National zugute. Andere wählen Stimmenthaltung. So wird die Demokratie demontiert.