Fast alle kennen seine Bilder. Das ist nicht schwierig, denn die meisten davon stehen Kopf. Seit Ende der Sechzigerjahre hat Baselitz begonnen, verkehrt herum zu malen. Die leichte Erkennbarkeit trägt zweifellos dazu bei, dass seine Produktion auf dem Kunstmarkt in der Top-Liga figuriert. Da hat einer ein wirkungsvolles Markenzeichen geschaffen. Oder muss man eher von einer Masche reden?
Die Basler Ausstellungen bieten nun Gelegenheit, diese oberflächliche Charakterisierung zu überprüfen. Beyeler zeigt das malerische Werk, ergänzt durch einige Holzskulpturen; das Kunstmuseum widmet sich in seinem Neubau den Arbeiten auf Papier. Beide Häuser bieten biographische Querschnitte seit den Anfängen von Baselitz’ Schaffen.
Zur Rebellion angestachelt
Geboren 1938 als Hans-Georg Bruno Kern im sächsischen Dorf Deutschbaselitz, war er im Krieg schon alt genug, um dessen Schrecken zu erleben. Jugend und erste Erfahrungen mit Kunst standen in einem Zwiespalt: auf der einen Seite die kulturelle Tradition, zu der ihm sein Onkel, ein Pfarrer, Zugang verschaffte; auf der anderen Seite die sozialistische Doktrin und Ästhetik der DDR. Dass er sich den letzteren nicht unterwerfen wollte, war schon dem Neunzehnjährigen klar. Nach zwei Semestern wurde er 1957 wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ aus der Ostberliner Kunsthochschule rausgeworfen. Baselitz setzte das Studium in Westberlin fort.
In den Sechzigerjahren sah sich die Kunst im Westen an einem Nullpunkt. Der amerikanische abstrakte Expressionismus hatte die Möglichkeiten nichtfigurativer, gestischer und aktionistischer Malerei ausgelotet. Neue Ansätze gab es in der Minimal Art, in Konzeptkunst, mit seriellen Werken. Eine erneute Hinwendung zu Bildgegenständen mit direkten Anknüpfungen an vormoderne ästhetische Auffassungen hingegen galt den Avantgarden als unmögliche und unzulässige Restauration, ja als Verrat an der Moderne. Den Rebellen Baselitz stachelte das an.
An der Kunstgeschichte orientiert
Doch nicht nur um seine Vita ins Licht berühmter Namen zu stellen, orientiert Baselitz sich an der Kunstgeschichte. Immer hat er die Œuvres derjenigen Maler genau studiert, bei denen er verwandte Bildauffassungen und Haltungen entdeckte. Die Maler der Gruppe Die Brücke – namentlich Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde –, ferner Willem de Kooning und ganz besonders Edvard Munch gaben ihm wichtige Inspirationen. Für Kunst, so Baselitz’ Überzeugung, kann nur wiederum Kunst Massstab und Referenz sein. Das Bild ist für ihn eine Entität ganz eigener Kategorie; es richtet sich nicht nach einer ihm vorgegebenen Wirklichkeit, sondern schafft stets eine eigene.
Die These, das Bild habe einen einzig auf es selbst bezogenen Realitätsgehalt, ist im Fall der abstrakten Kunst unmittelbar einleuchtend. Soll sie auch für figurative Darstellungen gelten, bedarf sie der Beglaubigung durch die Erkennbarkeit eines Schaffensprozesses, der sich quasi vor den Bildinhalt schiebt. Das leistet im einen Fall ein markanter Gestaltungswille, im anderen eine individuelle Pinselhandschrift. Baselitz, wiewohl er über beides verfügt, unterstreicht die Autonomie des Bildes zusätzlich mit der Umkehrung der Sujets um 180 Grad. Dieser Kniff will die wiedererkennende Wahrnehmung stören, aber nicht (er malt ja figurativ!) verhindern.
Ob das auch nach sechs Jahrzehnten und Hunderten von Gemälden und Zeichnungen noch so funktioniert, ist allerdings zu fragen. Baselitz ist längst zu bekannt, als dass Kunstinteressierte sich von seinen verkehrten Artefakten noch überraschen lassen könnten. Was vom Kippen der Motive noch bleibt, ist der Branding-Effekt: Es signalisiert schon dem flüchtigen Blick des in Kunstsachen minimal informierten Betrachters: ein Baselitz. Solche kleine Aha-Erlebnisse stehen den intendierten grösseren im Weg.
Perspektive des Alters
Baselitz legt es nicht darauf an, es den Betrachtern einfach zu machen, aber er will durchaus verstanden werden. Seine Bilder sind lesbar, spielen mit Mythischem, ikonographischen Mustern, kunstgeschichtlichen Referenzen. Im Frühwerk allerdings überborden Wildheit, Empörung und Aggression, und so sind denn die ersten beiden Säle der Schau bei Beyeler nicht leicht zu ertragen. Zu empfehlen ist der kurze Porträtfilm über Georg Baselitz von Heinz Peter Schwerfel, der ebenfalls in der Fondation Beyeler läuft. Er zeigt den Achzigjährigen beim Gespräch in einem seiner Ateliers. Was man hier aus erster Hand erfährt, kann einem das sperrige Werk und die schroffe (oder einst schroff gewesene) Persönlichkeit des Künstlers näher bringen.
Das Alter hat, wie Baselitz an anderer Stelle sagt, Züge seiner Person gestärkt, die ihn ein Stück weit mit sich selbst versöhnen: Milde, Humor und – ja, auch dies – Weisheit. Einer, der wie er keinem Schrecken des Wirklichen ausgewichen ist, hat wohl im Alter ein Anrecht auf Gelassenheit. Vielleicht ist es richtig, die doppelte Basler Werkschau aus dem Blickwinkel des gealterten Baselitz zu betrachten. Eine solche Sicht lässt auch den verstörenden frühen Arbeiten ihr Recht, ohne sie jedoch ins Zentrum des Œuvres zu rücken. Eine solche kanonische Mitte gibt es in den biographisch ausgerichteten Präsentationen ohnehin nicht. Sie zeigen das rastlose Schaffen eines Monstre sacré, das zumindest Respekt und – das ist Geschmacksache – allenfalls Bewunderung verdient.
Fondation Beyeler, Riehen bei Basel: Georg Baselitz, bis 29.4.2018
Kunstmuseum Basel, Neubau: Georg Baselitz, Werke auf Papier, bis 29.4.2018