Der plötzliche Tod von Ali Abdullah Saleh hat die militärische Lage in Jemen völlig verändert. Der Mann, der das Land während 33 Jahren allein beherrscht hatte, wurde von den Huthis erschossen. Sie waren zunächst seine Feinde, dann seine Verbündeten und dann wieder seine Feinde.
Saleh war 2012 zum Rücktritt gezwungen worden. Doch er wollte nicht aufgeben und löste den gegenwärtigen Krieg in der Hoffnung aus, an die Macht zurückkehren zu können. Viele der arabischen Beobachter fühlen sich an das vergleichbare Ende des libyschen Machthabers Ghadhafi erinnert.
Mit Panzergranate getötet
Saleh war in seinem gepanzerten Wagen unterwegs von der Hauptstadt Sanaa in seinen Geburtsort Sanhan, südlich der Hauptstadt. Dies berichten seine Parteigänger. Offenbar war er auf der Flucht. Eine andere Version besagt, er habe Marib erreichen wollen, die Wüstenstadt östlich von Sanaa. Sie befindet sich sich in den Händen der Feinde der Huthis.
Die meisten Strassensperren, die die Huthis rund um Sanaa herum errichtet hatten, werden ständig von saudischen Kampfflugzeugen bombardiert. Doch – so lautet eine Version des Geschehens – eine Strassensperre war intakt und aktionsbereit. Hier wurde Salehs Auto mit einer Panzergranate (RPG für „rocket propelled grenade“) beschossen und getötet. Das Bild eines Toten mit einer Kopfwunde geht um die Welt.
„Die bestialische Natur dieser Leute“
Die Sprecher seiner Partei, des „Allgemeinen Volkskongresses“ (Englisch abgekürzt GPC), behaupten, die Huthis hätten den Leichnam „geschändet“. Dies entspringe eben „der bestialischen Natur dieser Leute“ – Leute allerdings, die bis zu fünf Tagen vor dem Mord während dreieinhalb Jahren seine Verbündeten gewesen waren.
Zusammen mit Ali Abdullah Saleh kamen der Generalsekretär seiner Partei sowie der Chef seiner Leibgarde und „verschiedene weitere Leute“ ums Leben. Sie hatten sich in Salehs Auto befunden.
Wodka auf Youtube
Kurz vor dem Mord hatten die Huthis die offizielle Residenz Salehs im Zentrum von Sanaa in Brand geschossen. Dieses Haus war eines der zahlreichen Unterkünfte in Sanaa, die der frühere Präsident besass.
Einen anderen Schlupfwinkel hatten seine Feinde besetzt. Unzählige Flaschen Wodka, die sie dort fanden, hatten sie auf Youtube zur Schau gestellt. In Sanaa waren in den letzten Tagen die beiden Kriegsparteien gegen die befestigten Residenzen („compounds“) ihrer jeweiligen Feinde vorgegangen. Dabei spielten sich heftige Kämpfe ab.
Der Krieg geht weiter
Wie sich Salehs Tod auf den jemenitischen Bürger- und Stellvertreterkrieg auswirken wird, wagt niemand vorauszusagen. Doch die Bewohner von Sanaa befürchten das Schlimmste. Viele sind schon geflohen. Andere verstecken sich seit fünf Tagen in ihren Häusern. Langsam gehen ihnen Wasser und Nahrungsmittel aus. Sie befürchten, dass der Krieg und die saudischen Bombenangriffe jetzt an Intensität gewinnen werden.
Die Anführer und Sprecher von Salehs Partei haben bereits erklärt, dass der Tod des Ex-Präsidenten keineswegs das Ende des Krieges bedeute. Die triumphierenden Huthis verkündeten, sie würden innerhalb weniger Tage ganz Sanaa beherrschen und „sich um die Stadt kümmern, wie sie sich um die ausserhalb liegenden Gebiete kümmerten“. Sie erklärten auch, sie würden versuchen, die Familienmitglieder des jetzt getöteten Ex-Präsidenten aufzugreifen.
Wichtige Rolle der Vereinten Arabischen Emirate
Die weitere Entwicklung hängt davon ab, wie sich jene Teile der regulären Armee verhalten, die dem einstigen Präsidenten treu ergeben waren. Werden sie weiterhin zusammenhalten? Wenn ihnen das gelingt, werden sie sich sicher auf die Seite der Saudis und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) stellen, um den Tod ihres bisherigen Chefs zu rächen.
Die Arabischen Emirate spielen in der ganzen Entwicklung wohl auch künftig eine wichtige Rolle. Dort befindet sich Oberst Ahmed Ali Abdullah Saleh. Er ist der Sohn und Erbe des jetzt getöteten Ex-Präsidenten. Zur Zeit der Herrschaft seines Vaters war dieser Berufsoffizier Kommandant der wichtigsten Elitetruppe Jemens: der von den Amerikanern ausgerüsteten und trainierten Präsidialgarde. Nach dem Sturz seines Vaters, Anfang 2012, hatte dessen Vizepräsident, Nachfolger und späterer Kriegsgegner, Abd Rabbo Mansour al-Hadi, die Präsidialgarde aufgelöst und ihre Einheiten auf unterschiedliche Armeeteile verteilt.
„Ehrenhaft gehaltene Geisel“
Der Kommandant, Ahmed, wurde zum Botschafter in den VAE ernannt. Er war bei seinen Truppen und Offizieren beliebt und galt als Person, die sich um das Wohlergehen seiner Untergebenen gekümmert hatte. Obwohl er vom Nachfolger seines Vaters ins VAE-Exil geschickt worden war, konnte er weiterhin auf die Loyalität verschiedener Armee-Einheiten zählen. Als dann im März 2015 der Krieg zwischen der saudischen Koalition und den damals mit den Huthis verbündeten Pro-Saleh-Einheiten begann, wurde Oberst Ahmed eine Art „ehrenhaft gehaltene Geisel“ in den Emiraten. Er blieb dort, genoss Bewegungsfreiheit, erhielt aber keine Ausreisegenehmigung.
Dass sein Vater die Huthis fallenliess und am vergangenen Samstag bekanntgab, mit den Saudi kooperieren zu wollen, das scheint von Oberst Ahmed, der „Geisel“ in den VAE, eingefädelt worden zu sein. Jedenfalls spielte er eine wichtige Rolle beim Positionswechsel seines Vaters.
Vom Vater zum Sohn?
Es ist bekannt, dass Armeechef Mohammed bin Zaid (MBZ), der De-facto-Machthaber in den Emiraten, bedeutenden Einfluss auf den saudischen Kronprinzen (MBS) ausübt. Dieser wiederum stand in Kontakt mit Oberst Ahmed. MBZ ist ein Gegner und Gegenspieler des von den Saudis unterstützten Präsidenten al-Hadi, der in Riad im Exil lebt. Man sagt dem Armeechef der Emirate nach, er habe die Saudis bewegen wollen, den eher passiven al-Hadi durch Abdullah Saleh oder durch dessen Sohn Ahmed zu ersetzen.
Man muss diese Hintergründe in Betracht ziehen, wenn man die weitere Entwicklung abschätzen will. Die VAE werden versuchen, Ahmed ins Spiel zu bringen. In den Emiraten hofft man, Ahmed könne die Rolle seines jetzt erschossenen Vaters übernehmen und künftig eng mit den Saudis und den Emiraten zusammenarbeiten. Die Frage stellt sich nun, wie viele der jemenitischen Armee-Einheiten, die bisher dem Vater treu waren, es auch dem Sohn sein werden.