Interview mit Kurt R. Spillmann
Journal 21: Braucht die Schweiz den Gripen?
Kurt R. Spillmann: Aus sicherheitspolitischer Sicht - und ich kann nur aus sicherheitspolitischer Sicht sprechen - geht es nicht um die Frage, ob die Schweiz den Gripen braucht. Zentral ist die Frage: Braucht die Schweiz ein Flugzeug? Ich habe in den letzten Jahren immer bedauert, dass wir uns sehr rasch um Details kümmern, nämlich um Flugzeug-Typen, um Zahlen, um die Finanzierung.
Doch die sicherheitspolitischen Grundfragen analysieren wir nicht sorgfältig. Im Mittelpunkt stehen doch die Fragen: Wozu braucht die Schweiz ein Flugzeug, für welche Zwecke, was will sie damit tun? Und: In welchem Zusammenhang sehen wir unsere Luftwaffe? Erst wenn wir diese Fragen sorgfältig abgeklärt haben, sollten wir auch über den Typus reden. Für mich gilt der Grundsatz: Form follows function. Also: Die Typenfrage soll erst behandelt werden, nachdem wir die Funktion genau überlegt und definiert haben.
Der Entscheid, 22 Gripen zu kaufen, wird da und dort als Erfolg für Bundesrat Maurer dargestellt. Sehen Sie das auch so?
Ein so grosses Geschäft in Zeiten der Krise durch den Bundesrat gebracht zu haben, ist ein Erfolg für den betreffenden Departementvorstehers. Aber es ist noch lange nicht entschieden, dass dieses Flugzeug auch gekauft wird. Ein so grosses Geschäft muss noch finanziell verkraftet werden. Das bedeutet, dass hier das Finanzdepartement und das Parlament noch bestimmen müssen, wo eingespart wird. Das wird noch Kontroversen und möglicherweise eine Volksabstimmung geben.
Die Schweiz ist ein Mini-Land. Welche Aufgaben sollen hier superschnelle Kampfflugzeuge erfüllen?
Die Schweiz wahrt mit ihren Kampfflugzeugen ihre Lufthoheit. In nicht-kriegerischen Zeiten haben sie die Funktion einer Luftpolizei. Sie schützen den Luftverkehr und überwachen internationale Konferenzen, die auf Schweizer Boden stattfinden. Gesichert wird der Luftraum auch in Kooperation mit benachbarten Luftwaffen.
Die Schweiz ist ein kleiner zentraler Teil im europäischen Umfeld. Unsere Flugzeuge durchqueren unseren eigenen Luftraum in wenigen Minuten. Es ist zwingend, dass die Schweiz alle Sicherheitsfragen in Kooperation mit ihrem Umfeld angeht. Unsere Geografie lässt sich nun einmal nicht verändern. Die Hauptfrage ist: Wie kooperieren wir sicherheitspolitisch mit unseren Nachbarn? Um diese Fragen gehen wir seit Jahren herum wie die Katze um den heissen Brei.
Wir befanden uns 500 Jahre lang immer an der Grenzzone zwischen konfliktbereiten Grossmächten. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist jede innereuropäische Konfliktgrenze verschwunden. Wir müssen uns neu ausrichten, nämlich auf ein kooperativ gewordenes Europa. Fragen in diesem Zusammenhang haben wir noch immer nicht beantwortet.
Wir haben auf der einen Seite die traditionellen Landesverteidiger, die eine klassische Landesverteidigung nach allen Richtungen aufrechterhalten wollen. Auf der andern Seite befinden sich die Vertreter einer Integration im Europäischen Sicherheits- und Verteidigungssystem (ESVP) und NATO. Wo positioniert sich die Schweiz? Diese Frage wurde bisher nicht entschieden. Das lähmt die Planung von Armee und Luftwaffe. Der Entscheid, was wir wollen, ist ein politischer Entscheid. Erst wenn er gefällt ist, können wir die Funktion der Armee und der Luftwaffe sinnvoll entscheiden.
Könnte das Geld für den Gripen in der Armee nicht sinnvoller eingesetzt werden?
Der Bundesrat hatte den Antrag gestellt, dass die Armee 80'000 Mann stark sein soll. Das Parlament ist kürzlich diesem Antrag nicht gefolgt und will die Armee auf 100'000 Mann aufstocken. Das verschlingt wesentlich mehr Geld als vorgesehen. Wie der Bundesrat und das Parlament eine aufgestockte Armee bezahlen und gleichzeitig die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge finanzieren wollen, ist mir noch nicht klar. Die Armee sollte nicht schlecht ausgerüstet bleiben auf Kosten der Luftwaffe.
Könnte der Luftraum anstatt mit teuren Kampfflugzeugen nicht auch mit Drohnen gesichert werden?
Ich halte das für eine ungenügende Luftraumsicherung. Man kann zwar mit Drohnen viel erreichen, wie die Luftkriege in Afghanistan, im Irak und in Pakistan laufend demonstrieren. Aber: Unsere traditionelle Luftraumsicherung besteht darin, eingedrungene Flugzeuge fremder Herkunft zu begleiten, zu erkennen, zu mahnen, zur Landung zu bringen. Das ist mit Drohnen nicht möglich. Mit Drohnen kann es nur eine konfrontative Überwachung geben: ein Entweder-Oder. In eine solche Situation will sich die Schweiz zu Recht nicht hineinzwingen lassen.
(das Interview führte Heiner Hug)