Eine demokratische Wahl war es nicht. Erdogan hat im Vorfeld mit Hilfe des zur Normalität gemachten Ausnahmezustands, der Zerschlagung der Gewaltenteilung und der Domestizierung der Medien dafür gesorgt, dass die freie Meinungsbildung massiv eingeschränkt war. So konnte er den misslungenen Putsch, den Kurdenkonflikt und sogar die Wirtschaftskrise propagandistisch zu seinen Gunsten ausschlachten. Dass auch die Wahl selbst rechtsstaatlich-demokratischen Standards nicht entsprach, dürfte das Ergebnis zusätzlich verfälscht haben. Auf eine unabhängige Aufklärung der Vorfälle kann man nicht hoffen. Aber es kann durchaus sein, dass Erdogan dank der zuvor geschaffenen Bedingungen die Wahl sogar ohne Übergriffe und Betrügereien gewonnen hätte.
Die Türkei hat an diesem Schicksalssonntag definitiv ins Lager der von „Starken Männern“ autoritär geführten Länder gewechselt. Erdogan hat schon vor längerem erklärt, Demokratie sei für ihn nur ein Mittel zur Verfolgung seines politischen Ziels, nämlich die Türkei und die Türken gross und stolz zu machen. Das schliesst ausdrücklich die im Ausland – vielfach als Doppelbürger – lebenden Türken mit ein, denen er bei einem Auftritt in Deutschland einschärfte, Assimilation an die neue Heimat sei „ein Verbrechen“. – Eine Mässigung des Sultans wird man auch in dieser Hinsicht nicht erwarten dürfen.
Einzelne westliche Kommentatoren hoffen für die Zukunft der Türkei auf die korrigierende Einwirkung des Realitätsprinzips, das sich in Form wachsender wirtschaftlicher Schwierigkeiten irgendwann Nachachtung verschaffen werde. Die Beispiele Russlands oder – extremer noch – Venezuelas müssten gegenüber solchen Hoffnungen zur Vorsicht mahnen. Hat die Führerfigur ihre Macht einmal etabliert, so schiebt sie die Verantwortung für wirtschaftliche Kalamitäten auf äussere, allenfalls auch innere Feinde und begründet damit eine noch härtere politische Gangart.
Erdogan will lange an der Macht bleiben. Er wird jedenfalls nicht davor zurückschrecken, alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um sich an der Spitze zu halten. Bisher nutzte er als Mittel das, was er unter Demokratie versteht. Wenn ein anderes ihm besser passt, wird er es nicht verschmähen.