Die Volksschulbildung in der Schweiz harmonisieren: Das ist die grosse Idee der eidgenössischen Bildungsartikel von 2006. Darum gibt es seit 2011 die sogenannte Überprüfung der Grundkompetenzen ÜGK. Die Tests kontrollieren jeweils bestimmte Bereiche der Volksschule. Deren Resultate sollen sichtbar machen, wie viele Schülerinnen und Schüler die nationalen Bildungsziele (Grundkompetenzen) erreichen.
Darauf haben sich die Kantone geeinigt. Die Prüfungen leisten damit einen Beitrag zur Harmonisierung der obligatorischen Schule, wie dies der Bildungsartikel in der Bundesverfassung fordert.
Erster nationaler Schulvergleich
An den nationalen Tests beteiligen sich Schulklassen aus allen Kantonen der Schweiz. Überprüft werden jeweils eine Jahrgangsstufe und ein Ausschnitt aus den Bildungszielen. 2016 waren es die Mathematik-Kenntnisse am Ende der obligatorischen Schulzeit. Die gesamtschweizerische Evaluation von 2017 verglich bei Sechstklässlern Fähigkeiten der jeweiligen Schulsprache und der ersten Fremdsprache.
Beteiligt waren je rund 23’000 Schülerinnen und Schüler. Am Computerbildschirm mussten sie Multiple-Choice-Antworten oder mathematische Resultate eintippen. Für das gesamte Evaluationsprojekt sind 6,75 Millionen Franken eingeplant.
Grosse kantonale Unterschiede
Drei Jahre sind seit den ersten Tests vergangen. Vor einer Woche informierte die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK die Öffentlichkeit – ein Jahr später als geplant. Das Medienecho zum ersten nationalen Schulvergleich war gross: in der Mathematik nur knapp genügend, bei den Sprachen meistens befriedigend, dazu grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Kantonen.
So lassen sich die Ergebnisse summarisch zusammenfassen. Während der französischsprachige Teil der Kantone Wallis und Freiburg sowie Appenzell Innerrhoden Spitzenresultate erbringen, bedeute der Test für die baselstädtischen Schulen „ein katastrophales Zeugnis“, urteilte die NZZ. (1) In der Tat: Der Kanton mit der höchsten Gymnasial-Übertrittsquote von 45 Prozent (2018) weist das dürftigste Resultat auf – in Mathematik wie bei den Sprachkompetenzen.
Verwirrende Ergebnisse – auch im Vergleich zu PISA
Die Unterschiede zwischen den Kantonen liessen sich kaum mit unterschiedlichen Schülerzusammensetzungen erklären, betonte die EDK. Darunter fallen die Einflussfaktoren von sozialer Herkunft und Migrationshintergrund. (2) Auch die ungleiche kantonale Finanzkraft spiele keine wesentliche Rolle. Schon eher die Stundenzahl und die Lektionsdauer.
Warum aber die grossen kantonalen Unterschiede? Diese Frage liess die EDK offen – ebenso wie die Frage, warum die Evaluation ein vollständig anderes Bild ergab als der PISA-Test der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, von 2015. Hier gehörten die Schweizer Schüler, die jetzt in Mathematik so „schwach“ abschnitten, im internationalen Vergleich noch zur weltweiten Spitze – und das im gleichen Alterssegment, nämlich bei den 15-Jährigen.
Eine umgekehrte Situation ergibt sich beim Textverständnis: Die Schweiz schnitt bei PISA schlecht ab, während sie bei den nationalen Vergleichstests ÜGK von 2017 geradezu hervorragende Resultate zeigt. Eine verkehrte Welt! Und niemand erklärt.
Was nicht gemessen wurde
Im Fach Deutsch beispielsweise wäre noch anderes bedeutsam – sicher auch das, was wegen der gewählten Testmethode mit dem Multiple-Choice-Verfahren gar nicht überprüft und darum weggelassen wurde. Solche Prüfungen sind zwar zeitökonomisch, aber im Hinblick auf das, was Schülerinnen und Schüler später können sollten, nicht unbedingt verlässlich. Man hat gemessen, wofür Instrumente zur Verfügung stehen.
Wichtiges und Wesentliches wie Kommunikation, das korrekte und kohärente Schreiben von Texten usw. passen nicht in dieses Testverfahren. Ob man so die sprachliche Kompetenz unserer Schülerinnen und Schüler abbilden und bewerten kann? Das Testverfahren ergibt eine doch eher selektive Sicht auf unser momentanes Bildungssystem. An der Medieninformation der EDK wäre wohl auch darauf zu verweisen gewesen.
Handeln!, aber wohin zielen und ziehen?
„Es besteht Handlungsbedarf“, betonte der oberste Schweizer Pädagoge und Präsident des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz, Beat Zemp. (3) Doch niemand sagte, wo denn gehandelt werden müsse und wohin die Massnahmen zielen sollten. Man wird weiterforschen. An der Medieninformation gab es fast so viel Hypothesen, wie Experten anwesend waren. Und jede Stimme zeigte in eine andere Richtung, einem amorphen Vektorhaufen ähnlich.
Dabei wäre gerade das entscheidend: Wissen, was zu tun ist. Eben: Wo Handlungsbedarf besteht. Was aber bringen millionenteure Evaluationen mit den vielen Output-Daten, wenn die Verantwortlichen rätseln und sich mit verwirrenden Vermutungen an die Öffentlichkeit wenden? Das macht nur konfus und steigert das Vertrauen in die EDK nicht unbedingt.
Die alte sokratische Frage
Wie dem auch sei: Entscheidend ist und bleibt die tägliche Arbeit in der Schule, von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Sie erneuert die alte sokratische Frage, die sich jede Lehrerin, jeder Lehrer stellen muss: „Und was wird er, der Schüler, am Ende davon haben, wenn er zu Dir in die Schule geht?“
Diese Frage ist zeitlos gültig; sie gilt für alle Schülerinnen und Schüler – und im Besonderen für die schwächeren. Das zeigte die Studie deutlich. Genau um diese Frage aber geht es, wenn in einem nationalen Test die Grundkompetenzen überprüft werden. Und genau das wäre wohl die entscheidende Frage. Um sie müssten sich Bildungspolitik und Ausbildung intensiv kümmern. Doch davon vernimmt man kein Wort.
Wie wichtig diese zeitlose Frage ist, das weiss jede gute Lehrerin, das ist jedem gewissenhaften Pädagogen bewusst – unabhängig von kostspieligen Evaluationen.
(1) In: NZZ, 25.05.2019, S. 16.
(2) Vgl. Medienmitteilung der EDK vom 24.05.2019: http://www.edk.ch/dyn/32350.php
(3)Yannick Nock: Wo die Schüler am meisten lernen. In: Luzerner Zeitung, 25.05.2019, S. 5.