Wenn von Freunden die Rede ist, fallen von Seiten der Regierung in Portugal selten so klare und kritische Töne wie jene, die Aussenminister August Santos Silva dieser Tage anschlug. Als „Absurdität“ klassifizierte er die Entscheidung der britischen Regierung, Portugal in dieser Zeit der Pandemie nicht als ein Reiseziel mit geringem Risiko einzustufen.
Gute Bilanz
Grundsätzlich hatte die britische Regierung von nicht unbedingt nötigen Reisen („all but essential travel“) abgeraten Gerade jetzt sehnen sich viele Briten nach Sonne. Und da veröffentlichte die Regierung am 3. Juli eine Liste von 59 Ländern und Territorien (https://www.gov.uk/guidance/coronavirus-covid-19-travel-corridors), die Briten besuchen dürfen, ohne bei der Heimkehr für zwei Wochen in Quarantäne zu müssen. In dieser Liste rangieren fast alle EU-Länder, darunter die von der Pandemie hart getroffenen Länder Italien und Spanien, und auch die Schweiz, nicht aber Portugal.
Im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie hatte sich Portugal anfangs recht gut behauptet. Im Juni bekam Lissabon den Zuschlag des europäischen Fussballverbands Uefa als Gastgeber für die letzten Spiele der Champions League vom 12. bis 23. August. Ministerpräsident António Costa, der eine sozialistische Minderheitsregierung anführt, machte im Kampf gegen die Pandemie auch eine viel bessere Figur als bei den schweren Waldbränden des Jahres 2017, bei denen über 100 Menschen das Leben verloren. Bei der Zahl der Toten je Million Einwohner steht Portugal mit rund 160 nach wie vor viel besser da als das Vereinigte Königreich (654), Spanien (607), Italien (577) oder Schweden (577). Die Zahlen stammen von worldometer.info.
In den letzten Wochen geriet Portugal allerdings unter die EU-Länder mit den meisten neuen Fällen je 100’000 Einwohner. Im Land mit 10,3 Millionen Einwohnern wurden an weniger schlechten Tagen absolut weniger als 300, an schlechten Tagen aber noch über 400 Neuinfektionen registriert. Meist entfielen davon aber mindestens drei Viertel davon auf den Grossraum Lissabon, was auch dort noch keine Panik rechtfertigt, alle anderen Regionen aber in ein besseres Licht rückt. Und gerade vom Vereinigten Königreich, das im Kampf gegen die Pandemie keine gute Figur gemacht hat, will sich Portugal als Reiseland nicht ausgrenzen lassen.
Die ältesten Verbündeten der Welt
Gross war die Verärgerung über die britische Entscheidung vor allem in der Südregion Algarve. Sie füllt sich zu dieser Jahreszeit sonst mit britischen Touristen, abfällig mitunter als „bifes“ (von „beef“) etikettiert. Und kämen dieses Jahr gar keine britischen Touristen nach Portugal, könnten dem Land 3,3 Mrd. Euro an Einnahmen entgehen (das Bruttoinlandprodukt lag 2019 bei 212 Mrd. Euro). In diesem Zusammenhang stehen auch Argumente, die nicht unmittelbar mit der Sicherheit des Reiselandes zu tun haben.
Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa erinnerte prompt daran, dass das Vereinigte Königreich der „älteste Alliierte“ Portugals sei und die Freunde in harten Zeiten einander so oft beigestanden hätten. Portugal und England gelten tatsächlich als die ältesten Verbündeten der Welt. Im fernen Jahr 1385 hatte Portugal in der Schlacht bei Aljubarrota mit englischer Hilfe ein zahlenmässig weit überlegenes Invasionsheer aus Kastilien besiegt und so seine Unabhängigkeit verteidigt. Mit dem Vertrag von Windsor besiegelten England und Portugal im Jahr 1386 eine Freundschaft, die aber nicht immer zur Geltung kam.
Rivalität in Afrika
Zur Zerreissprobe kam es im späten 19. Jahrhundert in Afrika, wo Portugal einen Grossteil des (heute zu Sambia und Simbabwe gehörenden) Gebietes zwischen Angola und Moçambique beanspruchte. Dafür interessierten sich aber auch die Briten mit ihrer Ambition auf einen Korridor von Kairo bis zum Kap der Guten Hoffnung. Mit dem „Englischen Ultimatum“ von 1890 verlangten sie von Portugal den Verzicht auf dieses Gebiet. Portugal gab nach und schluckte die Demütigung, aber mit schweren Konsequenzen für das Vertrauen in die Monarchie, die 1910 stürzen sollte. Im Zweiten Weltkrieg war Portugal eigentlich neutral, obwohl Diktator Salazar mit Hitler sympathisierte. Er erlaubte erst den Briten und dann den USA aber die Einrichtung eines Stützpunktes auf den Azoren (den die US Air Force bis heute nutzt, wenngleich in stark reduziertem Umfang).
Wegen der englischen Reisewarnung grassiert in Portugal nun wieder das Gefühl, vom langjährigen Freund ungerecht behandelt zu werden. Im Kurznachrichtendienst Twitter räumte der britische Botschafter in Lissabon, Chris Sainty, ein, sich dieser „enormen Enttäuschung“ für viele Menschen in beiden Ländern bewusst zu sein.
Flugzeug und Bus
Die Positionen beider Länder haben Schwächen. Anders als Festlands-Portugal hat das Vereinigte Königreich wenigstens die Inselregionen Azoren und Madeira als sichere Ziele anerkannt. Wer dorthin fliegt, muss – dies haben die Regierungen der autonomen Regionen bestimmt – entweder den Nachweis eines Covid-19-Tests mit negativem Ergebnis vorlegen oder sich testen lassen. In beiden Regionen haben sich relativ wenig Menschen infiziert. Aber auch wer von dort ins Vereinigte Königreich heimfliegt, muss in Quarantäne. Sogar auf die Region Algarve entfällt nur ein geringer Anteil aller Neuinfektionen. Und wenn Briten unbedingt dorthin wollen, können sie auch einen Flug nach Sevilla in Südapanien nehmen und die 150 Kilometer bis zu der – seit 1. Juli wieder offenen – Grenze per Bus zurücklegen. Diese kaschierten Reisen nach Portugal dürften ihnen nicht so leicht nachzuweisen sein.
Aber auch die portugiesische Seite macht es sich sehr einfach, wenn sie die relativ hohe Zahl von Neuinfektionen darauf zurückführt, dass in Portugal mehr getestet werde als anderswo und die offiziellen Zahlen ehrlicher seien als die anderer Länder. Die Regierung tut sich schwer damit, die Zahl der Fälle im Grossraum Lissabon zu erklären. In diesem Gebiet gelten bereits strengere Regeln zur Eindämmung der Pandemie als im Rest des Landes. So müssen Cafés im Raum der Hauptstadt um 20 Uhr schliessen (nicht aber Restaurants, solange sie Mahlzeiten servieren). Noch striktere Regeln gelten in 19 Gemeindebezirken des Grossraumes, wo vor allem Angehörige der Unter- und Mittelschicht leben.
Peinlicher Versprecher
In einigen dieser Vororte leben Einwanderer und ihre Familien mitunter auf eher engem Raum. Viele von ihnen benutzen auf dem Weg zur Arbeit öffentliche Verkehrsmittel, in denen die soziale Distanz schwer einzuhalten ist. Gesundheitsministerin Marta Temido verneinte aber, dass zwischen neuen Ansteckungen und öffentlichen Transporten ein Zusammenhang bestehe. Was ihr diese Gewissheit gab, dürfte nur sie selbst erklären können. Immerhin ist das Virus noch diskreter als die in Bahnen, Bussen und Trams aktiven Taschendiebe.
Schon vorher hatte sich der sozialistische Bürgermeister von Lissabon, Fernando Medina, kritisch zu Wort gemeldet. Er meinte, dass die Eignung mancher Personen mit Verantwortung im Bereich des Gesundheitswesens im Raum Lissabon für ihre Ämter womöglich geprüft werden müsse. So deutliche Worte von einem Bürgermeister von derselben Partei wie Ministerpräsident Costa fanden eine besondere Aufmerksamkeit. Costa selbst erntete nach einem Auftritt in einer Satiresendung im Fernsehen einigen Spott in den sozialen Medien. Impfungen sollten gegen Viren immunisieren, sagte er, Antibiotika sollten diese bekämpfen. Auch in Portugal hat es sich herumgesprochen, dass Antibiotika nicht gegen Viren helfen. Anders als US-Präsident Trump darf man bei Costa aber davon ausgehen, dass er sich nur versprochen hat.