In fast allen europäischen Staaten gibt es auf Autobahnen ein Tempo-Limit. In Deutschland gilt: Freie Fahrt. Für manche Deutsche scheint Rasen ein unveräusserliches Menschenrecht zu sein – die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer inbegriffen.
Eine Klimaarbeitsgruppe der Bundesregierung hat in Erwägung gezogen, auch auf deutschen Autobahnen eine Tempobeschränkung von 130 km/h einzuführen. Das sei „gegen jeden Menschenverstand“, sagte Scheuer. „Was soll der Ansatz der ständigen Gängelung“, fügte er bei. „Die deutschen Strassen sind die sichersten Strassen weltweit“, sagte er am Sonntag. Nur stimmt das nicht.
Laut einer Statistik des Europäischen Rates für Verkehrssicherheit (ETSC) steht Deutschland nur an zehnter Stelle mit 2,97 Toten pro Milliarde gefahrener Autobahnkilometer. Vor Deutschland liegen alles Länder, die eine Tempobegrenzung auf Autobahnen kennen. Am sichersten ist das Autofahren in der Schweiz mit 1,41 Toten pro Milliarde gefahrener Kilometer – also mit halb so vielen Toten wie in Deutschland. Die deutsche Polizeigewerkschaft widerspricht Scheurer deutlich: „Geschwindigkeit ist der Killer Nummer eins.“
Herr Scheuer geht freizügig mit Zahlen und Statistiken um. Ein Tempolimit würde den CO2-Ausstoss um weniger als 0,5 Prozent reduzieren. Scheuer kann diese Behauptung nicht belegen. Sie steht im Widerspruch zu allen seriösen internationalen Untersuchungen. Alle wissen: Je schneller man fährt, desto grösser der Luftwiderstand, desto höher steht der Zeiger auf dem Tourenzähler, desto schneller ist der Tank leer, desto mehr CO2 wird in die Luft befördert. Um das zu kapieren, braucht es kein Physikstudium.
Scheuer griff eine sehr umstrittene Untersuchung einiger Lungenärzte auf, die die geltenden Grenzwerte für Stickoxid in Frage stellen. Diese Untersuchung wird von den meisten Ärzten und auch von der Gesundheitsorganisation WHO als „unseriös“ und „an den Haaren herbeigezogen“ bezeichnet. Fazit: Je schneller man fährt, desto mehr werden die Lungen belastet, desto mehr werden Verkehrsteilnehmer gefährdet.
Scheuer erhielt plötzlich Unterstützung von seinem CSU-Parteigenossen Markus Söder. Der sagte: „Das Tempolimit ist eine typisch ideologische Verbotsdiskussion aus der grünen Mottenkiste.“ Als ob ganz Europa von Grünen regiert würde.
Scheuer und Söder setzen sich dem unschönen Verdacht aus, dass sie im Dienste der schwer gebeutelten und angeschlagenen deutschen Autoindustrie Politik machen. Darauf deutet eine Aussage Scheuers hin: Als Erstes müsse „die masochistische Debatte beendet werden, wie wir uns in Deutschland mit immer schärferen Grenzwerten selbst schaden und belasten können“. Mit „wir“ meinte er wohl die deutsche Autoindustrie mit ihren Abgasproblemen.