Im vom Tourismus noch weitgehend unberührten Provinzstädtchen Camaguey wurde vor wenigen Monaten eine Fussgängerzone mit Läden, Restaurants und sogar einem renovierten «Gran Hotel» eröffnet. Nicht nur in Havanna, sondern auch in der Pampa bekommen die Häuser wieder Farbe. Und in jedem zweiten Hauseingang bieten Cuenta Propistas, Kleingewerbetreibende, die meisten der inzwischen 196 erlaubten Tätigkeiten «auf eigen Rechnung» an. Erfrischungsgetränke, selbstgemachte Pizza, Reparaturdienstleistungen, Coiffeure, Maniküre, Schuhmacher, Schreiner, für Kubaner verwandelt sich die Insel in ein Dienstleistungsparadies. Von den Paladares ganz zu schweigen, Privatrestaurants, die mit viel Liebe zum Detail und auch viel Geld aus dem Ausland perfekten Service und bekömmliche Speisen anbieten. Aber das alles beschreibt nur die Oberfläche, viel tiefgreifender sind zwei weitere Reformen.
Immobilienmarkt entsteht
Die meisten Kubaner reiben sich heute noch erstaunt die Augen, obwohl diese Entscheidung vom Parteitag im Frühling angekündigt wurde: Zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren dürfen Häuser – nebenbei auch Autos – frei gehandelt werden. Bislang waren zwar die meisten Kubaner Besitzer ihrer Immobilie, durften sie aber offiziell nur eintauschen, wobei natürlich ein lebhafter Schwarzmarkt existierte. Die Preisgestaltung kann frei zwischen Käufer und Verkäufer ausgehandelt werden, wobei der Staat nur eine bescheidene Steuer erhebt. Nun gibt es logischerweise, mangels Markt, keine Marktpreise, an denen man sich orientieren könnte.
Das wird in den nächsten Monaten zu einem netten Chaos führen, in dem gewiefte Kubaner schnell reich werden, indem sie für ein Trinkgeld ein Haus oder eine Wohnung erwerben. Das Geld kommt natürlich vorwiegend aus dem Ausland, während aber nur Kubaner oder Ausländer mit einer permanenten Aufenthaltsbewilligung Immobilien erwerben dürfen. Gegen das Weisswaschen von illegal erworbenem Geld wurde die Schranke eingebaut, dass der Käufer die Herkunft seiner Mittel erklären muss, was immer das konkret heissen mag.
Kredite sind am Entstehen
Bislang galten Kredite, genau wie Zinsen, als kapitalistische Erfindung, die im Sozialismus keinen Platz haben. In einem zweiseitigen Artikel in der Parteizeitung «Granma» wurde aber vom Präsidenten der Kubanischen Nationalbank erläutert, dass demnächst auch Geschäftskredite für Kleinunternehmer gesprochen werden, die bislang darunter leiden, dass sie alles Nötige, wie beispielsweise Scheren, Kämme oder Shampoo für einen Coiffeursalon, nur zu durchaus europäischen Preisen in staatlich kontrollierten Devisenläden kaufen können. Das wird dem aufblühenden Kleinunternehmertum weiter Schub verleihen.
Und noch eine Revolution
Als wäre das nicht schon Umwälzung genug, wurde ebenfalls angekündigt, dass die Produzenten landwirtschaftlicher Produkte ihre Waren direkt an touristische Einrichtungen verkaufen können, und nicht wie bislang zu festgelegten Preisen an den Staat oder zu ebenfalls kontrollierten Preisen auf freien Bauernmärkten. Damit wird eine ganz neue Form von Konkurrenz, Qualitätskampf und eine davon abhängige Preisgestaltung ermöglicht. Dies wird der darbenden Landwirtschaft – die fruchtbare karibische Insel muss über 80 Prozent der Nahrungsmittel importieren – neuen Schub verleihen, ergänzt durch die Vergabe von Ackerland an Privatbauern.
Ein Land, zwei Währungen
Weiterhin einer Lösung harrt die absurde Situation, dass es, immerhin zu stabilen Wechselkursen, die Landeswährung Pesos und die Devisenwährung CUC gibt. Ursprünglich als Ersatz für Dollar in der Touristenwelt eingeführt, müssen inzwischen die meisten Produkte, zu Schweizer Preisen, auch von Kubanern in CUC gekauft werden. Bei einem Wechselkurs von 1 zu 24 und einem durchschnittlichen Monatseinkommen von rund 300 Pesos verunmöglicht das natürlich den Zugang, ausser, man gehört zu den inzwischen mehr als 50 Prozent Kubanern, die durch Verwandtschaft im Ausland oder Kontakt mit Touristen an Devisen herankommen. Aber wichtige Berufe wie Ärzte, Lehrer, Wissenschaftler oder Ingenieure und Architekten haben nach wie vor keinen Zugang zur CUC-Welt.
Auf nach China
Nachdem die kubanische Regierung ankündigte, dass sie Schritt für Schritt über eine Million Staatsangestellte entlassen wird (immer noch sind mehr als 80 Prozent aller Werktätigen staatlich besoldet), musste sie ein Ventil öffnen, um soziale Unruhen zu vermeiden. Das geschah schon einmal in den 90er-Jahren, wurde damals aber wieder abgeklemmt. Diesmal ist der Prozess flächendeckend und unumkehrbar. Kuba hat sich also für das vorsichtige Betreten des chinesischen Wegs entschieden: Aufrechterhaltung des Einparteiensystems mit vollständiger politischer Kontrolle, aber Aufgabe der zentral gelenkten Staatswirtschaft. Wie dann mit dem Entstehen von Interessensverbänden von Kleingewerbetreibenden umgegangen wird, die sicherlich rein wirtschaftliche Forderungen, beispielsweise weniger bürokratische Hürden, Möglichkeit für Direktimporte und –exporte, stellen werden, steht noch in den Sternen.
Sie leben noch
Fidel Castro äussert sich, neben dem Schreiben seiner Memoiren, immer noch fleissig in langen Artikeln zur Weltlage und gelegentlich auch zu Kuba, wobei er, ohne seinen amtierenden Bruder Raúl direkt zu kritisieren, mit deutlich spürbarem Unwillen über diese Reformen herzieht. Wohl deshalb sind auch keine Anzeichen zu erkennen, dass sich Kuba zurzeit auch für ausländische Investoren öffnet. Kuba geht aber, nach langen Jahren der Stagnation und des Stillstands, auf eine neue Reise. Der Anspruch der Egalität ist endgültig aufgegeben worden, und sicherlich wird auch hier, sonst wäre es nicht Kuba, jedes Problem seine Lösung finden. Und jede Lösung ihr neues Problem.