«Der Feind ist uns zehn zu eins überlegen», erklärt der Kommandant der in Mariupul eingeschlossenen ukrainischen Truppen. Über Facebook appelliert er an «alle führenden Politiker der Welt» und bittet darum, die eingeschlossenen Kämpfer und Zivilisten in einem Drittland in Sicherheit zu bringen.
Im Stahlwerk «Asowstal» haben sich etwa 2’500 ukrainische Kämpfer, 400 ausländische Söldner und etwa tausend Zivilisten verschanzt. 500 Soldaten und Zivilpersonen seien verwundet, sagte Woylna.
Russland habe Vorteile in der Luft, bei der Artillerie, den Bodentruppen, bei Ausrüstung und Panzern, sagt Wolyna, Kommandant der ukrainischen 36. Marineinfanteriebrigade, in dem anderthalbminütigen Video. Man werde mit schweren Bomben aus Flugzeugen angegriffen.
«Das könnte der letzte Appell unseres Lebens sein», erklärte er. Es sei sehr schwierig, den Verwundeten medizinische Hilfe zukommen zu lassen.
Gegenüber CNN sagte Woylna, die Evakierung könnte per Helikopter oder Schiff erfolgen. Auch eine internationale Mission wäre nach seinen Worten eine Möglichkeit.
Mindestens zehntausend Tote
Die südukrainische Stadt Mariupol ist die am schwersten zerstörte Stadt in diesem Krieg. Sieben Wochen lang wurde Mariupol von russischen und pro-russischen Einheiten belagert und beschossen. Man fürchtet, dass der Krieg in Mariupol mindestens 10’000 Tote gefordert hat. «Die Stadt gibt es nicht mehr», sagte am Sonntag der ukrainische Aussenminister.
Nachdem russischen Kräfte das Stadtzentrum und den Hafen eingenommen hatten, haben sich die ukrainischen Verteidiger im Stahlwerk der Stadt verschanzt. Am Sonntag hatten die Russen die verbleibenden ukrainischen Kämpfer ultimativ aufgefordert zu kapitulieren. Die Ukraine ging nicht darauf ein.
Am Dienstag erklärte ein Kommandant der pro-russischen Kräfte, das Stahlwerk werde jetzt gestürmt. Kurz darauf verhängte Russland eine Feuerpause und erneuerte das Ultimatum.
Stadt unter der Stadt
Das «Asowstal»-Werk in Mariupol stammt aus sowjetischen Zeiten. Der riesige Industriekomplex verfügt über dicke Betonwände, Stahltüren und unterirdische Gänge. Er war so konzipiert, dass es einem Atomkrieg standhalten könnte. «Es ist im Grunde eine Stadt unter der Stadt», erklärte Yan Gagin, ein russischer Berater in der sezessionistischen «Volksrepublik» Donezk gegen der New York Times.
Das Industriegelände ist vier Quadratkilometer gross. Es verfügt über einen eigenen Hafen am Asowschen Meer. Jährlich produzierte das Werk etwa zehn Millionen Tonnen Stahl und war damit eines der grössten Stahlwerke Europas.
Fluchtkorridor in Mariupol?
Die ukrainische Regierung hat sich nach eigenen Angaben mit den russischen Truppen auf einen Fluchtkorridor für Zivilisten aus der umkämpften Hafenstadt Mariupol geeinigt. «Wir haben es geschafft, eine vorläufige Einigung auf einen humanitären Korridor für Frauen, Kinder und alte Menschen zu erzielen», erklärte die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk am Mittwoch. Die Ukraine hofft, am Mittwoch 6’000 Frauen, Kinder und ältere Menschen aus der belagerten südukrainischen Stadt evakuierten zu können. Dazu sollen 90 Busse nach Matriupol geschickt werden.
Ukraine wehrt Vorstösse ab
Nach Angaben des britischen Geheimdienstes hat Russland in den vergangenen Stunden seine Angriffe auf Ziele im ostukrainischen Donbass intensiviert. Die ukrainischen Streitkräfte hätten mehrere russische Vorstösse abgewehrt. Die ukrainische Armee sei «hochmotiviert», erklärt der Geheimdienst. Erschwert würden die russischen Angriffe zudem durch das aufgeweichte Gelände.
Inzwischen hat Russland «praktisch den gesamten kampfbereiten Teil seiner Armee auf unserem Territorium und in den russischen Grenzregionen konzentriert», erklärte Präsident Selenskyj. Die russische Seite habe «fast alle und alles, was fähig ist, mit uns zu kämpfen, zusammengetrieben», sagte Selenskyj.
Selenskyj verlangt erneut schwere Waffen
«Wenn die Ukraine in der ersten Woche des Krieges das erhalten hätte, was die Verbündeten jetzt schicken, wäre der Konflikt vielleicht schon vorbei», sagte der ukrainische Präsident in seiner abendlichen Ansprache. «Jede Verzögerung bei der Hilfe für die Ukraine gibt den Besatzern die Möglichkeit, noch mehr Ukrainer zu töten», erklärte er. Präsident Biden sagte nach einem Telefonat mit Verbündeten am Dienstag, dass die Vereinigten Staaten mehr Artillerie für solche Angriffe bereitstellen werden. Es wird erwartet, dass er bald weitere Militärhilfe ankündigen wird.
73 Ziele bombardiert
Russische Kampfflugzeuge haben nach eigenen Angaben in der Nacht zum Mittwoch 73 «militärische Ziele» in der Ukraine bombardiert. Auf das Gebiet Gebiet Nowoworonzowka und Kiseliwka seien hochpräzise Raketen abgefeuert worden. Dabei seien 40 Soldaten getötet und sieben gepanzerte Fahrzeuge vernichtet worden. Überprüfen lassen sich diese Angaben des Sprechers des russischen Verteidigungsministeriums nicht.
EU-Ratspräsident in Kiew
Charles Michel ist überraschend zu einem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew eingetroffen. In einem Tweet schrieb er: «In Kiew heute. Im Herzen eines freien und demokratischen Europa.» Dazu veröffentlichte er ein Foto, das ihn am Bahnhof zeigt, wie er eine Frau umarmt. Der Besuch war nicht angekündigt worden. Michel hatte bereits letzte Woche zusammen mit EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen Kiew besucht.