Im Schauspielhaus waren die vergangenen Tage vom grossen Kofferpacken geprägt. Eine ganze Schauspielproduktion wurde reisefertig gemacht und ist inzwischen auf der ersten Etappe unterwegs in Richtung China. Reiseleiter für Kisten und Schachteln, Koffer und Taschen ist Carsten Grigo. Er gehört zum technischen Personal des Zürcher Schauspielhauses und ist sozusagen Spezialist für Gastspiele. Die Reise geht ans Theaterfestival von Wuzhen.
Wuzhen, eine malerische Museumsstadt mit Wasserwegen, liegt – aus der Schweiz gesehen – in der Nähe von Shanghai. Seit drei Jahren gibt es dort ein Theaterfestival, dessen Ehrenpräsident diesmal Peter Brook ist, der englische Regie-Altmeister, der sich seit Jahrzehnten mit Welt-Theater beschäftigt. Wuzhen ist ein junges Festival, aber eines mit durchaus internationaler Bedeutung. „Es ist ein Fest für östliches und westliches Drama" sagt Chen Yu, der Generaldirektor des Wuzhen Theater Festivals. „Wuzhen möchte die interkulturelle Kommunikation zwischen den Ländern fördern." Es gilt als wichtige Plattform für den Kulturaustausch zwischen chinesischen und westlichen Stilrichtungen mit 73 Aufführungen von über 20 Stücken aus zwölf Ländern.
Unterwegs auf der „Thalassa Avra“
Dort zeigt das Schauspielhaus Zürich Mitte Oktober „Die Physiker“, eine kunterbunte, schräge und schillernde Version des Dürrenmatt-Klassikers. Bevor die Schauspieler aber dort auf die Bühne treten, spielt Carsten Grigo noch die Hauptrolle. Das Theater in Wuzhen hat ihn beeindruckt, als er es das erste Mal inspiziert hat. „Es gibt zwei Säle, und die grosse Bühne ist etwa dreimal so gross wie unsere im Pfauen“, sagt er. „Wir müssen also das Bühnenbild anpassen, ohne den Bühnenraum, in dem ‚Die Physiker‘ spielen, gross zu verändern. Wir werden mit schwarzen Stellwänden und Vorhängen arbeiten, um den Raum wie in Zürich aussehen zu lassen. Da das Theater ein Gastspielhaus ist, müssen wir selbst praktisch an alles denken und jede Einzelheit besprechen. Permanent bespielte Theater können besser auf alles reagieren, weil sie die Theaterpraxis kennen.“
Ein 40-Fuss-Container mit Material ist nun zunächst nach Hamburg unterwegs, dort wird er auf das Schiff „Thalassa Avra“ verladen und ist dann etwa 40 Tage auf hoher See, bis er in Shanghai ankommt und nach Wuzhen weiter transportiert wird. Dann gibt es drei Vorstellungen in Wuzhen und anschliessend reist das gesamte Material wieder zwei Monate zurück in die Schweiz. „Wir müssen also vier Monate darauf verzichten“, sagt Carsten Grigo und betont, dass man deshalb sozusagen mit „kleinem Gepäck“ reise um das Transportvolumen so knapp wie möglich zu halten.
Physiker in Kisten verpackt
Carsten Grigo hat Erfahrung mit Gastspielen. Nicht erst, seit er am Schauspielhaus dafür zuständig ist, sondern schon vorher hat er Theaterproduktionen verpackt und auf die Reise geschickt. „Ich war in Berlin beim Tanztheater von Sasha Waltz und das ist ja praktisch eine reine Gastspiel-Compagnie. Da war man ständig auf Achse. Für mich ist es aber jetzt eine neue Herausforderung, am Schauspielhaus, also einem festen Theater, das normale Repertoire mit den Gastspielen zu koordinieren.“
Friedrich Dürrenmatt
„Die Physiker“
Schauspielhaus Zürich
Regie und Bühnenbild: Herbert Fritsch
mit Jean-Pierre Cornu, Corinna Harfouch
und anderen
„Die Physiker“ hat er schon ein paarmal zusammengelegt und in Kisten zu Gastspielen verschickt, das hilft natürlich auch jetzt bei der ganz grossen Reise. „Es ist halt schon so, dass jedes Stück verpackt werden muss: Bühnenbild, Kostüme, Schminkmaterial für die Maske, Handwerkszeug, elektrische Kabel und und und… dann wird der Container geschlossen und versigelt. Auch die Zollpapiere sind sehr aufwändig. Und Anfang Oktober, wenn der Container in China ankommt, gibt es dort eine Reihe von Feiertagen, was die Abwicklung auch nicht gerade vereinfacht. Es ist ein grosser Aufwand.“
Aber natürlich ist es auch spannend und eine Ehre fürs Schauspielhaus, zusammen mit dem Thalia Theater aus Hamburg deutschsprachiges Theater in China zu zeigen. Und warum gerade „Die Physiker“? „Man sollte es kaum glauben, aber Dürrenmatts Werke sind dort Schulstoff und deshalb in China recht bekannt. Daher auch das grosse Interesse des Theaterfestivals Wuzhen an der Inszenierung…“, heisst es von Seiten des Schauspielhauses. Und das ist doch bemerkenswert.
Wie es dem Schauspielhaus dann im Oktober in Wuzhen ergeht, darüber mehr in zwei Monaten…