Nachdem Donald Trumps Pressesprecherin im Juni aus einem Restaurant in Virginia gewiesen worden war, setzte in Amerika eine Diskussion ein, ob Unhöflichkeit gegenüber Vertrauten des Präsidenten Grenzen haben dürfe. Die Mitbesitzerin des Lokals begründete die Rote Karte für den prominenten Gast mit dem Hinweis, Sarah Huckabee Sanders unterstütze eine „inhumane und unethische Regierung“. Folglich sei die Wegweisung aus der „Red Hen“ ein Akt zivilen Protests. Ähnliches Ungemach widerfuhr anderen Mitarbeitenden im Weissen Haus.
Unter Anhängern Donald Trumps löste der Vorfall in Lexington Empörung aus. Huckabee Sanders’ Wegweisung, so sagten sie, sei diskriminierend und verstosse gegen alle Regeln menschlicher Höflichkeit. Gegner des Präsidenten jedoch argumentierten, es seien in erster Linie Donald Trump und das Weisse Haus selbst, die alle Prinzipien zivilen Umgangs verletzen würden.
Unabhängigen Fact Checkern zufolge hat Donald Trumps Pressesprecherin während Briefings wiederholt geflunkert oder gelogen. Auch der Präsident selbst äussert sich in seinen Tweets nicht eben zimperlich gegenüber Leuten, die er nicht mag – zum Beispiel gegenüber Journalisten, die er „die unehrlichsten menschlichen Wesen der Erde“ nennt. Wenn schon, wird in Amerika die Höflichkeit mitunter von beiden Seiten des politischen Spektrums mit Füssen getreten.
Einer, der sich keinen Deut um Höflichkeit, guten Geschmack und politische Korrektheit kümmert, ist der britische Komiker Sacha Baron Cohen. Als extrovertierter Rapper Ali G oder kasachischer USA-Tourist Borat bekannt geworden, attackiert Cohen mit Biss und Bosheit Amerikas Doppelmoral und Heuchelei, wie sie prominente Politiker, aber nicht nur sie, gern an den Tag legen.
Seine jüngste Fernsehserie fragt rhetorisch „Who Is America?“ Cohen kennt die Antwort: all jene, die sich als Verfechter amerikanischer Werte und Ideale geben, in Tat und Wahrheit aber ein System missbrauchen, das Extremismus und Skrupellosigkeit belohnt. Und die von ihrer angeblich heilbringenden Ideologie so verblendet sind, dass sie nicht merken, wenn sie auf die Schippe genommen werden.
Kein Wunder, ist Amerikas Waffenlobby eines der bevorzugten Ziele von Sacha Baron Cohen. Verkleidet als israelischer Anti-Terrorismus-Experte Colonel Erran Morad, macht der Komiker republikanischen Politikern ein Programm schmackhaft, laut dem bereits Kindergärtler bewaffnet werden sollen, um Schiessereien an Schulen zu verhindern. Als Einstiegswaffen der „kinderguardians“ sollen „gunimals“ dienen, zum Beispiel eine „Puppy-Pistol“, die als herziger Welpe konstruiert daherkommt.
Einem erzkonservativen Politiker aus Georgia rät Colonel Morad, zur Abschreckung gegen Terroristen die Hose runterzulassen und Angreifern den blanken Hintern zu zeigen, was der Politiker vor laufender Kamera willig probt – gemäss jener Maxime, wonach Satire immer ein bisschen zu weit gehen soll. Doch der Spass hört auf, wenn George W. Bushs früherer Vize Dick Cheney Cohen gut gelaunt ein „waterboard kit“ signiert, einen Bausatz, mit dem sich Terrorverdächtige foltern liessen.
Derweil überrascht wenig, dass die im „Showtime“-Network laufende siebenteilige Fernsehserie Klagen und Prozessdrohungen ausgelöst hat. Betroffene werfen Sacha Baron Cohen vor, er wolle lediglich Republikaner und Donald Trump diskreditieren. Sie sollten sich jedoch daran erinnern, dass sie einst Videos des konservativen Aktivisten James O’Keefe gelobt haben, der für „Project Veritas“ progressive Organisationen und Medien mit versteckter Kamera ausspähte. Die zugegeben bizarren Figuren des britischen Komikers dagegen operieren unverdeckt und seine Opfer, unter denen sich auch der Unabhängige Bernie Sanders befindet, dürften ausser als kurzzeitige Zielscheiben für Spott und Häme kaum Schaden nehmen – mit Ausnahme jenes Abgeordneten aus Georgia, der Mitte Woche zurückgetreten ist.
Kritisieren liesse sich allerdings, dass Sacha Baron Cohens Satire der Realität hinterherhinkt zu einer Zeit, in der Teile der Öffentlichkeit Fake News und Trollen mehr Glauben schenken als faktenbasierten Beiträgen und seriösen Medienvertretern. „Wir können uns in diesem Land nicht mehr schämen“, schreibt in der „Washington Post“ ein Fernsehkritiker: „Amerikas politisches Klima ist rauer und parteiischer geworden und verliert an Vertrauen im Banne eines Präsidenten, der selbst einfachste Sachverhalte verfälscht und verzerrt.“
Die Welt, schliesst die „Post“, sei inzwischen so absurd geworden wie irgendetwas, das sich Sacha Baron Cohen möglicherweise einfallen lasse. Trotzdem, es gilt auch, was George Bernard Shaw über Humor sagt: „Wenn eine Sache komisch ist, durchsuche sie sorgfältig nach einer versteckten Wahrheit.“ Komisch ist „Who Is America?“ ohne Zweifel.