„Hat Trump die Kurden betrogen, weil er
a) Geschäftsinteressen in der Türkei hat?
b) Erdogan, ein brutaler Autokrat, sein Typ von Buddy ist?
c) oder weil sein Boss Vladimir Putin ihm dazu geraten hat?“
So fragte der US-Ökonom Paul Krugman neulich in der New York Times und kam zu dem Schluss: „Bemerkenswert, dass alle drei Annahmen absolut plausibel sind.“
„Die wahrscheinlichste Erklärung erwähnte Krugman allerdings nicht“, kommentierte die Internetzeitschrift The Intercept:
„d) Trump ist Präsident der Vereinigten Staaten. Nichts in seiner Welt ist sicher ausser Tod, Steuern und Amerika, das die Kurden verrät.“ Und tatsächlich haben die USA die Kurden in den letzten hundert Jahren mindestens achtmal verraten. Den Anfang aber machte Grossbritannien.
Keine Chance auf Unabhängigkeit
Die rund vierzig Millionen Kurden leben im Grenzgebiet der vier Staaten Türkei, Syrien, Irak und Iran und sehnen sich mindestens seit dem späten 19. Jahrhundert nach einem eigenen Staat. Damals gehörte das Kurdengebiet zum Osmanischen Reich der Türken. Als sich am Ende des Ersten Weltkriegs herausstellte, dass der Sultan in Kostantinopel auf die falsche Karte gesetzt hatte und sich auf der Verliererseite befand, witterten die Kurden ihre Chance auf Unabhängigkeit. Und tatsächlich war im Vertrag von Sèvres (1920), mit dem das Osmanische Reich aufgelöst und aufgeteilt wurde, ein Teil des ehemaligen Gebiets für einen Kurdenstaat vorgesehen. Doch die Türken wehrten sich im sogenannten Türkischen Befreiungskrieg erfolgreich gegen das Siegerdiktat.
Im 1923 geschlossenen Vertrag von Lausanne erhielt Frankreich zwar Syrien und England den Irak, die Kurden aber gingen wieder leer aus. Zwar hatten die Kurden 1922 im Norden des Irak ein eigenes Königreich von Kurdistan errichtet, das allerdings international nicht anerkannt und sehr schnell von Grossbritannien zerschlagen wurde (1924). Nach diversen Rebellionen unter den Kurden im Südosten der Türkei erklärten sie 1927 ihre Kurdische Republik von Ararat. Mit der Genehmigung Grossbritanniens aber elimierten türkische Truppen im September 1930 auch diesen Versuch der Kurden, einen eigenen Staat zu gründen.
1. Verrat
Nach dem Zweiten Weltkrieg riefen die Kurden mit der Unterstützung der Sowjetunion am 15. Dezember 1945 im Iran die Republik von Mahabad aus. Doch nach dem Rückzug der sowjetischen Armee wurde die Republik am 16. Dezember 1946 von iranischen Truppen zurückerobert. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs übernahmen die USA schliesslich die Rolle Grossbritanniens im Vorderen Orient.
1958 benutzten die USA die Kurden zum ersten Mal als ihre Verbündeten. Zu Zeiten des Kalten Krieges beobachteten die USA neutrale Staaten stets mit grossem Misstrauen. Also fürchtete CIA-Direktor Allen Dulles sofort eine „völlig kommunistische Machtübernahme“, als der neutralistische General Abdul Karim Qassem im Juli 1958 die Monarchie im Irak stürzte. Mit der Unterstützung der oppositionellen Kurden versuchten die USA, den General loszuwerden, was ihnen mit Hilfe der Baath-Partei schliesslich auch gelang. (Damit begann auch der unaufhaltsame Aufstieg des Saddam Hussein.) Kaum war die Baath-Partei an der Macht, stellten die USA ihre Unterstützung für die Kurden ein und begannen, dem neuen Regime Napalm zu liefern, das es bei Angriffen im irakischen Kurdengebiet auch gleich einsetzte.
2. Verrat
Nur wenige Jahre später, 1964, unterstützten Einheiten der US Special Forces (Green Berets) unter Führung des Air-Force-Generals Richard Secord, der zuvor schon im geheimen Krieg in Laos und in Vietnam 285 Kampfeinsätze geflogen hatte und in den achtziger Jahren in den sogenannten Iran-Contra-Skandal verwickelt sein sollte, eine geheime Operation der Streitkräfte Schah Reza Pahlevis gegen die Kurden im Nordwesten des Landes. „Von Januar bis Mai 1964 und erneut von Januar bis März 1965 war General Richard Secord zeitweilig für gemeinsame Operationen (mit den iranischen Streitkräften) in den Iran abkommandiert“, notiert die U. S. Air Force auf ihrer Webseite.
In seiner Autobiographie wurde Secord deutlicher. Er sei einer von vielen gewesen, denen in West Point „eine Killermentalität“ beigebracht wurde, beschrieb er sich dort. Und die „gemeinsamen Operationen“ war „nur einer von vielen geheimen Kriegen, in denen er kämpfte“, jener, den er „1964 im Auftrag des Schah-Regimes in Iran gegen die kurdische Bevölkerung kämpfte“.
3. Verrat
Zu Beginn der siebziger Jahre sah sich der Schah erneut veranlasst, zur Bekämpfung der Kurden in seinem Land amerikanische Special Forces zu rufen, während er mit Hunderten Millionen Dollar die Kurden des Irak in ihrem Unabhängigkeitskampf unterstützte. Israelische Soldaten operierten schon seit 1965 im irakischen Kurdengebiet. Und in Washington hatte US-Sicherheitsberater Henry Kissinger ein Büro eingerichtet, von dem er diesen geheimen Krieg leitete. Waffen und Munition im Wert von 16 Millionen Dollar lieferten die USA dem irakischen Kurdenführer Mustafa Barzani, der im Laufe seiner Karriere Geld von jedem nahm, vom russischen KGB, dem israelischen Mossad, dem britischen MI6 oder dem iranischen Savak, und der Kurdistan gerne zum 51. US-Bundesstaat gemacht hätte.
Als der Irak und Iran auf dem OPEC-Gipfel in Algerien (März 1975) ihre Differenzen beilegen konnten, stoppten der Schah und die USA alle weiteren Waffenlieferungen an die Kurden. Sofort begannen irakische Truppen die grösste Offensive gegen die Kurden. Überrascht und verzweifelt appellierten die Kurden an die CIA und US-Aussenminister Henry Kissinger. Sie erhielten keine Antwort.
Die irakischen Kurden waren das Bauernopfer in einem Grenzdisput zwischen Bagdad und Teheran geworden. 200’000 von ihnen flohen in den Iran, wo sie weder vom Schah noch von den USA humanitäre Hilfe erhielten. „Tatsächlich repatriierte der Iran später über 40’000 Flüchtlinge, und die US-Regierung lehnte es ab, auch nur einen Flüchtling als politischen Asylanten in die Vereinigten Staaten zu lassen, obwohl sie die Bedingungen dafür erfüllten“, kritisierte eine Parlamentskommission in ihrem Bericht über CIA-Aktivitäten (Pike-Report, 1976). Befragt über die US-Rolle in diesem Drama, antwortete Kissinger dem Pike-Komitee: „Verdeckte Aktionen sollten nicht mit Missionsarbeit verwechselt werden.“
4. Verrat
Während des Iran-Irak-Krieges lieferten die USA über eine CIA-Firma in Chile, Cradoen, nicht nur Streubomben, sondern zur Herstellung von chemischen Kampfstoffen geeignete Pestizide, biologische Kampfstoffe wie Anthrax und unterrichteten die Iraker in der Anwendung von Nervengas (Tabun). Prompt setzte Saddam Hussein seine chemischen Waffen sowohl gegen die iranischen Gegenangriffe als auch gegen die Kurden ein, wobei alleine in der Kurdenstadt Halabdscha zwischen 3’200 und 5’000 Menschen starben.
5. Verrat
1991, nachdem US-Verbände Bagdad bombardiert und Saddam Husseins Truppen aus Kuweit vertrieben hatten, rief US-Präsident George H. W. Bush das irakische Volk und Militär auf, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und Hussein aus dem Amt zu jagen. Daraufhin versuchten die sogenannten Marsch-Araber in den Sümpfen des einstigen Sumer im Süden und die Kurden im Norden den Aufstand. Doch die erwartete Hilfe aus den USA blieb aus und Saddam konnte tödliche Rache an den Rebellen nehmen und die Marschlandschaft austrocknen.
6. Verrat
In den neunziger Jahren der Clinton-Regierung in Washington galt wieder einmal FD Roosevelts klassischer Satz: „Ich weiss, dass er ein Bastard ist, aber er ist unser Bastard.“ Mit der Besetzung Kuweits war Saddam Hussein vom grosszügig mit Waffen versorgten Darling zum Teil der viel beschworenen „evil axis“ geworden. Die im Irak verfolgten Kurden waren also gute Kurden, während ihre Brüder und Schwestern ein paar Meilen nördlich, die mit ihrem Streben nach Unabhängigkeit schon seit Jahren den Verbündeten, die Türkei, ärgerten, die bösen Kurden waren. Und alle westlichen Regierungen folgten Ankaras Verlangen brav und verurteilten diese Kurden als „Terroristen“. So wie sie die libanesische Hizbollah eine teroristische Gruppe nannten und die türkische Hizbollah zu den Guten zählten.
Bis heute ist ungeklärt, wieviele Menschen in jenen Jahren den schon damals oft grenzüberschreitenden Offensiven der türkischen Militärs und verbündeten ultrarechten Terrorgruppen, den aussergerichtlichen Hinrichtungen, Fememorden, Entführungen zum Opfer gefallen sind. Nach Angaben der türkischen Presse wurden in den neunziger Jahren 6’153 Siedlungen und 1’779 Dörfer zerstört oder zwangsgeräumt und eine Million Menschen „aus Sicherheitsgründen“ umgesiedelt. Und so wie derzeit in Syrien, so richtete die Türkei bereits 1996 an ihrer Grenze zum Irak eine zwanzig Kilometer breite, 350 Kilometer lange ständige Sicherheitszone ein. Nach arabischen Protesten erklärten die Türken die Sicherheitszone einfach zu einer vorläufigen Sicherheitszone.
7. Verrat
Im grössten Angriff seit der US-Invasion 2003 griff die Türkei nur wenige Tage vor Weihnachten 2007 mit über fünfzig Kampfjets und schwerer Artillerie bis zu sechzig Kilometer tief auf irakischem Gebiet angebliche Stützpunkte der kurdischen PKK im Irak an. Wieder waren Hunderte Familien auf der Flucht – in einer Region, die bis dahin als die friedlichste im ganzen Land galt. Ministerpräsident Recep Tayyib Erdogan sprach anschliessend von einem Erfolg und kündigte weitere Militäraktionen an. Der Oberkommandierende der türkischen Verbände erklärte, zuvor die Genehmigung der Vereinigten Staaten für die Luftangriffe eingeholt zu haben: „Amerika öffnete uns den irakischen Luftraum.“ Damit „gab Amerika seine Zustimmung zu der Operation”.
Auf offizieller amerikanischer Seite hiess es, man habe keine Entscheidung genehmigt. „Es liegt nicht an uns, etwas zu genehmigen. Wir waren aber im vornhinein darüber informiert.“ Und auf einem Treffen in Washington erklärte George W. Bush gegenüber Erdogan, er habe keine Einwände gegen „begrenzte grenzüberschreitende Militärschläge“ und versprach, US-Informationen über Bewegungen der kurdischen Rebellen mit der Türkei zu teilen. Mit etwa 10’000 Soldaten unternahm die türkische Armee 2008 ihre 25. Offensive seit 1983 gegen die Kurden im Nordirak.
8. Verrat
Und nun machte sich Präsident Donald Trump zum Erfüllungsgehilfen der Türkei, zog amerikanische Truppen aus dem nördlichen Syrien zurück, um Erdogan freie Hand in seinem Kampf gegen die Kurden zu lassen. Den Kurden riet er einfach, sich ebenfalls aus dem umkämpften Grenzgebiet zur Türkei, also aus ihrem traditionellen Siedlungsgebiet zurückzuziehen. Mehr wollte Recep Erdogan auch gar nicht.