Der Bergfotografie wird künstlerischer Wert gelegentlich abgesprochen. Hehr, ja. Packend, kaum. Unvergesslich, selten. Das mag daher rühren, dass etliche Betrachter Bergbilder mit Bergfilmen assoziieren. Und diesen haftet der Ruch des Heimattümelnden an: Der Berg ruft – Luis Trenker lässt grüssen. Auch in Fotobänden, die vorgeben, die besten Aufnahmen des Mediums aufzulisten, sind Bergbilder kaum vertreten. Zu Unrecht.
Fotohistoriker würdigen immerhin den Aufwand, den gute Bergaufnahmen verursachen. Helmut Gernsheim erinnert an den Pariser Fotografen Auguste Bisson (1814–1876), der im Juli 1861 die ersten Aufnahmen vom Gipfel des Mont Blanc aus machte. Wegen eines Wetterumschwungs brauchten die 25 Träger drei Tage, um die Ausrüstung auf den 4809 Meter hohen Berg zu schleppen: „Zum Wässern der Platten musste der Schnee über der kümmerlichen Flamme einer Öllampe geschmolzen werden, die in dieser Höhe nur schlecht brennen wollte. Alle Teilnehmer litten an Atemnot.“
Ein Berner Pionier
Dem Berner Jules Beck (1825–1904) gelang es jedoch, den Aufwand zu reduzieren, den ein Bergfotograf zu treiben hatte. Statt auf nasse Kollodiumplatten, die eine Ausrüstung von mindestens 250 Kilogramm Gewicht erforderten, setzte der Autodidakt auf Tannin-Trockenplatten. Das verlängerte zwar die Belichtungszeit, das Gewicht des Materials jedoch sank auf 15 Kilogramm. Ab 1866 fotografierte Beck, 24 Jahre lang, mit wackligem Stativ und einäugiger Holzkiste im Hochgebirge. Sein Ziel sei es, sagte er, „die glanzvolle und einzig schöne Firnenwelt ins Flachland hinunter zu zaubern“.
Im Zeitalter von Digitalkameras, Bergbahnen und Helikoptern ist das Hinunterzaubern von Bergbildern einfacher geworden. Jeder kann es, wenn er nur will, und alle können ihre Aufnahmen weltweit teilen, in Sekundenschnelle, über Sites wie Flickr, Instagram oder Pinterest. Der Berg ruft nicht mehr, wie es ein Kabarettist formuliert hat, er kommt gleich selbst – in Zeiten des Klimawandels in Form von Steinschlag, Eisbrüchen oder Muren sowieso.
Fotograf, Geograf und Bergsteiger
Einer aber, der es sich im Gebirge nicht leicht macht, ist der Alpinist, Fotograf und Geograf Robert Bösch, dessen Ausstellung „Aus den Bündner Bergen“ in der Bildhalle in Zürich zu sehen ist. Ein gleichnamiger Fotoband ist im Oktober im Buchverlag der NZZ erschienen. Bösch weiss zwar von der Werbung für Sportartikel her, wie man spektakuläre Action- oder Bergbilder schiesst. Er weiss, wie man eine Bergikone wie das Matterhorn ins beste Licht rückt. Er weiss, was die Leserschaft von Fotozeitschriften, von Magazinen wie „GEO“ „National Geographic“ oder „Stern“ gerne sieht. Er hat alles gemacht, ist international beachtet und ausgezeichnet worden. Doch das genügte dem 62-Jährigen nicht.
Robert Bösch wollte mehr, wollte in den Bündner Bergen, die er bestens kennt, unbekannte Bilder finden, wollte Aufnahmen machen, die einer nicht einfach abhakt, sondern in Musse betrachtet – mit jener Neugier, die der Fotograf hat aufbringen müssen, um sie unter oft widrigen Bedingungen einzufangen. Zwei Jahre lang, sagt Bösch, sei er zwischen Begeisterung und Resignation hin- und her gependelt, stets von Zweifeln geplagt, „ob ich einer umsetzbaren Idee nachging oder ob mein Ansinnen irgendwo zwischen Überschätzung und Blödsinn anzusiedeln war“.
Weg von den Bildern im Kopf
Zu Beginn seiner Bildersuche in den Bündner Bergen habe er, der erfahrene Bergsteiger, der auch schon auf dem Mount Everest war, dauernd das Gefühl gehabt, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein: „Bis ich zu begreifen – und vor allem zu respektieren – begann, dass es bei diesem Projekt kein zu früh oder zu spät, keinen guten, falschen, besseren oder schlechteren Standort gab. Landschaft, Wetter, Licht – das war. Es galt schlicht, in dieser Landschaft zu sein.“ Es galt für ihn in jenen Zustand zu gelangen, in dem einer kontrolliert, was er tut und das, was er tut, mühelos macht und im Vollbesitz seines Könnens – „to get into the flow“.
Dabei habe er, räumt Robert Bösch ein, sich von den Bildern lösen müssen, die er im Kopf hatte, habe sich dazu zwingen müssen, seine Erfahrung in Sachen Landschaftsfotografie über den Haufen zu werfen: “Nur so, war ich überzeugt, entstand vielleicht Neues.“ Was ist aber neu? Es gebe für ihn, so der Fotograf, keine Regel, wie gute Landschaftsbilder auszusehen hätten – „ausser dass sie irgendwie im Gleichgewicht sein müssen“.
Beide Ziele, Neues und Bilder im Gleichgewicht, hat Robert Bösch in der Ausstellung und im Buch erreicht. Seine Bergfotografien in der Bildhalle, mit einer Ausnahme alle in Schwarz-Weiss, strahlen auf den Betrachter Ruhe aus und wirken entrückt, wie etwa die Aufnahme des Piz Beverin im Safiental oder jene des Sentisch-Horns im Gebiet des Flülapasses. Ein zwar stimmungsvolles, aber eher konventionelles Bild wie das des abendlichen Silvaplanersees fällt da fast aus dem Rahmen.
Es geht dem Fotografen nicht darum, bekannte Berge sofort wiedererkennbar abzulichten. Vielmehr geht es ihm um das Zusammenspiel von Licht und Schatten, von Formen und Schemen, von Konvergenz und Kontrast: „Eigentlich haben mich die Bündner Berge (…) nicht interessiert. Ich war auf der Suche nach Bildern.“
Bilder jagen wie ein rares Tier
Und solche Bilder, die ihm zufolge etwas viereckiges „Aus-der Welt-Herausgelöstes“ sind, hat Robert Bösch in den Bündner Bergen gefunden, etwa vom Piz Bernina, vom Piz Glüschaint oder von der Cima dal Largh. Die packenden Aufnahmen lassen vergessen, wie gross Aufwand, Mühen und wohl auch Risiken waren, um sie zu schiessen – sie zu erkennen wie ein rares Tier, von dem der Fotograf nicht wusste, wie es aussah: „Ich wusste nur, dass es überall auftauchen konnte, bei jedem Wetter, bei jedem Licht, bei jedem Nicht-Licht.“
Robert Böschs Trachten nach aussergewöhnlichen Bildern, unterwegs in Fels, Eis und Schnee, erinnert an Peter Matthiessens (1927–2014) zweimonatige Suche nach dem Schneeleoparden in dessen natürlichem Habitat in der Region Dolpo im Nordwesten Nepals – eine Expedition, die der Amerikaner im Buch „The Snow Leopard“ eindringlich beschreibt. Himalaya-Besucher aus dem Westen hatten die rare Raubkatze zuvor in 25 Jahren zuvor lediglich zweimal gesichtet.
Matthiessen, ein Ex-CIA-Agent, sollte scheitern, der Schneeleopard entzog sich ihm. Doch am Ende für den Autor war der beschwerliche Weg das Ziel, der Weg, nach dem Krebstod seiner Frau, zurück zu sich selbst: „Die Sonne dröhnt, sie füllt jeden Schneekristall bis zum Bersten. Ich bin gerührt, so erschüttert, dass ich es nicht verstehe, und erneut frieren auf meinem Gesicht die warmen Tränen ein. Diese Felsen und Berge, diese ganze Materie, der Schnee, die Luft – die Erde klingt hell. Alles ist in Bewegung, voller Kraft, voller Licht.” Robert Bösch dürfte das Gefühl kennen.
„Robert Bösch – Aus den Bündner Bergen“; Bildhalle – Galerie für zeitgenössische und klassische Fotografie, Stauffacherquai 56, 8004 Zürich; Öffnungszeiten bis zum 14 Januar 2017: Mi–Fr: 12h bis 18.30h, Sa: 11h bis 17h.
Robert Bösch: „Aus den Bündner Bergen“; 208 Seiten; Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2016