Im Palazzo Grazioli, einem Barockpalast mit viel Marmor, residiert Silvio Berlusconi. Wenn der jetzt 82-jährige einstige Polit-Dinosaurer seine Leute in seinem Römer Wohnsitz aufbietet, liegt Wichtiges in der Luft.
Vergangene Woche war es wieder soweit. Dutzende alte Schlachtrösser seiner Forza Italia-Partei lauschten den Worten des früheren Superstars. Doch was sie hörten, gefiel den wenigsten. Sie waren verblüfft, desillusioniert – teils erzürnt.
Berlusconi sprach über Matteo Salvini, den bejubelten Helden der italienischen Rechtspopulisten. Dass sich die beiden verachten, weiss ganz Italien. Berlusconi bezeichnet die populistische Regierungsmannschaft als eine „Bande der Unfähigen“. Und Salvini nennt Berlusconi „ein Fossil des letzten Jahrhunderts“.
Einheitspartei? Föderation?
Doch jetzt klingt es plötzlich anders. „Ich habe in diesen Tagen einen neuen Salvini gesehen“, erklärte nun Berlusconi. „Ich habe ihn besonnen, rational und disponibel gesehen.“ Wenn Salvinis Lega und Forza Italia zusammenspannten, würden sie gemeinsam „fast hundert Prozent der Sitze gewinnen“.
Die meisten Anwesenden schluckten leer. Vor dieser Ankündigung fürchteten sich einige seiner Parteifreunde seit längerem. „Wir könnten eine Einheitspartei bilden oder eine Föderation.“ Er selbst spreche sich für eine Einheitspartei aus, Salvini sei eher für eine Föderation. Doch man werde sich finden.
Berlusconi hat sich schon zwei (nicht allzu orginelle) Namen für das neue Parteiengebilde ausgedacht: „Centrodestra unito“ (Vereinte Mitte-rechts-Partei) oder „Centrodestra italiano“ (Italienische Mitte-rechts-Partei).
„Seid ihr plötzlich Lepenisten?“
Die Parteigranden reagierten perplex. Will Berlusconi seine während 25 Jahren staatstragende Partei den Rechtspopulisten verkaufen? „Seid ihr plötzlich Anti-Europäer und Lepenisten?“ fragte die linksliberale Zeitung „La Repubblica“ eine frühere Spitzenpolitikerin der Forza Italia.
Das wollen viele nicht sein. „Salvinis Politik ist nicht unsere Politik“ heisst es in Kreisen der Forza Italia. „Wir sind eine gemässigte Mitte-rechts-Partei. Wir sind keine Rassisten, keine Rechtspopulisten, wir sind für Europa und die EU, wir machen den Neofaschisten nicht den Hof.“ Einige sprechen von unnötiger Kapitulation, andere, die der Partei jahrzehntelang gedient haben, fürchten um ihre Ämter.
Bereits haben sich einige frühere Freunde Berlusconis von ihm losgesagt. Giovanni Toti, der Präsident der Region Ligurien, trat aus der Forza Italia aus und will zusammen mit den postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ eine neue Rechtspartei gründen. Am 6. Juli will er in Rom seine Anhänger zu einer Protestkundgebung gegen Berlusconi versammeln. Berlusconi reagierte auf seine Art: „Lasst ihn nur verlieren. Wer nach Rom zu Toti geht, ist ein Coglione.“ (ein A.)
Seine Zeit läuft ab
Dass sich Berlusconi mit seinen bald 83 Jahren zurückzieht, versteht jeder. Viele in seiner Partei verstehen jedoch nicht, dass er gleich die ganze Partei liquidieren will.
Renata Polverini, eine einflussreiche Politikerin der Forza Italia, fordert, dass sich Forza Italia mit aller Energie neu aufstellt, eine neue Identität findet – ohne Berlusconi. Das könnte schwierig sein. Berlusconi hat sich in seinem fast 25-jährigen Machtrausch nicht um Nachfolger gekümmert.
Eine Epoche geht zu Ende. Berlusconis Zeit läuft ab. Für viele Italiener begann der Niedergang des Alphatiers schon vor über zwei Jahren. Damals hatte Berlusconi seinen prestigereichen Fussballclub AC Milan an chinesische Investoren verkauft. Für viele war das ein Zeichen, dass der „Kaiman“, wie ihn die Linke nannte, langsam aufgibt.
6,6 Prozent für Forza Italia
Politisch wurde er immer mehr an den Rand gedrängt. Das hatte auch damit zu tun, dass er 2013 wegen Steuerbetrugs verurteilt wurde. Sechs Jahre lang durfte er kein politisches Amt übernehmen. Zwar meldete er sich aus dem Hintergrund immer wieder, doch immer weniger hörte man ihm zu.
Seine Forza Italia-Partei schlittert mehr und mehr in die Bedeutungslosigkeit. Laut Meinungsumfrage des TV-Senders La7 vom 17. Juni erreicht Forza Italia noch 6,6 Prozent. Die Lega hingegen fliegt mit 37,0 Prozent davon (fast 3 Prozent mehr als bei der Europawahl).
Jetzt wurde auch die Römer Redaktion des Berlusconi-Kampfblattes „Il Giornale“ geschlossen und nach Mailand verlegt. Das Blatt gehört Berlusconis Bruder. Auch dieser Schritt wird als Rückzug der Berlusconis aus dem Politleben gewertet.
Ich-AG
Zudem ist Berlusconi gesundheitlich angeschlagen. Vor drei Jahren musste er sich einer vierstündigen Herzoperation unterziehen. Dabei ging es offenbar um Leben und Tod. Immer wieder hatte er Schwächeanfälle, und immer wieder rappelte er sich auf.
Im vergangenen März hatte er einen Leistenbruch, im April wurde er wieder ins Spital eingeliefert. Zunächst sprach man von einer Nierenkolik, dann von einem Darmverschluss. „Ich habe um mein Leben gezittert“, sagte er später. „Ich dachte, ich sei am Ende.“
Berlusconi zahlt jetzt auch den Preis, dass er Italien wie eine Ich-AG regiert hat. Das Volk war ihm egal. 3’297 Tage hatte er regiert. Viel hat er nicht zustande gebracht. Grosse Sprüche, viele Versprechen – und keine Taten. Dass es Italien heute nicht gut geht, ist zu einem grossen Teil seine Schuld. Die dringend nötigen Strukturreformen hat er nicht angepackt.
Entwürdigender Verzweiflungsakt
Er glaubte, sich alles leisten zu können. Als Angeklagter stand er über 30 Mal vor Gericht. „Ich bin die weltweit am meisten von der Justiz verfolgte Person“, sagte er. Ein Heer von Advokaten schützte ihn. Er bereicherte sich nicht nur unrechtmässig, hinterzog Steuern und fälschte Bilanzen.
Vorgeworfen wurden ihm auch seltsame Verbindungen zu Mafia-Kreisen. Seine Frauengeschichten sind legendär, was ihm den Übernahmen Bunga-Bunga-Präsident eintrug. Seine Beziehung zur damals minderjährigen Ruby ist noch immer Gegenstand von Gerichtsverhandlungen.
Er, der Cavaliere, der erfolgsverwöhnte Medienmogul, der wahrscheinlich reichste Mann Italiens – er tritt jetzt als Bittsteller vor Matteo Salvini auf. Forza Italia-Anhänger sprechen von einem entwürdigenden Verzweiflungsakt. Ist er wirklich so verblendet, dass er glaubt, er könne in der Welt des Matteo Salvini wieder eine wichtige Rolle spielen?
Von Salvini missbraucht
Die Lega, die früher nur in Norditalien stark war, ist auch mit Berlusconis Hilfe zu einer nationalen Kraft gewachsen. Dass sie nun aber gleich zur stärksten Partei wurde und die Forza Italia zur Unkenntlichkeit zerzauste, lag nicht im Kalkül des viermaligen Ministerpräsidenten. Der politische Altmeister liess sich vom Lega-Jungsporn missbrauchen und als Trampolin benutzen.
Bei den nationalen Wahlen vor einem Jahr wurde Berlusconis Partei erstmals von der Lega überholt. Der aggressive und populistisch clevere Stil Salvinis, der auch die sozialen Medien perfekt bewirtschaftet, zahlte sich aus. Der bedächtige Berlusconi, der seit Jahren die gleichen Sprüche herunterleiert, konnte da nur noch zuschauen. Zwar wurde Berlusconi jetzt ins Europa-Parlament gewählt. Doch mehr als ein Trostpflaster ist das nicht.
Salvini ging vor einem Jahr eine Koalitionsregierung mit der Protestpartei Cinque Stelle ein. Es dauerte nicht lange, bis der Lega-Chef auch die Fünf Sterne an die Wand drückte.
Salvini braucht Berlusconi nicht mehr
Jetzt ist Salvini der unangefochtene starke Mann Italiens, die Galionsfigur der italienischen und gar der europäischen Populisten.
Wer so stark ist, empfindet keine Lust, einem abgewirtschafteten Bittsteller Konzessionen zu machen. Salvini ist heute so mächtig, dass er Berlusconi und seine Rumpftruppe nicht braucht.
Als Salvini von dem Treffen im Palazzo Grazioli erfuhr, reagierte er diplomatisch, aber unmissverständlich.
Er habe Berlusconi kürzlich privat getroffen. Über eine Fusion der beiden Parteien sei aber nicht gesprochen worden. „Ich habe persönlichen Respekt vor Berlusconi“, fügte er bei. Aber: „Berlusconi und seine Geschichte sind Teil der Vergangenheit.“