Die Debatte, die der Abstimmung vorausging, war allerdings scharf, teils gar recht gehässig. Nicht verwunderlich, denn der Wahlkampf in Deutschland ist bereits in vollem Gang.
Absage Schäubles an Europa?
Das schärfste Votum stammte von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. An die Adresse von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gerichtet, sagte er wörtlich: „Bis heute habe ich gedacht, Sie wären ein grosser Europäer. Was Sie mit diesem Abkommen angefangen haben, ist eine Absage an Europa. Das ist nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland und nicht im Interesse von Europa.“
Nun ist Trittin nicht irgendwer, sondern die mit Abstand stärkste Kraft von Bündnis90/Die Grünen im Bundestag. Das hat eben die – auch für mich eindrückliche – Urwahl der Parteibasis für die Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2013 gezeigt.
Trittin schwang mit einem Spitzenresultat weit oben aus. Entsprechend zählt sein Wort. Und es wird auch am 23. November zählen, wenn der Deutsche Bundesrat, die Länderkammer, als Zweitrat über das Abgeltungssteuerabkommen mit der Schweiz zu befinden hat. Dort liegen die Mehrheitsverhältnisse anders, Rot/Grün hat das Sagen.
Ein Nein ist programmiert und dazu werden mit grösster Wahrscheinlichkeit auch alle Bundesländer beitragen, wo die Grünen mit in der Regierung sitzen. Das gilt namentlich auch für unser Nachbarland Baden-Württemberg. Der sich mitunter recht eigenständig gebende Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen wird seinen starken Mann in Berlin nicht im Regen stehen lassen.
Deutsche Opposition und „Europa“
Erstaunlich für mich, der mit der Delegation der eidg. Räte für die Beziehungen zum Deutschen Bundestag die Debatte vor Ort verfolgen konnte, war es, dass Wolfgang Schäuble in seiner anschliessenden Replik den Anti-Europa-Vorwurf Trittins nicht gleich gekontert hatte. Denn dieses Abgeltungssteuerabkommen ist keineswegs eine Absage an Europa. Dabei mögen wir zunächst einmal grosszügig darüber hinweg sehen, dass die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedern noch lange nicht dem von Trittin zitierten „Europa“ mit seinen 48 Staaten entspricht.
Zudem ist es nicht die deutsche Opposition, die in der Bundesrepublik massgebend ist, was EU-konform ist und was nicht. Es ist die Bundesregierung und die hat den Vertrag mit der Schweiz so ausgehandelt. Und sie befindet sich dabei in bester Gesellschaft. Auf den 1. Januar 2013 werden analoge Steuerabkommen mit Grossbritannien und Österreich in Kraft treten. Mit Griechenland sind diesbezügliche Verhandlungen bereits beschlossene Sache. Mit Italien und weiteren Ländern laufen exploratorische Vorgespräche. So macht es ganz den Anschein, dass das „Modell Abgeltungssteuer“ das Zeug in sich hat, zu einem Erfolgsmodell zu werden, in Europa, aber selbst darüber hinaus.
Jedenfalls zeigt sich je länger je mehr, dass im Bereich der Kapitaleinkünfte eine Quellenbesteuerung mit abgeltender Wirkung dem automatischen Informationsaustausch nicht nur dauerhaft ebenbürtig ist, sondern dies erst noch bei massiv weniger bürokratischem Aufwand.
Steinbrück bereits zur „SPD-Hypothek“ geworden?
Und ein Zweites war bei der Debatte im Bundestag erstaunlich für mich. Im Gegensatz zu den Grünen kam auf Seiten der SPD, der stärksten Oppositionskraft im Lande, ihre verbal „schärfste Waffe“ im Steuerstreit mit der Schweiz nicht zum Einsatz, Bundeskanzlerkandidat und ex-Finanzminister Peer Steinbrück. Ob ihn seine Partei wegen seiner lukrativen Vortragstätigkeit bereits abgeschrieben hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Aber das Hick-Hack rund um seine fetten Honorare, versteuert, vergessen oder irgendwem gespendet, hat ihn als Spitzenkandidaten der SPD bereits zur Hypothek gemacht. Zumal die SPD ja wie keine andere Partei mit dem Slogan der Steuergerechtigkeit in den Wahlkampf zu ziehen gedenkt. In dieses Kapitel hinein passen weder das Abgeltungssteuerabkommen mit der Schweiz, aber auch nicht Ungereimtheiten rund um die Honorareinnahmen ihres designierten Kanzlerkandidaten Steinbrück. Wir werden sehen…