Christoph Blocher sammelt Bilder, das weiss man schon länger. Zu seiner Leidenschaft für Albert Anker hat er sich wiederholt geäussert, etwa in seinem schon vor neun Jahren in der Weltwoche erschienenen Artikel «Tröstlich anzusehen». Nun ist er mit seinen Kunstschätzen an die Öffentlichkeit getreten. Angeblich hat ihn Marc Fehlmann, der Direktor des Museums Oskar Reinhart in Winterthur, dazu überredet. Blocher meinte sogar, es sei Fehlmann gewesen, der ihm erst bewusst gemacht habe, ein Sammler zu sein; bis dahin habe er einfach nur Bilder gehabt.
Im Schatten Oskar Reinharts
Das tönt etwas nach Koketterie, denn Blocher ist nach Jahrzehnten seines Umgangs mit Kunst sicherlich kein blosser Liebhaber, sondern ein sattelfester Kenner, der mit Bedacht sammelt und ein kohärentes Ensemble von ausgesuchten Werken zusammenträgt. Nun wird er mit der Winterthurer Schau nicht nur als Sammler gewürdigt, sondern durch den Ort der Ausstellung gleichsam an die Seite, oder vielleicht eher: in den Schatten einer der grossen Sammlerpersönlichkeiten der Schweiz gestellt: Oskar Reinhart (1885-1965), Spross der Winterthurer Handelsdynastie Volkart, hat mit seinen Sammlungen in seiner Vaterstadt zwei Museen von internationalem Rang begründet.
Das berühmtere der beiden Häuser ist die der Eidgenossenschaft gestiftete «Sammlung am Römerholz» mit Schwerpunkt in der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts. Das andere, das «Museum Oskar Reinhart» oder «Museum am Stadtgarten» ist das lange Zeit etwas vergessene, aber unter Fehlmanns Direktion nachdrücklich in der europäischen Museumslandschaft positionierte Bilderhaus. Es zeigt vorwiegend Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Darunter befinden sich so ikonische Werke wie Caspar David Friedrichs «Kreidefelsen auf Rügen» – ein Programmbild der deutschen Romantik – oder Albert Ankers nobles Porträt seiner Tochter Louise.
Mit den Reinhart-Sammlungen als Umfeld setzt Blocher die Präsentation seiner Bilder einem Vergleich aus, den er gewiss so nicht gesucht hat und der aus zwei Gründen etwas unfair ist. Zum einen war Oskar Reinhart von Beruf reich und tat nichts anderes als Kunst sammeln. Und zum anderen sammelte Reinhart zu einer Zeit, als vieles erst zu entdecken und daher auch noch zu bekommen war. Auch hatte der Kunstmarkt die Preise noch nicht in solche Höhen getrieben, wie das heute der Fall ist.
Was fehlt der Sammlung?
Um solche mildernden Umstände braucht sich das Urteil des Museumsbesuchers freilich nicht zu kümmern. Er sieht einfach Bilder und hat dabei Massstäbe im Kopf, die er sich in den besten Museen und exquisitesten Ausstellungen gebildet hat. Und wie fällt nun ein nicht um faire Berücksichtigung der Umstände bemühtes, sondern nur auf die Bilder bezogenes Urteil aus?
Was Blocher in Winterthur zeigt oder vielmehr zeigen lässt (die Auswahl aus den mehreren Hundert in Blochers Besitz befindlichen Bildern hat allein Museumsdirektor Marc Fehlmann getroffen), sind durchwegs Werke von höchster Qualität. Darunter sind solche Highlights wie Ankers «Turnstunde» und eine Serie von Hodlers Genfersee-Landschaften.
Ich – hier muss der Berichterstatter in die erste Person Singular wechseln – sehe lauter Bilder auf höchstem Niveau, von Robert Zünds stillen, mit stupender Kunstfertigkeit gemalten Landschaften bis zu Giovanni Giacomettis farbenflirrender «Maternità». Doch was mich im Einzelnen da und dort begeistert, lässt mich als Ganzes erstaunlicherweise doch etwas kühl. Woran kann das liegen?
Tröstliche Bilder
Die Sammlung Blocher umfasst offenkundig vor allem Stücke, die je im Zenith eines Lebenswerks verortet sind, harmonische Bilder mit klaren, ruhigen Aussagen. Der Sammler sucht Gemälde, die, wie er selber sagt, «tröstlich anzuschauen» sind. Deshalb die überaus zahlreich vertretenen Ankerschen Idyllen, die selbst da beschaulich sind, wo sie Armut und Leid thematisieren. Deshalb die Hodler-Landschaften, in denen der Künstler seine Philosophie des «Parallelismus» ausdrückt, ein kosmisch-existenzielles Harmoniekonzept. Deshalb die Szenen unberührter Natur und harmonischer Ländlichkeit, deshalb die zur Zeitlosigkeit typisierten Gestalten.
Porträts im eigentlichen Sinn der Darstellung identifizierter Personen gibt es hier wenige, solche von herausforderndem Charakter wie etwa Hodlers Selbstbildnisse (für einen Hodler-Sammler wäre deren Einbezug naheliegend) sind nicht vorhanden. Auch formal kühne, expressive Bildschöpfungen – ich denke hier an den zum Sammlungsgebiet Schweizer Kunst um 1900 gehörenden Cuno Amiet – kommen bei Blocher nicht vor.
Zwar sind die Auswahlkriterien eines privaten Sammlers selbstverständlich nicht zu kritisieren. Wird aber die Sammlung öffentlich ausgestellt, so ist sie zunächst einfach eine Manifestation von Kunst. Und die Kunst, die ich im Museum Oskar Reinhart gesehen habe, ist eine an ihren jeweiligen Höhepunkten stillgestellte Malerei.
Im Falle Ankers, dem Hauptschwerpunkt der Sammlung Blocher, kommt der seit Generationen überwältigende Erfolg seiner Genrebilder hinzu. Man meint einfach alles von ihm schon immer zu kennen. Selbst wenn man zugesteht, dass Anker keine banalen Motive malt, so sind es doch fast ausnahmslos Bilder idyllischen Charakters und mit lieblichen Sujets, oft in goldenes Licht getaucht oder in warmen Interieurs situiert.
Nochmals: Als einzelne Werke sind die Ankers aus Blochers Sammlung grossartig. Zwei oder drei schaue ich gerne an; Dutzende davon sind mir zuviel. Das «Siehe, die Erde ist nicht verdammt», das Anker auf einen Massstab in seinem Atelier geschrieben hat und das Blocher als Botschaft aus Ankers Bildern liest, dieser biblisch inspirierte Leitspruch schallt mir im Museum zu Winterthur nun als mächtiger Chor entgegen. Soviel Trost brauche ich nicht. Er droht sich durch Vervielfachung gar abzunützen.
Christoph Blocher pflegt einen intensiven persönlichen Umgang mit seinen Bildern, in welchem, wie er sagt, das tröstende, beruhigende, besänftigende Moment eine besondere Rolle spielt. Das ist ohne Einschränkung zu respektieren. Kunst ist ein reales Gegenüber und spricht zu jedem Betrachter individuell. Und da Blocher mit Glück und Tüchtigkeit enorm reich geworden ist, kann er sich viele dieser tröstlich anzuschauenden Bilder leisten.
Als Sammler unter Beobachtung
Dass die Kollektion dadurch ein etwas enges Spektrum künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten abbildet, ist dem Sammler zweifellos recht. Und für die Bilder ist es gut, wenn sie in den Besitz eines Kenners gelangen, der sie zu schätzen weiss und sie auch immer wieder für Ausstellungen ausleiht und so öffentlich zugänglich macht. Ein solches Verdienst ist vor dem Hintergrund eines zum Teil wahnwitzigen, an den Werken kaum mehr interessierten Kunstmarkts nicht gering zu achten.
Als vielleicht einflussreichster Politiker der Schweiz kann Blocher selbstverständlich nichts tun, ohne dass es auch unter politischen Vorzeichen gedeutet wird. Manche Auguren wollten in der Ausstellung einen PR-Coup vor den Wahlen sehen in dem Sinn, Blocher habe sich und seine Partei vom Polterer-Image wegrücken und mit kulturellen Weihen versehen wollen.
Ich halte das für Unsinn. Dies nicht nur, weil die Ausstellung eine Woche vor dem Wahltermin für einen solchen Zweck viel zu spät angesetzt gewesen wäre, sondern mehr noch deshalb, weil Blocher längst den Beweis angetreten hat, dass er, ohne damit seine Partei pushen zu wollen, grosszügig Kulturförderung in mäzenatischem Sinn betreibt. Er hat eben schlicht so viel Geld, dass er sich beides leisten kann, ohne die Kultur für die Politik einspannen zu müssen.
Davon abgesehen gibt es aber durchaus interessante Verbindungen zwischen dem Politiker und dem Sammler. Es ist wohl kein Zufall, dass Blocher als erklärter Patriot und Herold der Schweizer Einzigartigkeit ausschliesslich Schweizer Kunst sammelt. Doch attestiert man einem Philatelisten, der sich auf die Kategorie «Schweiz/Liechtenstein» beschränkt, allein deswegen zwingend ein gesteigertes Nationalbewusstsein? Sammler setzen ihren Passionen Grenzen; wer es nicht tut, ist vielleicht ein Raffer, aber kein Sammler. Der vordergründige Schweiz-Bezug ist bei Blocher von beschränkter Relevanz.
Kunst ohne Risiko
Viel mehr als das Sammelgebiet Schweiz um 1900 sagt über den Sammler die von ihm bevorzugte Art der Kunst. Er will nur Bilder, deren materieller Wert zweifelsfrei erwiesen ist. Das hatte ursprünglich einen praktischen Grund. Als Industrieller musste Blocher immer damit rechnen, unversehens grosse Investitionen tätigen und hierzu Sammlungsbestände verkaufen zu müssen – da war der Wiederverkaufswert der Bilder entscheidend wichtig.
Nach der Weitergabe seiner Unternehmen an die Kinder ist Christoph Blocher aber nicht abgewichen von seiner Fokussierung auf sichere Werte. Jetzt zeigt sich erst recht deutlich, dass er sich auch jenseits des Materiellen ans Bewährte hält. Für Blocher geht es in der Kunst nicht um Entdeckungen des bisher nie Gesehenen und noch Ungedachten, sondern um feste Verwurzelung im Hergebrachten, um Vergewisserung des Vertrauten. Dass sein Lieblingsmaler Anker heisst, entspringt wohl einer List der Geschichte.
Die Ausstellung «Hodler, Anker, Giacometti – Meisterwerke der Sammlung Christoph Blocher» ist noch bis am 31. Januar 2016 zu sehen im Museum Oskar Reinhart, Stadthausstrasse 6, Winterthur.
Hinweis: Wegen eines technischen Defekts werden die Bildlegenden im Lauftext nicht angezeigt. Bei den Fotos handelt es sich um
- Albert Anker, Der Schulspaziergang, 1872
- Giovanni Giacometti, Maternità, 1908
- Albert Anker, Rosa und Bertha Gugger, 1883.
Fotos © SIK-ISEA Philipp Hitz