Im Büro von Andrea König, der Leiterin des Kulturhauses Helferei, klingelt unaufhörlich das Telefon. Journalisten rufen an, wollen mehr wissen und melden sich für Besuche an.
Geweckt wurde das Interesse vieler Medien durch einen formellen Protest des israelischen Botschafters in der Schweiz, Yigal Caspi. Er war von der stellvertretenden israelischen Aussenministerin aufgefordert worden, im schweizerischen Aussenministerium (EDA) gegen eine israelkritische Ausstellung zu protestieren.
Das EDA, das die Ausstellung mit 15‘000 Franken unterstützt, hat die Demarche „zur Kenntnis genommen“ und nicht weiter kommentiert.
Stein des Anstosses ist die am Donnerstag im Zürcher Kulturhaus Helferei eröffnete Ausstellung „Breaking the Silence“. Darin setzen sich israelische Armee-Angehörige und Veteranen kritisch mit dem israelischen Militäreinsatz in den besetzten palästinensischen Gebieten auseinander.
Schon vergangene Woche hatte die „Jerusalem Post“ – nicht gerade ein liberales Blatt - grobes Geschütz gegen Europa, die Schweiz und Zürich aufgefahren. Israel würde durch „falsche Anschuldigungen dämonisiert“. Das Schweizer Aussenministerium, die Stadt Zürich und einige „feindliche kirchliche Gruppen“ würden dazu „blind Steuergelder einsetzen". (Das Kulturhaus Helferei ist eine Institution der Reformierten Kirche Zürich.) Schweizer und Zürcher Behörden machten sich eines „unmoralischen Verhaltens schuldig“, schreibt die Zeitung.
Laut Angaben der „Jerusalem Post“ haben am vergangenen Donnerstag „Hunderte Israeli“ vor der Schweizer Botschaft in Tel Aviv gegen die Ausstellung in Zürich demonstriert. Nach Informationen des EDA waren es 50 bis 70.
Teils erschreckend
„Breaking the Silence“ ist eine NGO, eine israelische Nichtregierungsorganisation, die 2004 von einem Reservisten gegründet wurde. Die Organisation hat über tausend ehemalige und aktive Militärangehörige über ihre Einsätze in den besetzten Gebieten interviewt und die Aussagen verifiziert. Viele Zeugnisse werden auch auf dem Internetportal http://www.breakingthesilence.org.il publiziert. Was da geäussert wird, ist teils erschreckend.
Um persönliches Ungemach zu vermeiden, treten die einstigen und heutigen Armeeangehörigen anonym auf. Das wird der Organisation angekreidet. „Da kann jeder kommen und etwas behaupten“, heisst es. Anderseits decken sich die Informationen immer wieder mit dem, was auch Journalisten gesehen und erlebt haben.
Angst vor dem Militärgericht
Breaking the Silence erklärt, dass in Israel über das, was die Armeeangehörigen in den besetzten Gebieten tun und erleben, seit Jahren eine Decke des Schweigens gelegt wird. Einerseits wollen die Soldatinnen und Soldaten vergessen und verdrängen. Anderseits werden sie „aus Gründen der Sicherheit des Staates Israel“ aufgefordert zu schweigen und nicht über die Praktiken der israelischen Militärherrschaft zu reden. Dieses militärische Verbot und die Gefahr, vor einem Militärgericht erscheinen zu müssen, ist ein wesentlicher Grund, weshalb die Organisation die Namen der Interviewten nicht bekanntgibt.
- "We simply moved through Abu Sneina with two APCs and all we did was shoot, shoot... We were shooting, we stopped by a house, we moved through a street, and we fired at houses, not at windows, we fired at all kinds of houses." (Aussage eines Armee-Angehörigen)
Vor kurzem hat Breaking the Silence den neuesten Bericht über den israelischen Militäreinsatz in Gaza vom vergangenen Sommer präsentiert. Glaubt man den etwa 70 Zeugenaussagen, ergibt sich kein schönes Bild: Die Armeeangehörigen wurden mehr oder weniger angehalten, ziemlich wahllos gegen Zivilisten vorzugehen. Die meisten Toten waren denn auch Zivilangehörige, viele Frauen, Kinder und alte Leute. Dieser jüngste Report von Breaking the Silence sei „kein Journalismus, sondern Propaganda“, schreibt die „Jerusalem Post“.
Die Armee-Angehörigen haben gegenüber Breaking the Silence nicht nur Zeugnis über ihre Einsätze abgelegt: sie haben auch Fotos aufgenommen. Diese werden jetzt, mit englischsprachigen Legenden, in der Kapelle des Kulturhauses Helferei ausgestellt
Da steht auf einer Mauer: "Araber in die Gaskammern".
Ein Armeeangehöriger erzählt, wie israelische Frauen alte Araber bespucken.
- "Suddenly, out of nowhere, comes a group of some six Jewish women, with six-seven of their daughters, young girls, and just start to run about, kicking the peddler's stands, turning them over. And we were just two people, and didn't know what to do. And they went berserk, spitting on Arabs, spitting on old people." (Aussage eines Armee-Angehörigen)
Ein von Breaking the Silence befragter Soldat berichtet von einem israelischen Sechsjährigen, der ihm erklärte, er gehe noch schnell etwas einkaufen, dann "töte ich einen Araber".
"Nestbeschmutzung"
Wie nicht anders zu erwarten, polarisiert der Auftritt von Breaking the Silence. Nationalistische israelische Kreise werfen der Organisation „Nestbeschmutzung“, "Landesverrat", „Verdrehung der Tatsachen“ und „Gefährdung der Sicherheit“ vor. Vor allem wird kritisiert, dass das Thema ins Ausland getragen wird. So hat Breaking the Silence schon ähnliche Ausstellungen in Berlin und Luxemburg organisiert. „Das ist Wasser auf die Mühlen des europäischen Hasses auf Israel“, heisst es.
In jüdischen Kreisen war mit dem Gedanken gespielt worden, in Zürich via Facebook und Twitter zu einer Demonstration gegen die Ausstellung aufzurufen.
Das Kulturhaus Helferei war sich bewusst, dass diese Ausstellung in jüdischen Kreisen nicht nur eitel Freude auslöst. Andrea König betont, dass die Organisatoren schon früh Kontakt zu jüdischen Kreisen aufnahmen und sie ermunterten, an den geplanten Diskussionen teilzunehmen. Einige sagten zu, andere sagten ab. Insgesamt finden fünf Podiumsgespräche mit Befürwortern und Kritikern der Ausstellung statt.
Liberale israelische Kreise betonen, es spreche für Israel und sein offenes, demokratisches System, dass solche kritischen Organisationen auftreten können. Ob die harsche Intervention des israelischen Aussenministeriums in dieses Bild passt, ist allerdings eine andere Frage.
Die Demarche des israelischen Botschafters jedenfalls hat sich als Bumerang erwiesen. Sie hat das Interesse an dem Thema und der Ausstellung weiter angeheizt.
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Finanziell gefördert wird Breaking the Silence von zahlreichen europäischen und amerikanischen humanitären Organisationen und vielen Privatpersonen. Die Zürcher Ausstellung wird – neben dem EDA – unterstützt von der Stadt Zürich, Caritas Schweiz, Solidar Suisse, dem Heks, der Fachstelle OeME, den reformierten Kirchen, dem Christlichen Friedensdienst, der Jüdischen Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina, Ellen Ringier, medico international schweiz, dem Schweizer Freudenskreis von Givat Haviva, der Kampagne Olivenöl und Omamut
Breaking the Silence
4. – 14. Juni 2015
Kulturhaus Helferei (beim Zürcher Grossmünster)
Täglich geöffnet von 14.00 bis 20.00 Uhr
Samstag und Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt in die Ausstellung 10.-
Eintritt zu den Podien 15.-
Weitere Informationen kulturhaus-helferei.ch