Bis Ende 2015 sollten nach langjähriger Planung sowohl die Asean Economic Community (AEC), eine Freihandelszone, als auch die Asean Community (AC) verwirklicht sein. Die AC soll das Dach über insgesamt drei Pfeilern der Zusammenarbeit innerhalb dieser Gemeinschaft von 10 Ländern in Südostasien bilden.
Abkürzungs- und Buchstabensalat
Diese drei Pfeiler sind: die Wirtschaft, verbunden in der Asean Economic Community (AEC), die Politik, koordiniert in der Asean Political Security Community (APSC), und schliesslich der Zusammenschluss für Soziales und Kultur, Asean Social-Cultural Community (ASCC).
Die in diesen verschiedenen Organisationen repräsentierte Gemeinschaft besteht aus insgesamt über 600 Millionen Einwohnern. Sie hat ein BSP, das grösser ist als das von Indien.
Dieser Abkürzungs- und Buchstabensalat ist typisch für die Asean (Association of South East Asian Nations), welche einerseits ein viel mehr geplantes als gewachsenes Gebilde darstellt, wobei aber andererseits die Notwendigkeit engerer Zusammenarbeit der Mitgliedsländer offensichtlich und dringend erscheint. Denn nur einigermassen geeint kann Südostasien im Konzert der Mächte im Grossraum Asien-Pazifik(A-P) - China, die USA und ihre zugewandten Orte Japan und Korea, Indien - sowohl politisch als auch wirtschaftlich wirklich mitreden. Das ist der Asean bislang erstaunlich gut gelungen, was auf geschichtliche und geographische Gründe zurückgeht. Die Tatsache, dass sich herausbildende Strukturen im A-P auf die Basis der Asean stellen, generell unter dem Kürzel Aseanplus, beweist dies.
Nationale Interessen
Indes erscheint 2015 als ein Jahr der Wahrheit, in dem jenseits offizieller Beschwörungen die Realität der Asean Realität sichtbar wird. Die AEC, wie erwähnt eine Freihandelszone, ist auf dem Papier praktisch erreicht. Sie ist in Tat und Wahrheit auch recht beschränkt in ihrem realen Gewicht. Lediglich 25% des gesamten Aussenhandels der einzelnen Mitglieder wird innerhalb der Asean abgewickelt (in Europa liegen die Zahlen je nach EU-Land doppelt bis dreifach so hoch).
Dies ist wesentlich auf grassiernden Protektionismus untereinander und zahlreiche nichttarifäre Handelshindernisse zurückzuführen. Oder konkreter als in handelspolitischem Jargon ausgedrückt: Das geschieht beispielsweise dadurch, dass Länder wie Indonesien und Malaysia glauben, eigene Autoindustrien aufbauen zu müssen. Oder dass nationale Migrationspolitik den Zufluss günstiger Arbeitskräfte aus dem benachbarten Ausland primär unter fremdenpolizeilichen und sicherheitspolitischen, aber nicht auch unter konjunkturpolitischen Aspekten sieht. Oder auch, dass Anstrengungen zur Asean-weiten Vereinheitlichung der Normen für die wuchernden nationalen Bürokratien zunichte gemacht werden.
Warnung vor Illusionen
In einem speziell aussagekräftigen Beispiel hat der Chef der zweitgrössten Bank Malaysias in einem Aufruf an die Politiker seines Landes kürzlich vor der „Illusion gewarnt, dass die AEC zu einer einheitlichen regionalen Produktionsbasis führen werde“. Dieser Bankenchef konnte sich diese freimütige Kritik umso eher erlauben, als er der Bruder des Premierministers ist. Dies weist gleichzeitig auf ein weiteres und strukturelles Hindernis auf dem Weg zum marktgerechten Freihandelsverkehr hin: die noch weitverbreitete Clanwirtschaft.
Auf dem Weg zur weiteren Wirtschaftsintegration nach der Verwirklichung des Freihandels folgt normalerweise der Schritt zur Zollunion, also der Anwendung eines einheitlichen Zolltarifes einer Gruppe von Ländern an der gemeinsamen Aussengrenze, und damit dem Zwang zu einer einheitlichen Handelspolitik.
Papiertiger
Dies wiederum ist schwer vorstellbar innerhalb der Asean mit ihrem gewaltigen Wohlstandsgefälle. Singapur hat ein BSP von westeuropäischer Höhe und bereits einen durchgehenden Zollnulltarif auf allen Warenimporten. Laos und Kambodscha dagegen liegen auf afrikanischem Niveau und sind auf absehbare Zeit auf Zollpräferenzen angewiesen.
Bei diesem internen Wirtschaftsdifferenzen liegt denn auch der erste von zwei Gründen, warum die politische Integration, die APSC, bislang zum einem guten Teil Papiertiger geblieben ist. Solange die bereits wohlhabenden oder jedenfalls schnell aufstrebenden Mitlieder der Asean keinerlei Bewusstsein dafür entwickeln, dass Finanz- und andere Leistungen an die nächsten Nachbarn nicht Entwicklungshilfe, meist zudem zu Bedingungen im direkten Eigeninteresse, sondern Massnahmen zur Sozial- und Marktentwicklung im gemeinsamen Interesse sind, wird dieses Gefälle auch nicht eingeebnet werden.
Kritik in rosaroter Watte
Der in der Region immer breiter auftretende grosse Nachbar China stellt das zweite Haupthindernis zur politischen und vor allem sicherheitspolitischen Integration dar. Mit seinem Gebietsansprüchen im südchinesischen Meer fordert Beijing direkt die nationale Souveränität fast aller Asean-Länder - ein nach Kolonialerfahrung speziell heikles Pflänzchen - heraus. Je weiter diese Konfrontation getrieben wird, desto eher sind Länder wie die Philippinen, aber auch Vietnam gezwungen, sich sichtbar unter den Schutzschirm der einzigen anderen Weltmacht zu stellen, jenem der USA. Genau dies will die Asean gemäss den Beschwörungen ihrer Vordenker aber eigentlich vermeiden.
Einer dieser Theoretiker, der ehemalige singapuranische Diplomat und langjährige Leiter eines der führenden Think Tanks in der Grossregion, Barry Desker, ist kürzlich zu dem pessimistischen Schluss gekommen, dass „die Asean-Integration eine Illusion bleibt“. Ein in dieser Klarheit durchaus unüblicher Kommentar in einem heiklen asiatischen Kontext, wo Kritik normalerweise in viel rosarote Watte verpackt wird.
Knallharte Gegensätze
Intressanterweise steckt im dritten und am undeutlichsten definierten Integrationspfeiler, nämlich der Asean Social-Cultural Community, ASCC, durchaus Entwicklungspotential. Der malaysische Werbespruch „Truly Asia“ weist auf einen harten Identitätskern hin. Wenn überhaupt in einem derartig disparaten Grossraum von typischen Merkmalen gesprochen werden kann, dann dürfte das wahre Asien im Südwesten des Kontinentes liegen.
Dies gilt keineswegs nur im Sinne mystischer Unendlichkeit, sondern auch in Anbetracht knallharter Gegensätze zwischen Tradition und Moderne. Solche gibt es natürlich auch anderswo. Dort sind sie aber direkter Ausdruck gesellschaftlicher Fehlentwicklungen; in Indien des Kastenwesens, in China dem Abwürgen von Zivilgesellschaften.
Einheitliche Zeitzone?
Das von Barry Desker in Bezug auf die politische Integration hart kritisierte noch immer sakrosankte Einstimmungsprinzip innerhalb der Asean hat neben einer hemmenden auch eine wohl als „typisch asiatisch“ zu bezeichnende positive Funktion. Diese hat jedenfalls bislang ein angesichts der oben dargestellten internen Spannungen und externe Herausforderungen durchaus vorstellbares Auseinanderbrechen dieser Staatengemeinschaft verhindert.
Ein von Malaysia kürzlich sowohl zur wirtschaftlichen als auch sozialen Integration eingebrachter Vorschlag allerdings, eine innerhalb der Asean einheitliche Zeitzone zu schaffen, erscheint als zu bescheidener Integrationsschritt, um eine wirkliche Asean-Identität zu schaffen. In der Langzeitperspektive ist zu hoffen, dass es nicht wie in Europa einer Grosskrise bedarf, bis sich die Notwendigkeit des Überwindens nationaler Souveränitäten auch im Herzen Asiens Bahn bricht.