Unter den rund tausend Teilnehmern dieser zweitägigen Veranstaltung finden sich neben jenen aus der Schweiz auch zahlreiche weitere global Mächtige aus Politik, Wirtschaft und Finanz, den Medien und der akademischen Welt, aber auch rund 200 Studenten aus über 50 Ländern. Das 43. Symposium stand Anfang Mai dieses Jahr unter dem Motto „Mut soll sich auszahlen“ (rewarding courage).
Studentische Organisatoren
Die drei Schweizer unter den 500 "most powerful people on the planet" sind IKRK Präsident Peter Maurer, UBS Chef Sergio Ermotti, beide als Referenten am diesjährigen Symposium, sowie der abtretende Chef der ‚Shell‘ Peter Voser, welcher nächstes Jahr den Vorsitz des Symposiums von Joe Ackermann, bislang Chef der Deutschen Bank und nun Präsident der ‚Zürich‘, übernehmen wird.
Dieser Vorsitz ist im Gegensatz zu ‚Davos‘ allerdings rein ehrenhalber. Konzipiert und organisiert wird das Symposium von einem Komitee von rund 30 jungen und sehr jungen Studenten, mit einer Ausnahme alle noch vor ihrem ersten Uniexamen, das sich jedes Jahr wieder neu bildet, da seine Mitglieder jeweils ein Studienjahr opfern. Unterstützt wird das Komitee dabei durch ein ständiges, aber kleines Sekretariat unter der dynamischen Leitung des, ebenfalls jungen Philip Erzinger. Betreut, bewirtet, chauffiert und anderweitig umsorgt werden die Symposiumsteilnehmer ausnahmslos von buchstäblich Hunderten von weiteren Studenten der Uni, welche während den zwei Tagen rund um die Uhr zur Verfügung stehen.
Das richtige ‚Davos‘ und das Symposium St. Gallen verhalten sich also zueinander wie die traditionelle Physik zur Quantenphysik. Jedem geläufig, beherrschend , mächtig, teuer und um einen Professor kreisend das WEF. Klein, auch mit Unbekannten und Unbekanntem behaftet, aber die Besten und Jüngsten in seinen Bann schlagend das Ostschweizer Pendant, welches bewusst nicht dem ‚Institution building‘ frönt sondern sich jedes Jahr neu erfindet.
Aufgerüttelte „Masters of the Universe“
Diese lange Einleitung und Unterscheidung dient auch zur Erklärung, wie es am diesjährigen Symposium geschehen konnte, dass ein Panel von global mächtigen Bankern - die HSBC (mit Hauptquartier in London und Hongkong), eben die UBS und die CS waren darin auf höchster Ebene vertreten und standen unter der Gesprächsleitung eines konventionell daherkommenden Kolumnisten der wichtigsten Wirtschaftszeitunge der Welt („Financial Times“) - eher belanglos plätscherte, bis die ‚Masters of the Universe‘ von der Frage eines Studenten aufgerüttelt wurden.
Ob sie sich nicht im Klaren seien, dass Bankers weltweit jeglichen Vertrauensbonus bei ihren Kunden, aber auch bei Politikern, Medien und dem breiten Publikum verloren hätten und was sie nun zu tun gedächten? Nur einer wusste einigermassen adäquat zu antworten und er sagte dies in der Konferenzsprache Englisch ohne Akzent.
Bemerkenswertes Indonesien
Zum Abschluss des St. Gallen Symposiums laden die Studenten jeweils zu einem ‚International Buffet‘ ein, was mir wiederum einen schönen Vergleich erlaubt. Dieses Buffet ist jeweils so reichhaltig, dass auch ein hungriger Tagungsteilnehmer kaum mehr als zwei Essenshalte bei den zahlreichen Ständen mit jeweils nationalen Spezialitäten unterbringt. So sei mir erlaubt, unter den zahlreichen, zu einem guten Teil auch parallel laufenden Präsentationen und Diskussionen des Symposiums, fast alle - das erwähnte Bankengespräch war eindeutig eine Ausnahme - hochinteressant, zwei speziell heraus zu greifen.
Das ‚Gastland‘ des Symposiums war dieses Jahr Indonesien. Geführt von seinem jungen und smarten Handelsminister Gita Wirjawan präsentierte sich ‚Remarkable Indonesia‘ als das Zukunftsland von Südostasien, ja des gesamten Grossraums Asien-Pazifik. Dahinter steckt tatsächlich einige Substanz. Eindrückliche Zahlen, aber auch das Urteil zahlreicher, nicht-indonesischer Experten und Wirtschaftsführer am Symposium, stimmen zuversichtlich für den weitaus grössten und bevölkerungsreichsten (240 Millionen) islamischen Staat der Welt. Rasches Wirtschaftswachstum hat viele, indes längst nicht alle, Indonesier aus der absoluten Armmutszone und Richtung Mittelstand geführt.
Das wiederum, zusammen mit einer nach wie vor geltenden Laizismusregel als Staatsgrundlage (Pancasila), hat bislang verhütet, dass die in anderen islamischen Ländern wütende Geissel des religiösen Fanatismus‘ in Indonesien wirklich hat Fuss fassen können. Der anlässlich der bevorstehenden Präsidentenwahl sich abzeichnende Machtwechsel in Djakarta wird sich aller Voraussicht nach geordnet gestalten; ein erstes Mal seit der Unabhängigkeit von Holland kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges.
Dunklere und kontroversere Punkte dieser raschen Entwicklung , wie Korruption, mangelnde Toleranz im Umgang mit Minderheiten (Stichwort Westpapua), sich rasch öffnende Reichtumsschere, Vernachlässigung der Umwelt, Rohstoffnationalismus und andere wurden von den indonesischen Vertretern durchaus angesprochen und entgegengenommen, wiewohl teilweise kursorisch abgehandelt. Insgesamt ist aber Minister Wirjawan beizustimmen, welcher mehrmals betonte, dass sich sein Land der Gefahr des ‚overselling‘, der zu rosigen Darstellung der wirklichen Verhältnisse durchaus bewusst sei.
Chinesische Weisswäscherei
Dies konnte von der Mehrheit jener, welche offiziel oder inoffiziell (Studenten) am Symposium China vertraten leider nicht gesagt werden. FU Ying, Präsidentin der aussenpolitischen Kommission des Parlaments, vermochte durch warme und persönlich gefärbte Schilderungen (‚ich gehöre selbst der mongolischen Minderheit in China an‘) ihr Publikum zunächst einzunehmen. Auf eine mit jugendlicher Unbekümmertheit aber durchaus höflich vorgetragene Frage eines Studenten zu Tibet verlor sie dann aber zunächst ihre Fassung ,um anschliessend in Lobeshymmen auszubrechen sowohl was das Zusammenleben zwischen der Mehrheit der Han-Chinesen und der tibetischen Minderheit anbelangt als auch allgemein zur generellen Friedfertigkeit aller Chinesen, die nichts als Weltfrieden und -Wohlstand anstreben würden.
Professor YAO Yang, nach einer Ausbildung in den USA seit Jahren an der Peking University in Beijing tätig, räumte in seiner Darstellung der chinesischen Wirtschaft wohl einige Probleme (Umwelt, Korruption, Ungleichheiten) ein, tat dies aber routinemässig ohne sich von seiner offensichtlich längst eingeübten Linie abzubringen, China sei ein einmaliges Weltwirtschaftswunder und werde dies auch bleiben. Erstaunlich für diesen Berichterstatter ist nicht so sehr dies, sondern vielmehr wie sehr diese Weisswascherei von westlichen Geschäftsleuten unbedarft übernommen wird, wobei der (Exportwunsch)Wunsch hier wohl Vater des Gedanken ist.
Keine Finanzkrise mit mehr Frauen als Bankenbosse?
Drei wirklich mutige Persönlichkeiten hatten in St. Gallen eindrückliche Auftritte. Da war der Stadtpräsident der somalischen Hauptstadt Mogadischu, Mohamoud Ahmed Nur, welcher sich vorsorglich noch jeden Morgen von seiner Familie verabschiedet als wäre es auf immer. Ebenfalls in Lebensgefahr, zumindest für eine Weile, schwebte der britische Geschäftsmann Michael C. Woodford, welcher als CEO der japanischen Olympus Corp. illegale Zahlungen des eigenen Verwaltungsrates publik machte, welche letztlich einem Verbrechersyndikat zuflosssen, womit er auf die Todesliste der Yakuza, der japanischen Mafia, geriet.
Star der gesamten Veranstaltung war aber eindeutig Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds und früher erste weibliche Finanzministerin Frankreichs. Noch in ihrem ursprünglichen Beruf als leitende Partnerin der weltgrössten Anwaltsfirma Baker McKenzie war sie vor Jahren als eine der Tagungspräsidenten zum Symposium gestossen und hat diesem seither die Treue gehalten. Ihr Mut, das männliche Monopol in ihren verschiedenen beruflichen Stationen gebrochen zu haben, liegt auf einer anderen Ebene.
Im Gegensatz zu einer Maggie Thatcher, ja sogar zu Hillary Clinton, vertritt sie auch nach ihrem Aufstieg weiter und dezidiert den Standpunkt, dass die Welt unter zunehmend weiblicher Leitung eine bessere wäre. Ihre charmant vorgetragenen aber klaren Bemerkungen, dass ‚die grosse Finanzkrise nicht stattgefunden hätte, wären mehr Frauen an der Spitze der globalen Banken gestanden‘ und die an höchste japanische Industrievertreter am Symposium gerichtetet Mahnung, endlich mehr Frauen in ihre männerbündlerische Wirtschaft aufzunehmen, stiessen mindestens bei der jüngeren Zuhörerschaft auf begeisterten Applaus.
Dieser ist nun die Aufgabe übertragen, höchstpersönlich und auch in den zahlreichen ‚kleinen‘ Entscheidungen ihres künftigen Berufslebens Mut zu anderen und ungewöhnlichen Entscheiden zu finden. An Beispielen dafür hat es am 43. St. Gallen Symposium nicht gemangelt.