Piombino ist ein Städtchen am Mittelmeer, südlich von Livorno. Am Eingang des Ortes stehen morbid-gespenstische Silhouetten: heruntergekommene Hochöfen und ein Stahlwerk. Von Piombino aus fahren die Fährschiffe auf die nahe Insel Elba.
Piombino ist das Sinnbild einer „roten“ Stadt. Seit dem Zweiten Weltkrieg regierte hier ununterbrochen die Linke: früher die Kommunisten, dann die Sozialisten und dann die Sozialdemokraten. Und jetzt dies!
Am vergangenen Sonntag gewann in Piombino zum ersten Mal seit über siebzig Jahren die Rechte. Lega-Chef Matteo Salvini triumphiert. „Wir regieren jetzt dort, wo jahrzehntelang die Linke regiert hat“, prahlt er.
Die Linke rappelt sich auf – die Lega dominiert
Die Linke regiert jetzt nur noch 41 der 110 grossen italienischen Städten. Damit hat sie die Mehrheit verloren. Zählt man allerdings die kleineren Städte dazu, dominiert die Linke nach wie vor. Nach dem Zusammenbruch bei den nationalen Wahlen vor gut einem Jahr rappelt sie sich wieder auf und legt in fast allen Regionen wieder zu. Als positive Entwicklung wertet der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) die Rückeroberung der wichtigen toskanischen Stadt Livorno. Offenbar schwenken da und dort enttäuschte Anhänger der Protestpartei Cinque Stelle wieder zu den Sozialdemokraten.
Trotz linker Genesung: die Lega von Matteo Salvini ist fast überall auf dem Vormarsch. Die jetzigen Bürgermeisterwahlen bestätigen die dominante Stellung der Rechtspopulisten. Bei den Europawahlen im Mai hatte die Lega 34 Prozent der Stimmen geholt. Damit ist sie zur stärksten italienischen Partei geworden.
Die Lega kostet ihre Siege aus – nicht immer geschmackvoll. In Ferrara attackierten siegreiche Lega-Anhänger eine Pizzeria, in der zwei Pakistaner arbeiteten. Die Populisten pfiffen sie aus und schrien „Packt eure Koffer, verreist, subito.“
Hochmut ohne Grenzen
Auch Matteo Salvini, der sich gerne mit dem Rosenkranz zeigt, überbordet in seinem Siegesrausch. Bei einer Wahlveranstaltung in Cremona in der Emilia-Romagna gab er sich witzig. Ein 25-Jähriger hielt einen Schal hoch und rief „Liebe deinen Nächsten“. Das kam schlecht an. Mehrere Salvini-Anhänger verpassten dem jungen Mann Fusstritte und schlugen ihn. Salvini antwortete: „Lasst den armen Kerl, applaudiert ihm, er ist ein Kommunist ... er wird im wissenschaftlichen und technischen Museum in Mailand landen, so wie die Dinosaurier dort.“ Seine Anhänger brüllten vor Freude. Wieder hat Salvini etwas von Berlusconi gelernt: er bezeichnet alle, die nicht für ihn sind, als Kommunisten.
Der Hochmut des Lega-Chefs, der auch stellvertretender Ministerpräsident ist, wächst von Tag zu Tag. Eigentlich ist er Innenminister, doch in seinem Ministerium taucht er selten auf. Er treibt vor allem Wahlkampf. Manchmal tritt er fünf, sechs Mal pro Tag auf. Seine Ochsentour führt ihn von Como bis Syrakus. Immer jubeln ihm Tausende zu. Er spricht vor historischen Schlachtenbildern, auf Plätzen und in Spitälern, an einer Landwirtschaftsmesse (mit Esel) und in Zigeunercamps, die er räumen lässt. Und die Medien berichten und berichten. Immer ist wenigstens eine Fernsehstation dabei. Kaum ein Tag, an dem die Tagesschau des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders Rai den Lega-Chef nicht zeigt. Da streichelt er Babys, küsst alte Frauen, hilft einem alten Mann über die Strasse. Die linksliberale Zeitung „La Repubblica“ bezeichnet die Rai schon als „Salvini-TV“. Nicht von ungefähr: immerhin ist der neue Rai-Präsident (der übrigens das Tessiner Bürgerrecht besitzt) ein glühender Salvini-Anhänger.
Gehirnwäsche
Doch selbst in Salvini-kritischen Medien ist der Lega-Chef omnipräsent. Wenn er mit seiner neuen Freundin Francesca Verdini (die frühere ist ihm davongelaufen) über die Piazza Colonna in Rom spaziert, ist das der Repubblica eine halbe Seite und drei Fotos wert.
Die tägliche Berieselung mit dem allgegenwärtigen Wählkämpfer Salvini kommt fast schon einer Gehirnwäsche gleich: Sie ist sicher ein wesentlicher Grund für seine Popularität. Denn: an Salvinis Leistungsbilanz kann es nicht liegen.
Die populistische italienische Regierung ist alles andere als erfolgreich. Zwar ist es Salvini mit seiner unmenschlichen Flüchtlingspolitik gelungen, die Zahl der Immigranten stark zu senken: statt nach Italien zu kommen, werden sie nun auf andere Routen abgedrängt – oder ertrinken im Meer. Ein von Salvini am Dienstag eingebrachtes Dekret sieht vor, dass Schiffe, die Flüchtlinge in Seenot aufgreifen und „nicht das Recht dazu haben“, mit einer Busse von bis zu 50’000 Euro belegt werden können.
Schlechte Wirtschaftszahlen
Wirtschaftlich geht es Italien nicht gut. Die Wirtschaft wächst kaum, ständig droht eine Rezession. Die Industrieproduktion ging laut jüngsten Zahlen innerhalb eines Jahres um 1,5 Prozent zurück. Die Schuldenpolitik hat zu stark gestiegenen Renditen für italienische Staatsanleihen geführt. Das Vertrauen der Investoren leidet. Manche wandern ab.
Die Wirtschaftspolitik der italienischen Populisten kann einfach zusammengefasst werden. Das Land ist mit 2’300 Milliarden Euro verschuldet. Salvini und Co. wollen jetzt noch mehr Schulden machen, um ihre Wahlversprechen finanzieren zu können. Dazu gehört eine Flat Tax, die Herabsetzung des Rentenalters sowie ein Grundeinkommen für Arme und Arbeitslose. Diese Vorhaben kosten Hunderte zusätzliche Milliarden. Die Regierung hofft, dass damit die Wirtschaft angekurbelt wird. Fast alle namhaften Wirtschaftswissenschaftler sehen das anders.
Unseriös, kontraproduktiv
Tito Boeri, einer der bekanntesten italienischen Ökonomen, hat die Wirtschaftspolitik der Populisten seit jeher als unseriös bezeichnet. Ignazio Visco, der Notenbankchef, fürchtet, dass die Erhöhung des Staatsdefizits kontraproduktiv ist. Der frühere Finanzminister Pier Carlo Paduan sagte, „keynesianische“ Massnahmen nützten nichts, wenn nicht endlich die Strukturreformen angegangen würden.
Für zusätzliche Aufregung sorgt nun die jüngste Idee der populistischen Regierung. Sie will sogenannte Mini-Bots einführen (Bots = Buono ordinario del Tesoro). Dabei handelt es sich um minderwertige staatliche Mini-Obligationen, die als eine Art Gegenwährung eingesetzt werden sollen und keinen Zins abwerfen. Das von den Populisten dominierte Parlament hatte kürzlich die Einführung solcher Schuldscheine befürwortet, obwohl die meisten Parlamentarier erwiesenermassen keine Ahnung hatten, um was es sich da genau handelt. Ökonomen und Investoren sind entrüstet. Die Mini-Bots seien das Eigeständnis wirtschaftlicher Unfähigkeit der Regierung und brächten der Wirtschaft einen weiteren schweren Vertrauensverlust.
Häme für Brüssel
Die italienische Schuldenpolitik ist der EU schon längst ein Dorn im Auge. Doch Salvini hat für Brüssel nur Häme übrig. Der Innenminister vergisst, dass nur wenige Länder derart stark von der EU profitieren wie Italien. Ohne die Europäische Union wäre das Belpaese ein Drittweltland. Hunderte Milliarden hat Brüssel in Italien investiert. Kaum ein grosses italienisches Infrastrukturprojekt, das ohne Mitfinanzierung der EU zustande gekommen ist. Doch Salvini gelingt es, dem Volk die Botschaft zu vermitteln, dass allein die EU für die italienischen Probleme verantwortlich ist.
Jetzt scheint die Geduld der EU zu Ende zu gehen. Brüssel zahlt und wird verspottet. „Einem Lebensretter pisst man nicht ständig ans Bein“, frotzelt ein linksliberaler Römer Journalist. Notenbankchef Ignazio Visco fordert Salvini auf, die EU nicht ständig zu kritisieren. „Es ist falsch, Europa für unsere Probleme verantwortlich zu machen“, sagte er. „Dies lenkt nur von den wirklichen Problemen ab, die Italien hat.“
„Ich mache, was ich will.“
Vergangene Woche hat Brüssel einen Mahnbrief nach Rom geschickt und ein Defizitverfahren angekündigt. Dem Belpaese droht eine Strafe von zehn Milliarden Euro. Allein diese Ankündigung hat das Vertrauen der Investoren in die drittgrösste europäische Volkswirtschaft weiter stark beschädigt.
Doch Salvini spottet weiter. „Brüssel soll mir doch Briefe schicken, ich mache, was ich will“, soll der Lega-Chef laut Angaben von Römer Journalisten kürzlich in kleinem Kreis gesagt haben.
„Mit Brüssel verhandle ich und nicht Salvini.“
Eigentlich ist Salvini „nur“ Innenminister. Doch da er Chef der stärksten Partei ist, führt er sich längst auf wie der Ministerpräsident. Dieser, Giuseppe Conte, galt bisher als „Pudel“ des Innenministers, als farbloser Vollstrecker der Meinung Salvinis. Jetzt versucht Conte, an Profil zu gewinnen. Wenn sich die beiden zerstrittenen Regierungsparteien, die Lega und die Cinque Stelle, nicht endlich einigen können, werde er zurücktreten, drohte er. Conte machte klar, dass Italien mit der EU eine einvernehmliche Lösung finden muss.
Im Klartext heisst das: Italien muss der Forderung der EU entgegenkommen und versuchen, das Budgetdefizit zu reduzieren. Das bedeutet auch eine Absage an Salvinis Wirtschaftspläne. Der Ministerpräsident stellt klar: „Mit Brüssel verhandle ich und nicht Salvini.“ Inzwischen hat sich auch Wirtschaftsminister Giuseppe Tria auf die Seite von Conte geschlagen. Dies könnte ihm seinen Platz in der Regierung kosten. Salvini will Tria mit einem Mann ersetzen, der ihm hörig ist. Die Stimmung in der Regierung ist jämmerlich.
Durchwursteln und kein Ende
Wie geht es nun weiter? In Rom wird über verschiedene Szenarien spekuliert.
Die einen glauben, Salvini pokere hoch, werde aber schliesslich nachgeben und seine teuren Wahlversprechen mit einigen Tricks vorläufig aufs Eis legen. Er wisse, dass sich Rom einen Bruch mit der EU nicht leisten könne. Diese Ansicht vertritt unter anderen Pier Carlo Paduan, der frühere Finanzminister.
Wahrscheinlich ist, dass jetzt das übliche italienische „Durchwursteln“ beginnt. Man wird der EU etwas entgegenkommen – und dann wieder doch nicht. Man wird lavieren, man wird verhandeln und verhandeln.
Salvini hat einen grossen Trumpf in der Hand. Wenn es nicht nach seinem Gusto läuft, kann er die Regierung stürzen und Neuwahlen provozieren. Dann wird er gewinnen, dann kann er endlich ohne die ihm lästigen Cinque Stelle regieren. Dann ist er selbst Ministerpräsident.
Populisten brauchen Feindbilder
Und die EU? Sie befindet sich in einer schwierigen Lage. Bisher war sie Italien gegenüber nachsichtig. Das hat seinen Grund: Ein wirtschaftlicher Kollaps Italiens würde ganz Europa ins Schlamassel ziehen. Doch wie lange lässt es die EU zu, dass ihr Salvini auf der Nase herumtanzt? Wird Brüssel endlich die Kraft haben, Italien den Meister zu zeigen. Leute wie Salvini reagieren nur auf Härte. Oder wird die EU wieder lavieren und wird Salvini wieder spotten?
Es ist nicht zu erwarten, dass Italiens starker Mann seine Attacken auf die EU einstellt. Populisten brauchen Sündenböcke, und Salvini braucht Brüssel als Feindbild, um seine Wähler bei der Stange zu halten.
Die eigentliche Kraftprobe steht erst noch bevor.