Eigentlich hätte es eine Abstimmung wie jedes Jahr in den letzten 18 Jahren werden sollen. Beinahe wäre daraus aber nach stundenlanger Sitzung bis in die frühen Morgenstunden die erste Niederlage der neuen israelischen Regierung unter der Führung von Naftali Bennett geworden.
Vertrauensabstimmung
Dieser hatte die Abstimmung in letzter Minute zur Vertrauensfrage erklärt und seine Koalitionsregierung wäre beinahe daran gescheitert, wäre es nicht zum Patt zwischen Regierungsparteien und der Opposition des bisherigen Ministerpräsidenten Netanjahu gekommen. Ein Patt, das knapper nicht hätte sein können: 59 Abgeordnete der Knesset stimmten für und 59 gegen den Antrag. Und ohne Mehrheit für den Antrag hätte die Regierung nicht überlebt.
Bis zum nächsten Mal. Dieser Eindruck zwingt sich einem auf angesichts der Vielschichtigkeit und Buntheit der Regierung, ihrer knappen Mehrheit in der Knesset und der wiederholt vorgebrachten Drohung des abgewählten Benjamin Netanjahu, alles daran zu setzen, um Bennetts Koalition loszuwerden. Gelegenheiten für „Bibis“ Rache für die Wahlniederlage wird es sicher noch zur Genüge geben. Selbst wenn es diesmal nicht reichte.
Eingeschränkte Rechte
Zur Debatte stand eine Regierungs-Anordnung von 2003, die nie Gesetzeskraft erlangte und deswegen jedes Jahr erneut zur Verlängerung ansteht, wobei man sich in der Knesset bisher noch nicht einmal über ihren Namen und ihr eigentliches Ziel einig war: Die einen sprechen vom „Staatsbürger-Gesetz“, andere vom „Gesetz über Familienzusammenführung“, und ein Teil der Befürworter behauptet, das Gesetz sei unbedingte Voraussetzung für die Sicherheit des Landes. Andere wiederum betonen die Bedeutung bei der Aufrechterhaltung der Demokratie des jüdischen Staates. Wohingegen die Kritiker genau das Gegenteil sehen: Ein solches Gesetz werde der letzte Schritt sein, um Israel endgültig als „Apartheid-Staat“ zu demaskieren.
Worum es wirklich geht: Der Gesetzentwurf soll verhindern, dass palästinensisch-israelische Mischehen die Zuwanderung von Palästinensern aus dem Westjordanland oder auch dem Gazastreifen nach Israel ermöglichen. Gemeint sind nicht nur Ehen zwischen einem jüdisch-israelischen und einem palästinensischen Partner, sondern auch zwischen einem palästinensischen Ehepartner mit israelischer Staatsangehörigkeit und einem Bewohner der genannten palästinensischen Gebiete. Genaue Zahlen solcher Ehen gibt es nicht oder sie werden nicht veröffentlicht. Bereits vor Jahren hiess es aber aus dem damaligen Innenministerium, es lägen Anträge von rund 1600 solcher Familien vor. Es ist kaum anzunehmen, dass sich diese Zahl massgeblich vergrössert hat, und es handelt sich deswegen – zumindest zahlenmässig – weiterhin um eine relativ überschaubare Anzahl von Menschen, die auch als Gruppe kaum eine Gefahr für den jüdischen Staat darstellen dürften.
Allerdings hat es in der Vergangenheit einige Fälle gegeben, bei denen junge Palästinenser eine solche Ehe eingingen, um dann – zu den damaligen Bedingungen – „legal“ nach Israel zu ziehen. Zum Teil verübten sie dann Anschläge. Solche Fälle gaben den Hauptanstoss für den Gesetzentwurf von 2003. Aber die grosse Mehrheit der Antragsteller ist durch familiäre Gründe motiviert. Sie nimmt dabei in Kauf, dass auf sie, wenn der Antrag genehmigt wird, nicht gerade ein leichtes Leben in Israel wartet. Denn der Gesetzentwurf sieht vor, dass eine Genehmigung zur „Familienzusammenführung“ nicht mit einem Recht auf Erlangen der israelischen Staatsangehörigkeit verbunden ist. Und auch im israelischen Gesellschaftssystem stellen die akzeptierten Antragsteller eher eine Randgruppe ohne weitere Rechte dar. So können sie sich nicht bei einer israelischen Krankenkasse versichern. Zudem dürfen sie nicht einmal einen Führerschein machen und legal Auto fahren.
Vorwurf des Rassismus
Dem Vorwurf israelischer Bürgerrechtler, solch eine Benachteiligung grenze an Rassismus, ist die bisherige Regierung Netanjahu damit begegnet, dass man die Restriktionen auf Mischehen zwischen Israel und Bürgern anderer Staaten ausweitete. Darunter fallen unter anderem Iran und einige arabische Staaten. Das ist allerdings nicht vergleichbar mit den Palästinensern, die in Israel leben und Bürger dieses Staates sind (wenngleich auch seit der Einführung des Nationalitäten-Gesetzes eher als Bürger zweiter Klasse), erst recht nicht vergleichbar mit Palästinensern im Westjordanland und dem Gazastreifen: Israel ist zwar immer noch dabei, im Westjordanland zu siedeln und dadurch den Lebensraum der dortigen palästinensischen Einwohner kontinuierlich zu reduzieren.
Ministerpräsident Bennett war lange eine führende Figur in der Siedler-Bewegung. Zudem war er organisatorisch eng mit Netanjahu verbunden. Wenn er jetzt auch stolz darauf ist, Netanjahu aus dem Amt gestossen zu haben, so ist doch kaum zu erwarten, dass er eine wirklich neue – vor allem: andere – Politik in diesen Fragen verfolgen wird. Bisher stützt er sich auf eine bunt zusammengewürfelte Koalition rechter Parteien mit den Resten liberaler Gruppen und der sozialdemokratischen Arbeitspartei. Nach der Knesset-Nachtsitzung hat seine Regierung nun durchgesetzt, dass die Anordnung von 2003 diesmal nur um ein halbes Jahr verlängert wird und dass ein Ausschuss sich mit einer Neuformulierung beschäftigen soll wie auch mit der Zulassung von „Familienzusammenführung“ in knapp 1600 Fällen.
Der Likud Netanjahus aber wartet nur auf die nächste Gelegenheit, Bennett zu sabotieren.