Als hätten die Medien – Stichwort „Creative Disruption“ – nicht schon Probleme genug, begibt sich auch Hollywood wieder auf journalistisches Terrain. Nicht etwa nur in Form eines neuen Films wie „Spotlight“, der faszinierend nachzeichnet, wie ein Reporterteam des „Boston Globe“ aufdeckt, dass die lokale Erzdiözese nach der Jahrtausendwende den Kindsmissbrauch pädophiler Priester zu vertuschen versucht. Gegen diese Art kreativen Wilderns ist gar nichts einzuwenden – im Gegenteil.
Fragwürdig jedoch, wenn ein anerkannt brillanter Schauspieler wie Sean Penn seinen Hollywood-Ruhm instrumentalisiert und zum Journalisten mutiert. Wie jüngst im Fall seines Interviews mit dem mexikanischen Drogenboss Joaquín „El Chapo“ Guzmán, einem der meistgesuchten Verbrecher der Welt. Den die mexikanischen Behörden – was für ein Zufall! – am Tag vor Erscheinen des Interviews im US-Magazin „Rolling Stone“ in der Nähe von Los Mochis festgenommen haben, ein halbes Jahr nachdem Guzmán spektakulär durch einen Tunnel aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano ausgebrochen war.
Es ist müssig, zu diskutieren, ob Sean Penns Kontakte zum Chef des Sinaloa-Kartells den lokalen Sicherheitsinstanzen allenfalls geholfen haben, den prominenten Ausbrecher zu lokalisieren. Ironisch wäre es auf jeden Fall, wenn „El Chapo“ aufgrund seines Leinwandhungers zum Opfer seiner eigenen Eitelkeit geworden wäre. Dem Vernehmen nach sähe er es gerne, wenn Hollywood seinen Aufstieg vom Bauernbub zum Milliardär verfilmen würde.
Sehr wohl aber lässt sich fragen, ob ein 10‘680 Wörter langer Primeur es wert ist, in einer abgelegenen Dschungellichtung einen Kriminellen zu befragen, der am Ende für den Tod Tausender von Menschen verantwortlich ist – kein treusorgender Familienmensch, wie Sean Penn ihn schildert, sondern ein kaltblütiger Killer. Kommt dazu, dass „Rolling Stone“ sich damit einverstanden erklärte, die Antworten, die einige Zeit nach dem ersten Treffen im Dschungel von „El Chapo“ selbst auf Video aufgezeichnet und dem Filmstar in Los Angeles zugespielt wurden, dem Interviewten zur Genehmigung vorzulegen.
Kein Wunder, stösst Sean Penns Artikel unter Journalisten auf wenig Begeisterung. Sicher nicht in Mexiko, wo im vergangenen Jahrzehnt laut dem Committee to Protect Journalists (CPJ) mehr als 60 Medienschaffende in Ausübung ihres Berufes ermordet oder unauffindbar entführt worden sind – Opfer jenes Drogenkriegs, der in der Republik mindestens 100‘000 Tote gefordert hat. „El Chapo“ ist einer seiner Hauptexponenten, auch wenn er auf einem Foto nach seiner Festnahme, das im Zimmer eines Stundenhotels gemacht wurde und ihn im Unterleibchen zeigt, wenig furchterregend und schon gar nicht glamourös à la Hollywood wirkt.
Nun ist es nicht so, dass sich Sean Penn der dubiosen Natur seiner Exkursion in den Journalismus nicht bewusst gewesen wäre. Nur war offenbar seine Faszination für einen filmreifen Charakter wie „El Chapo“ stärker als seine ethischen Bedenken. Auch dürfte die einem Schauspieler nicht ganz fremde Eitelkeit eine Rolle gespielt haben, die stolze Genugtuung, an einen Schwerstverbrecher heranzukommen, den ein normaler Journalist nie hätte kontaktieren können, es sei denn, er sei lebensmüde. „Hollywood ist ein Ort, wo sie dir tausend Dollar für einen Kuss bezahlen und fünfzig Cents für deine Seele“, hat Marilyn Monroe einst über Amerikas Traumfabrik gesagt. Sean Penn hat „El Chapo“ zwar nicht geküsst, in seiner Gegenwart aber, wie er erzählt, einmal kurz gefurzt. Seinen Gastgeber habe das nicht gestört. Uns schon.