Selten sind Regionalwahlen in Italien so wichtig wie diese. Am 20. und 21. September wird in sechs italienischen Regionen gewählt. Meinungsumfragen schliessen nicht aus, dass die Linke eine schwere Niederlage erleiden könnte. Profitieren würde die rechtspopulistische Lega von Matteo Salvini und die postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ von Giorgia Meloni.
In vier der sechs Regionen, in denen jetzt gewählt wird, dominieren zur Zeit noch die Linken: nämlich in der Toskana, in den Marken, in Apulien und Kampanien. Das könnte sich ändern. Zwei Regionen, Venetien und Ligurien, werden gegenwärtig von der Rechten regiert.
Aus dem 4:2-Verhältnis (4 Linke, 2 Rechte) könnte ein 2:4-Verhältnis (2 Linke, 4 Rechte) oder gar ein 1:5-Verhältnis (1 Linker, 5 Rechte) werden. Nicht ausgeschlossen ist auch ein 3:3-Verhältnis.
Auch wenn Ministerpräsident Giuseppe Conte immer wieder betont, Regionalwahlen hätten keinen Einfluss auf die Arbeit der Römer Regierung, wissen alle, dass das nicht stimmt.
Conte führt eine Koalitionsregierung an, die aus Sozialdemokraten und der Protestpartei Cinque Stelle besteht. Würde die Linke jetzt zwei oder gar drei Regionen verlieren, würde der Druck auf Conte wachsen, Neuwahlen durchzuführen. Matteo Salvini hätte dann eine Chance, zusammen mit den Postfaschisten und der Berlusconi-Schrumpfpartei eine Mehrheit zu erreichen.
Kampf um die „rote Toscana“
Die Augen richten sich vor allem auf die Region Toskana mit den Städten Florenz, Pisa, Siena, Arezzo und Livorno. Diese Region war seit jeher eine Hochburg der Linken. Würde Salvini die „rote Toskana“ erobern, wäre das ein schwerer psychologischer Schlag für die Sozialdemokraten – und ein Triumph ohnegleichen für die Rechte.
Die Sozialdemokraten treten in der Toskana mit dem gemässigten Eugenio Giani an. Sein Handicap ist, dass er zwar von Matteo Renzi und seiner neugegründeten Partei „Italia viva“ unterstützt wird – nicht jedoch von den Cinque Stelle, die einen eigenen Kandidaten aufgestellt haben.
Matteo Salvini und seine Lega gehen in der Toskana mit der 33-jährigen Europa-Abgeordneten Susanna Ceccardi ins Rennen (siehe Bild oben).
Längst nicht mehr so rot
Salvini hat seine Taktik geändert. Früher stellte er sich bei allen Wahlkampfauftritten in den Mittelpunkt und liess seine regionalen Kandidaten kaum zu Worte kommen. Er glaubte, sein Charisma würde es schon richten. Doch das kam nicht überall gut an. Jetzt steht er meist einen Schritt hinter Susanna Ceccardi, was ihre Popularität und ihr Profil festigt.
Die „rote Toskana“ ist längst nicht mehr so rot wie einst. Das zeigte vor einem Jahr auch die Niederlage der Linken im Arbeiterstädtchen Piombino am Tyrrhenischen Meer, wo die Schiffe Richtung Elba auslaufen. Piombino war seit dem Zweiten Weltkrieg eine tiefrote Hochburg. Doch bei den Wahlen im Juni vor einem Jahr gewann erstmals seit 70 Jahren ein Kandidat der Rechten. Lega-Chef Matteo Salvini prahlte: „Wir regieren jetzt dort, wo jahrzehntelang die Linke regiert hat.“
Kopf an Kopf
Auch das benachbarte Umbrien (mit der Hauptstadt Perugia) war über Jahrzehnte fest in linker Hand. Im vergangenen Oktober gelang es Salvini dann, diese rote Bastion zu schleifen. Anschliessend versuchte er es im letzten Januar mit beispiellosem Aufwand in der traditionell linken Region Emilia-Romagna. Doch dort misslang sein Versuch.
Gelingt es ihm jetzt in der Toskana? Die Meinungsumfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus mit einem leichten Vorteil für die Sozialdemokraten.
Die Cinque Stelle in der Zwickmühle
Sollte die Linke in der Toskana verlieren, liegt das auch an den Cinque Stelle, die zwar in Rom eine Koalition mit den Sozialdemokraten eingegangen sind, in der Toskana aber mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen gehen.
Die Cinque Stelle sind in einer unkomfortablen Lage. Wenn sie nicht mit einem eigenen Bewerber antreten, gehen sie vergessen. Treten sie aber mit einem eigenen Kandidaten an, könnten sie zur Niederlage der Sozialdemokraten beitragen – und damit zur Schwächung oder gar zum Sturz der Römer Regierung, an der sie beteiligt sind.
Angst vor dem Schulanfang
Ob die Linke in diesen Regionalwahlen verliert, entscheidet sich vielleicht schon vor dem Wahltag. Am nächsten Montag beginnt, nach siebenmonatiger Corona-Pause, die Schule wieder. Viele befürchten einen chaotischen, turbulenten Schulanfang. Lehrer, Eltern und Kinder fürchten sich. Viel steht auf dem Spiel. Jeden Tag müssen für elf Millionen Schulkinder frische Masken bereitgestellt werden. Viele Schulzimmer sind zu klein, und die Schüler sitzen dicht gedrängt – keine Möglichkeit zum Abstandhalten. Zudem fehlen im ganzen Land Zehntausende Lehrer. Das hat zur Folge, dass Klassen zusammengelegt werden und die Kinder noch enger beieinander sitzen.
Sollte das Chaos ausbrechen und das Virus sich wieder rasant verbreiten, wird man der rot-gelben Regierung in Rom (gelb ist die Parteifarbe der Cinque Stelle) die Schuld in die Schuhe schieben. Viele Linke fürchten, dass dann aus Protest die linken Kandidaten abgewählt werden könnten.
Kippt die Stimmung?
Ministerpräsident Conte hat die Corona-Epidemie recht gut in den Griff bekommen, nachdem Salvinis Lega in der Lombardei total versagt hat. Conte wird von 60 Prozent der Italiener wohlwollend bewertet – einer der höchsten Beliebtheitswerte eines Ministerpräsidenten.
Bei einem chaotischen Schulanfang könnte die Stimmung allerdings drehen und Conte könnte die Zeche bezahlen müssen. Salvini, der Corona zunächst als „Grippchen“ bezeichnet hatte, wird nicht müde, Conte für die Pandemie verantwortlich zu machen.
Triumph für die Postfaschisten?
Nicht nur die Toskana steht für die Linke auf dem Spiel. In der Adria-Region Marken (Marche, mit der Hauptstadt Ancona) steuern die Sozialdemokraten auf eine deftige Niederlage hin. Der sozialdemokratische Kandidat liegt laut letzten Umfragen 13 Prozent hinter den „Fratelli d’Italia“, der Nachfolgepartei der Faschisten.
Auch im süditalienischen Apulien, das bisher von der Linken dominiert wurde, zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Auch dort haben die Fratelli d’Italia Chancen, den Sozialdemokraten den Sitz des Regionalpräsidenten zu entreissen.
Einzig in Kampanien (Campania, mit der Hauptstadt Neapel) scheint der Sozialdemokrat Vicenzo de Luca unangefochten. Er wird vor allem für seine Rolle bei der Bekämpfung des Corona-Virus gelobt.
Keine Überraschung in Venetien und Ligurien
Die Regionen Venetien und Ligurien bleiben laut Umfragen in rechter Hand. In Venetien ist der bisherige Regionalpräsident, der Lega-Politiker Luca Zaia, ungefährdet. Er geht – zum Verdruss von Salvini – mit einer eigenen Liste ins Rennen. Während sich für die Zaia-Liste fast 80 Prozent der Wähler und Wählerinnen aussprechen, kommt die offizielle Lega-Liste auf 14 Prozent.
In Ligurien liegt Giovanni Toti von Berlusconis Forza-Italia-Partei klar vorn. Er hatte sich viele Verdienste beim Bau der neuen Brücke in Genua erworben.
Salvini auf dem neunten Platz
Beobachter sind sich einig: Wenn die Linke die Regionalwahlen verliert und wenn der Schulanfang disziplinlos mit vielen Ansteckungen verläuft – dann könnten die Tage der jetzigen Regierung bald gezählt sein.
Doch auch Salvini ist angeschlagen. In den meisten Kommunen wirbt die Lega heute ohne seinen Namen. Sein ewig gleiches Trommelfeuer ermüdet. Laut Umfragen liegt er auf der Skala der beliebtesten Politiker nur noch auf dem neunten Rang.