Hundert und eine Stimme brauchte es am 16. März im Nationalrat, damit die Reform der Altersvorsorge (AV 2020) nicht nach fünfjähriger Arbeit ergebnislos abstürzte. Mit Hängen und Würgen kamen die 101 Ja zur Vorlage der Einigungskonferenz zusammen. Die gegnerischen Lager stehen sich – die Berichte aus den Räten lassen keine andere Beschreibung zu – in erbitterter Feindschaft gegenüber.
Das hauchdünne Mehr im Parlament ist für die Volksabstimmung im September kein gutes Omen. AV 2020 kann immer noch scheitern. Seit zwanzig Jahren ist im Vorsorgewesen keine der geplanten Reformen zustande gekommen. Stetig steigende Lebenserwartung und sinkende Erträge des angelegten Kapitals haben das System in Schieflage gebracht. Ohne Gegensteuer wird es früher oder später kentern. Und je länger eine Reform auf sich warten lässt, desto einschneidender wird sie ausfallen müssen.
Was dem Volk nun vorgelegt wird, ist keine ideale Reform. Sie dreht an vielen Stellschrauben des komplexen Regelwerks ein bisschen. Zur Behebung von Systemfehlern fehlte von Beginn weg der Mut. So bleibt die politische Festlegung des Umwandlungssatzes im BVG – eigentlich eine rein versicherungsmathematische Grösse – unangetastet. Auch fehlt eine Koppelung des Referenzalters an die Lebenserwartung – hier hätte sich Dänemark als Muster angeboten.
Die etwas wild zusammengeschusterte Reform bringt dennoch wesentliche Fortschritte. Frauen werden nach gleichen Regeln wie Männer pensioniert. Geringverdienende und Angestellte in Teilzeit beziehungsweise mit mehreren Arbeitgebern sind bessergestellt. Die Umverteilung von Arbeitenden zu Pensionierten im BVG ist immerhin reduziert und die Finanzierung der AHV stabilisiert.
Dagegen gibt es Fundamentalopposition: von ganz links gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters um ein Jahr, von rechts gegen die Stärkung der AHV. Beide Seiten wollen AV 2020 versenken nach dem Motto: alles oder nichts. Diese doppelte Gegnerschaft rigider Positionen bei einer Minderheit der Linken und bei der praktisch geschlossenen Rechten ist gefährlich. Sie hat in polarisierenden Abstimmungen immer wieder funktioniert. Gefährlich ist sie bei AV 2020 vor allem deshalb, weil der Problemberg kontinuierlich wächst.
Dass AV 2020 nicht alle Schwachstellen beseitigt und keiner reinen Lehre folgt, kann hingenommen werden. In etwa zehn Jahren wird man die Altersvorsorge ohnehin erneut justieren müssen. Zumindest von den bürgerlichen Opponenten muss man jetzt erwarten, dass sie sich auf ihre oft beschworene Tugend des Pragmatismus besinnen und das Kriegsbeil begraben. Es steht einfach zuviel auf dem Spiel. Für den Erfolg in der Volksabstimmung braucht es eine gemeinsame Anstrengung. Sich ihr zu verweigern wäre verantwortungslos.