Seit dem grössten Bankraub aller Zeiten, auch bekannt als Finanzkrise 2008, sind lediglich drei Jahre vergangen. Als wär’s ein Stück von Dürrenmatt, ist seither alles getan und unterlassen worden, um der Tragödie die schlimmstmögliche aller Wendungen zu geben. Die prosaische Nacherzählung einer griechischen Tragödie in fünf Akten.
1. Akt
Nachdem ein ausser Rand und Band geratenes Finanzsystem, genauer gesagt geld- und bonusgierige Bangster, konservativ geschätzt mehr als 1000 Milliarden Dollar rauben durften, was immerhin einem nennenswerten Prozentsatz des Weltbruttosozialprodukts entspricht, mussten Hunderte von Grossbanken, die wankten, mit konservativ geschätzten 6 Billionen Dollar Staats- und somit Steuergeldern vor dem Kollaps gerettet werden. Allein in der Schweiz sprechen wir von über 60 Milliarden Franken. Während bislang alle Profiteure, alle Akteure, alle Schuldigen an diesem Desaster sowohl zivil- wie strafrechtlich völlig ungeschoren davongekommen sind.**
2.Akt
Durch die Übernahme der Haftung für diese Schäden gerieten die meisten schon zuvor überschuldeten Industriestaaten in Europa, aber auch die USA und Japan, in eine Schuldenfalle, aus der sie ohne Staatsbankrott oder zumindest einen massiven Diebstahl an allen Sparern und Anwärtern von staatlichen Leistungen wie Renten nicht mehr herauskommen. Es ist schlichtes Einmaleins, dass Sozialleistungsversprechen, die bis zum Siebenfachen das BSP eines Staates übersteigen, niemals erfüllt werden können.
Nicht zu vergessen ist, dass sich die gleichen Bangster, welche die grösste Finanzkrise aller Zeiten verursacht haben, am Verkauf von Staatspapieren und Wetten auf deren Untergang ein zweites Mal dumm und dämlich verdienten.
3. Akt
In einer Mischung aus purer Inkompetenz und reiner Feigheit haben sämtliche Politiker innerhalb sogenannt demokratischer Systeme weder den Mut gehabt, das im roten Bereich der reinen Selbstbereicherung drehende Finanzsystem in die Schranken zu weisen, noch den Opfern dieses ungeheuerlichen und geschichtlich einmaligen Diebstahls reinen Wein einzuschenken. Denn jede an Machterhalt interessierte Partei kann nur bei Strafe ihres Untergangs Rentnern und Sparern erklären, dass ihre Versicherungs- und Spargroschen faktisch bereits heute nur noch einen Bruchteil des erarbeiteten Werts darstellen.
4. Akt
Das dem Bankenversagen folgende Politikversagen führt unweigerlich dazu, dass die Folgen dieses Systemversagens innerhalb demokratischer Systeme nicht mehr zu bewältigen sind. Paradebeispiel dafür ist die EU, deren Festhalten an der Fehlgeburt und Fehlkonstruktion Euro genügend Sprengstoff beinhaltet, um alle Voraussetzungen für einen Zerfall der sozialen Ordnung in Europa, für Entstaatlichung, rechtsfreie Räume, Bürgerkriege und militärische nationale Auseinandersetzungen zu schaffen, obwohl die Absichten genau die gegenteiligen waren. Noch nie seit 1945 ist Europa so nahe am Abgrund gestanden wie heute.
5. Akt
Nicht nur Staaten wie Griechenland, Portugal, Italien oder Spanien sind faktisch bankrott. Das zunehmende Bewusstsein in weiten Kreisen der Bevölkerung, dass Betroffene keine Beteiligte an der über ihr Leben entscheidenden Politik sind, führt zu einem Vakuum. Das wird zunehmend ausgefüllt von populistischen, demagogischen und irrationalen Kräften, die mit einfachen Lösungen, dem Ruf nach der starken Hand, dem Führer, dem Volkstribun Kräfte freisetzen, die Europa ein weiteres Mal in den Abgrund stossen, dem wir uns seit 1945 entronnen glaubten. Es gilt das hellsichtige Wort von Bertolt Brecht: «Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.»
Epilog
Natürlich gibt es genügend blauäugige Dummschwätzer, Machbarkeitsfetischisten und apologetische Profiteure, die einer indolenten Masse einreden wollen, dass alles nicht so schlimm sei und man nicht pessimistischen Schwarzsehern folgen solle. Ihr einziger Vorteil besteht darin, dass die Fähigkeit, durch neue Schulden das Unausweichliche zu vertagen, den genauen Zeitpunkt der Kernschmelze unvorhersehbar macht.
Solange man noch den nächsten Dummen findet, der bereit ist, sein gutes Geld in völlig marode Staaten zu investieren, überlebt das Chaos. Welch' Widersinn: Die Europäische Zentralbank kauft pro Woche 20 Milliarden Euro Staatsschuldpapiere auf, die ansonsten wertlos würden und deren Gegenwert aus reiner Luft, aus Vertrauen, aus Glauben besteht. Aber selbst Ödipus aus der griechischen Tragödie sieht als Blinder die Realität. Oder anders formuliert: Die Realität ist stärker als seine Verblendung. Wir alle werden sie noch erschauernd erschauen.