Nun wird sie also nicht kommen, nicht singen, die russische Operndiva Anna Netrebko. Ende März hätte sie im Zürcher Opernhaus die Lady Macbeth im gleichnamigen Werk Giuseppe Verdis geben sollen – eine kaum zu überbietende Inkarnation des Bösen, passend zu der vom deutschen Kanzler Olaf Scholz beschworene «Zeitenwende», die er seit dem 24. Februar, seit Putins Angriff auf die Ukraine, konstatiert.
Die Begründungen für die Absage sind einsichtig. Das Opernhaus hat, wie zahlreiche andere Kulturinstitute, Putins Angriff verurteilt und hält Anna Netrebkos öffentliche Erklärungen, in denen sie zwar den Krieg ablehnt, aber den Agressor nicht nennt, für ungeeignet und ungenügend, um einen Auftritt in Zürich zu rechtfertigen. Die Sängerin wiederum besteht auf ihrem Recht, unpolitisch zu sein, findet aber, es sei nicht die richtige Zeit, Musik zu machen und auf einer Bühne zu stehen. Dass ihre Auftritte zu Protesten, Störungen, heftigen Szenen führen könnten, wissen beide Seiten.
Anna Netrebko war bisher nicht bloss als Putin-Versteherin, sondern schon eher als Putin-Verehrerin und -Freundin bekannt. Mit ihren Erklärungen offenbart sie ein Dilemma, aus dem schwer herauszukommen ist. Einerseits pocht sie auf ihr Recht, politische Überzeugungen zu haben, ohne sich dafür öffentlich rechtfertigen zu müssen. Anderseits will sie «keine politische Person» sein, sondern Künstlerin, womit sie zu verstehen gibt, dass ihrer Meinung nach das eine das andere ausschliesst.
Die Sängerin möchte also in der Öffentlichkeit als unpolitische Person wahrgenommen werden und gleichzeitig vom garantierten Recht Gebrauch machen, sich für ihre politischen Überzeugungen, die sie offenbar doch hegt, nicht rechtfertigen zu müssen. Wie soll das gehen? Sich als unpolitisch zu bekennen, in Zeiten wie diesen, da eine politisch begründete, politisch instrumentierte Katastrophe die Welt bedroht, mutet naiv und weltfremd an und ist eigentlich unmöglich. Wenn eine das wissen müsste, dann Anna Netrebko, die über das zweifelhafte Privileg verfügt, den Verursacher dieser Katastrophe persönlich zu kennen.