Am 11. März wird in der Schweiz überflüssigerweise darüber abgestimmt, ob die Buchpreisbindung wieder eingeführt werden soll.
Die gewählten Volksvertreter hatten die Preisbindung eigentlich bereits auf dem Gleis: Ein langer Lernprozess schien geglückt, der vor allem die nachweisbare Qualitätssicherung einer lokal und regional gestützten Buchversorgung in den preisbindungsgeschützten Nachbarstaaten Deutschland und Frankreich berücksichtigte. Auch die verheerenden Folgen des Dumpings im englischen Buchhandel, wo die Preiskämpfe selbst für die Filialisten ruinös wurden, nachdem sie kleineren Buchhandlungen die Existenz gekostet hatten. Eine erfolgreiche Lobbyarbeit des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands (SBVV) – klar, was denn sonst?
Bücher als schützenswerte Ware
Zur Erinnerung: Auf EU-Ebene waren in den 90er-Jahren entgegen den Wünschen der Brüsseler Zentrale nationale Preisbindungen durchgesetzt worden, vor allem durch aufklärende Lobbyarbeit des deutschen Verbands der Verleger, Zwischenbuchhändler und Sortimenter («Börsenverein des deutschen Buchhandels»). Dem Brüsseler Kommissar, der den ungeregelten Wettbewerb auch bei Büchern wollte und deutschen Firmen mit massiven Fahndungsaktionen zu Leibe rückte, kam 1998 kurzfristig ein österreichischer Filialist mit gezielten Verletzungen der Preisbindung zu Hilfe; dass dessen Chef (nicht gedacht soll seiner werden…) wenige Jahre später wegen betrügerischer Abwicklung seiner Insolvenz rechtskräftig verurteilt wurde, gehört zu den Kollateralschäden eines besonders ungeregelten Kapitalismus. Die Zünsler, die nun in der Schweiz in einer unheiligen Allianz diese Frage noch einmal vors sowieso nicht gerade lesefreudige Volk bringen – die langjährigen exakten Rechtschreib-Erhebungen bei Schweizer Rekruten sind von Jahr zu Jahr deprimierend –, wurden zwar bereits abgestraft. Die Migros-Buchsparte ExLibris mit ihren Niedrigpreisen musste soeben ein zweistelliges Umsatzminus zugeben, weit höher als der besorgniserregende Rückgang im Schweizer Buchhandel. Und der FDP-Jungpolitikerin, die sich mit ihrer Abstimmungsinitiative auf wohlfeile Art eine kurze Medienbekanntheit erspielt hat, wurde der Eintritt ins Parlament verwehrt. Aber nun muss dennoch abgestimmt werden.
Preisbindung als retardierendes Moment
Ich bin – einstiger Buchhändler und seit 33 Jahren Verleger – immer noch für die Preisbindung, auch für E-Books, man wird dies in der Schweizer Regelung noch nachbessern müssen. Wie dieser Standpunkt durch gar nicht steuerbare Entwicklungen in der technologischen Basis altmodisch auszusehen beginnt, muss ich freilich auch sehen. Es gibt einige aktive Kollegen, auch in kleineren Läden, die ganz offen sagen, dass eine Preisbindung vor allem den Filialisten und mächtigen Online-Händlern nützt. Wer auf Facebook liest, kann diese Sicht bei Matthyas Jenny unterm 13. Januar finden.
Zu fürchten ist, dass eine Preisbindung nichts mehr endgültig verbessern wird. Die unbesorgten Zeiten, die sich im deutschsprachigen Buchhandel ein halbes Jahrhundert hielten und die er mit einer dynamischen Logistik weiter entwickelte, sind vorbei, seit sich die Omnipräsenz der Lesebühne Internet entwickelt. Niemand erfährt das besser als BuchhändlerInnen, die die Blicke ihrer Kundschaft von den Novitäten mal kurz auf die Zwitschersätze ihrer Smartphones abgleiten sehen und an der Kasse von den Aktivitäten der Buchautoren bei Facebook erzählt bekommen. Es wird immer mehr gelesen und nachgeschaut, nur deutlich seltener auf Papier. Der Prozess des Downsizing (ein hübschelndes Wort für Niedergang) kann für die Buchläden vor Ort, für Auslieferungen und Zwischenhändler durch eine Gesetzgebung nur verlangsamt werden. Er kann geregelter verlaufen, sodass die wirklich geschickten, umsichtigen und kundenfreundlichen Buchhandlungen in Stadtteilen und Kleinstädten ihre neue Form finden können. Mit Kunden, die sich online vielleicht zuerst beim WebGL Bookcase von Google umsehen oder sich 3-D-Objekte mit Titelseite und Buchanfang in den opulenten Buchpräsentationen der Verlage und Onliner aufblättern, – die Bücher dann aber doch in einem Laden bestellen, weil sie dort von wildlesenden BuchhändlerInnen immer noch den Kick einer speziellen Empfehlungen bekommen. Und weil solche Orte des Gesprächs jeder Stadt gut tun. Ein Land, das Milliarden an Bauern verteilt, weil es Landschaftspflege für wichtig hält, kann mit der Preisbindung kostenneutral die Buchlandschaft pflegen.
Entgegen allen Prognosen
Noch vor fünf Jahren wurde von Branchenkennern die Allianz zwischen Hugendubel, Weltbild und anderen Kettenläden als zukunftsweisend bejubelt. Die Zeichen der Grosswetterlage lesen sich inzwischen anders: Der Medienhändler Fnac in Frankreich streicht 500 Stellen in seinen Läden. Beim grössten deutschen Buch-Filialisten Thalia sind Schrumpfprogramme eingeleitet, die mit dem schönen Wort «Downsizing» umschrieben wird. (Denkbar wird sogar, dass sich der Douglas-Konzern von seiner weniger einträglichen Buchkette ganz trennt – dann stünde womöglich zugleich ein gut aufgestellter Onlinehändler Thalia zum Verkauf.) Wer Grossflächen bewirtschaftet, wird immer stärker zum Gemischtwarenhändler. Schreibwaren, Spiele. Die Mayersche in Nordrheinwestfalen hat gerade einen Spielwarenhändler übernommen und wird ihre ca. 50 Buchhandelsfilialen bald auch mit Teddys beschicken. Buch und Bär. Aber nicht wenige Buchhandlungen schliessen einfach, weil sie keinen Käufer mehr finden. Mittelgrosse Filialisten wie der in Süddeutschland erfolgreiche Osiander sind vor allem durch die Übernahme von Läden gewachsen, deren bisherige Besitzer aufgeben wollten. Der «Börsenverein» hat in den letzten 10 Jahren ein Viertel seiner Mitglieder verloren – tausend Buchhandlungen in Deutschland weniger, während die Anzahl der Verlage fast stabil blieb.
Sinkende Buchpreise
Die Grossen Spieler unter den Verlagen liefern sich in dieser Situation im preisgebundenen Deutschland zudem noch Preiskämpfe, indem sie z. B. bei belletristischen Novitäten unter 20 € bleiben und sie sogar gleich als Klappenbroschur und für weniger als 15 € anbieten. Ob diese Preispolitik auf den allgemeinen Wertverfall bei gebrauchten Büchern reagiert – bei ebay gibt es tausende Bücher für 1 Euro? Jedenfalls hat sie Folgen. Bei Jahr um Jahr vermindertem Umsatz musste der deutsche Buchhandel 2011 damit zurechtkommen, dass die durchschnittlichen Buchpreise auf das Level von 1996 zurückgefallen sind – bei gestiegenen Kosten. (Solche Zahlen sind exakt zu bekommen, der grösste Zwischenhändler KNV, bei dem die Tagesbestellungen der Buchhandlungen einlaufen, hat sie kürzlich illusionslos im Magazin «BuchMarkt» genannt: http://www.buchmarkt.de/content/49687-michael-lemsters-freitags-um-fuenf-.htm. Seine Mahnung an die Grossverlage, diese ruinöse Preisverminderung umzudrehen, wird nicht so rasch etwas nützen.) Denn es geht letztlich ans Eingemachte, an den Papierbrei, den Urstoff, der einst das Pergament ablöste. Man kann da auf Indikatoren in der Maschinenbranche achten. Bei den weltweit grössten Druckmaschinen-Herstellern (Heidelberg und die insolvente ManRoland) wurde in diesem Januar die Streichung von fast 5000 Stellen verkündet. Das ist keine Reaktion auf eine Wirtschaftskrise, es signalisiert das Wegschrumpfen der inzwischen so genannten «Holzmedien». Ökologisch gesehen eine gute Nachricht für alle, die es schaffen, die heissen und kalten Kriege um Edelmetalle für die Tablets beiseite zu lassen und sich auch nicht ausmalen, welchen Papierkonsum die Verpackungen bei den rasant zunehmenden Online-Händlern fordert. Wälder für Kartons und Wellpappe.
Soviel Anfang war nie
Bedrucktes Papier wird es noch Jahrzehnte geben, aber ob wir in zehn Jahren noch 60 % der Zeitungen, Zeitschriften, Bücher auf Papier bekommen oder nur noch 40 %? – das ist Rühren im Kaffeesatz. An einem Spezialmarkt wie dem Fachbuch lassen sich Veränderungen besonders gut beobachten. Die mit den PCs aufgewachsenen Generationen wollen mit leichtem Gepäck lesen und in ständig aktualisierter Form, auf Bildschirmen, Readern und Tablets. Wer 2012 bei Buchhandlungen in Universitätsstädten nachfragt, kann erfahren, dass Uni-Bibliotheken Millionen Euro nicht mehr über den örtlichen Buchhandel ausgeben, weil sie immer mehr Bücher nur noch digital und dann direkt von Verlagen beziehen. Dort wird mit neuen Geschäftsmodellen experimentiert: Es gibt Wissenschaftsverlage, die ihre E-Books à conto liefern werden, Gebühren dafür werden erst bei tatsächlichem Gebrauch fällig. Zugleich locken hochspezialisierte Verlage die Endkunden direkt. Wem es eilig hat und wer zahlen will, spart sich den Umweg über Bibliothek wie Buchhandlung: Anfang des Monats stellte Springer Wissenschaft eine mobile App vor, die man sich gratis aus dem iTune Store herunterladen kann: «Mit dieser App hat der Nutzer einen direkten Zugriff auf die Plattform SpringerLink, auf der Artikel aus über 2000 wissenschaftlich begutachteten Fachzeitschriften oder Buchkapitel aus 49'000 E-Books abrufbar sind. SpringerLink bietet insgesamt über 5,4 Millionen Dokumente aus allen STM-Bereichen (Science, Technology, Medicine).» (fachbuch journal)
Soviel digitaler Anfang war nie … Und vielleicht nehmen deshalb die Objekte zu, die Bücher im Nostalgielook nachahmen. Es gibt nun Laptop-Taschen in Form eines Folianten mit verblasster, wie durch Gebrauch abgegriffener Schrift auf dem «Buch»-Rücken. An ihrem Halbfranz – also den roten Lederverstärkungen von Buchrücken und Ecken – sollte man eher vorsichtig kratzen. Das Leder könnte imitiert sein.