Die schweizerische „Sonntagszeitung“ hat sich an diesem Wochenende dem Thema des „umweltschonenden Reisens“ gewidmet. In den ersten drei Tipps von insgesamt neun für „grünes Reisen“ geht es, was kaum überraschen kann, gegen die Umweltschädigung durch das Fliegen. Die ist, wie jeder weiss, hoch. Aber was folgt daraus?
Am besten sind natürlich alle diejenigen dran, die auf jeden Flug verzichten. Für die meisten der Leser der Sonntagszeitung ist das nicht unbedingt eine Option, und so gibt es eine Skalierung: Bis 800 Kilometer gar nicht fliegen und sich dem Genuss des Bahnfahrens widmen und bei entfernteren Destinationen um Himmels Willen nicht umsteigen, sondern Direktflüge buchen. Denn damit würden 33 Prozent der Emissionen eingespart. Das reicht aber noch nicht:
Wer es denn nun überhaupt nicht lassen kann, Fernflüge zu buchen, solle sich an folgende Regel halten: Wer etwa 800 Kilometer weit fliegt, solle am Zielort mindestens eine Woche verbringen, wer noch mehr Flugkilometer in Anspruch nimmt, mindestens zwei Wochen und mehr. Andere empfehlen pro Flugstunde eine Woche Ferien – wohlgemerkt, nicht für die Stewardessen und Piloten, sondern für die Passagiere.
Wer weit fliegt, sollte es sich also mindestens drei Wochen lang in den Strandkörben und in den Liegen nahe der Hotelpools und ihren Bars bequem machen: Das wird die Umwelt retten. Allerdings, so vergessen es die Autoren der Sonntagszeitung nicht zu kritisieren, sind Luxushotels zu meiden. Denn die vergeuden wertvolle Energie mit dem Heizen der Schwimmbäder und Spa-Bereiche. Also gehen wir da nicht hin, aber heizen die deswegen weniger?
Am schonendsten wäre es also, man würde nirgendwohin fliegen oder irgendwo buchstäblich stranden. An besten in einer unschuldigen Natur, noch ohne negative Energiebilanz. Wir kennen das von der Serie „Lost“. Ein Flugzeug stürzt irgendwo auf einer Südseeinsel ab, und plötzlich gibt es jede Menge Zeit und jede Menge Geheimnisse für die zahlreichen Überlebenden. Das rechne man mal auf den Kerosinverbrauch und den CO₂-Ausstoss pro Person um! Hier begegnen sich Romantik und Umweltschutz.
Die Wirklichkeit unseres Planeten und seiner Bewohner ist leider völlig anders. Diese Bewohner, wir alle, haben sich eine Kultur, Technik und Lebensweise angeeignet, die mit ein paar gutgemeinten Tipps nicht zu korrigieren ist. Die Menschen sind Ameisen in einem riesigen Ameisenstaat. Wenn jemand drei Wochen in der Karibik bleibt, weil er so weit geflogen ist, wird er das Umweltdesaster damit ganz bestimmt nicht aufhalten. Er hat nur ein paar Handyfotos mehr.
Diejenigen, die derartige Rechnungen in den Medien verbreiten, vernachlässigen ihre wichtigste Aufgabe: Darüber nachzudenken, was der Einzelne wirklich zu der dringenden Korrektur unseres selbstmörderischen Lebensstils beitragen kann. Dazu brauchen wir keine abstrakten Rechnungen für die Nutzung von Systemen wie dem Flugverkehr. Dort wird dem Einzelnen ohnehin im Rahmen der Abfertigung und des Service sein Stellenwert überdeutlich klar gemacht. Ob jemand fliegt oder nicht fliegt, spielt keine Rolle.
Aber es zählt, ob er jenen Politikern Rückenwind gibt, die mit Preisen eingreifen wollen. Da spielt die Musik. Und es zählt, ob er begriffen hat, dass sein Beitrag über eine minimale Erhöhung des Benzinpreises hinausgeht. Man kann das auch Umdenken nennen. Wir brauchen Bürger, die nicht in Cents und Rappen rechnen, sondern buchstäblich für die Umwelt klotzen wollen. Klingt diese Forderung utopisch, allzu idealistisch? Wer so denkt, ist nihilistisch.
Die Journalisten, die gedankenlos irgendwelche abstrakten Berechnungen von Schäden durch diverse Reisearten – natürlich ausser Paddeln, Wandern, Fahrrad – anstellen, sollten ihre Denkfaulheit überwinden und sich fragen, was sie eigentlich mitteilen wollen. Sie sollten die Frage stellen: Wie kommen die Menschen aus ihrem Ameisenstatus heraus und können, Stück für Stück, klein und unscheinbar, einen Beitrag zur Abmilderung des ganz grossen Verhängnisses leisten?