Es war Gotthard Jedlicka, Zürcher Ordinarius für Kunstgeschichte, der Max Gubler (1898-1973) zum «bedeutendsten Schweizer Maler seit Hodler» erklärte. Ja, er stellte Gubler gar in eine Reihe mit Giotto, Piero della Francesca, Zurbaran, Vermeer, Goya, Corot, Manet, Cézanne, van Gogh, Matisse, Munch, Picasso, Beckmann, Bonnard etc. Höher kann man die Latte nicht legen! Für diesen überrissenen Geniekult seines Freundes, Mentors und Exegeten Jedlicka sollte Gubler einen erdrückenden Preis zahlen.
Rasanter Einstieg, steile Karriere, Zurückweisung
Im Zürich des Dadaismus tauchte der junge Max Gubler in die Treibhausatmosphäre der Avantgarde ein und suchte in intensiver Auseinandersetzung mit Kunstgeschichte und Gegenwartsmalerei seinen künstlerischen Weg. Zwischen 1930 und 1937 lebte er mit seiner Frau Maria in Paris und fand zunehmend als Maler Anerkennung. In Unterengstringen im Zürcher Limmattal, in Sichtweite des Klosters Fahr, liess er sich als mittlerweile arrivierter Künstler ein Atelierhaus bauen.
Zwei Jahrzehnte lang war seine Malerei prägend für eine «moderne schweizerische Kunst», ein nicht ganz einfach zu beschreibendes Phänomen. Neben Gubler könnte man die Giacomettis dazu rechnen, ferner Ernst Morgenthaler, Willy Guggenheim alias Varlin, Hans Berger. Sie standen im Austausch mit den Strömungen der Kunst, doch im Vergleich mit den ganz Grossen ihrer Zeit fällt eine gewisse Mässigung auf. So ist auch Gubler ein zwar höchst qualitätsvoller, aber bis Anfang der fünfziger Jahre nicht sehr wagemutiger Maler. Ihm geht es nicht darum, der Kunst neue Ausdrucksweisen zu erobern, sondern er bewegt sich auf kartografiertem Terrain.
Für die «Documenta II» (Kassel 1959) kam Gubler zur grossen Enttäuschung seiner Fürsprecher nicht in Frage, weil er als Vertreter der figurativen Malerei das erforderliche Avantgarde-Prädikat nicht erlangte. Vergeblich machte der Kurator Arnold Rüdlinger darauf aufmerksam, dass bei Gubler vieles abstrakter sei als so manches, was sich in der zeitgenössischen Kunst abstrakt gebärde. In der Tat ist in Gublers Malweise eine zunehmende Typisierung von Sujets zu beobachten, verbunden mit Fokussierung auf Bildkomposition, Farbflächen und eine immer freiere Pinselhandschrift. Viele Bildthemen variierte er dutzendfach, wobei er immer stärker den jeweiligen Typus herausarbeitete. Doch zu den kühnen Neuerern zählte er zweifellos nicht.
Krise und Verlöschen
1954 kündete sich bei Gubler eine Krise an. Die künstlerische Produktion versiegte, er versank in Isolation. Seine Frau Maria, ständige Begleiterin seines Schaffens, praktisch einziges Modell und wohl in gewissem Sinn auch Mit-Schöpferin des lange Zeit erfolgreichen Labels «Max Gubler», drängte ihren Mann zur Selbstheilung mittels Maltätigkeit. Es folgte ein qualvolles Auf und Ab, schliesslich die unausweichliche Hospitalisierung in verschiedenen psychiatrischen Kliniken. Gubler malte zunächst weiter, doch als Maria 1961 starb, war Schluss. In den letzten zwölf in der Klinik Burghölzli verbrachten Lebensjahren rührte er keinen Pinsel mehr an.
Die nach dem Ausbruch der psychischen Erkrankung ab 1958 entstandenen Bilder wurden auf Geheiss der Eduard, Ernst und Max Gubler Stiftung vor der Öffentlichkeit und selbst vor der Kunstwissenschaft verborgen gehalten. Offenbar fürchtete man, die Bilder dieser Phase könnten Gublers Ruf abträglich sein. In der Schaffhauser Ausstellung des Museums zu Allerheiligen von 2014 wurden sie erstmals gezeigt, und die jetzige Ausstellung des Berner Kunstmuseums stellt sie in den Kontext des Lebenswerks.
Der Maler, der nicht scheitern durfte
Die Vorsichtsmassnahme der Gubler-Stiftung erscheint aus heutiger Sicht als tragischer Irrtum – es ist bereits der zweite, der auf Gublers Leben und Werk lastet. Es war nämlich nicht trotz der Geheimhaltung der letzten Schaffensperiode, sondern viel eher gerade wegen dieser Geheimniskrämerei, dass Gubler in der Einschätzung der Fachwelt bald nach seinem Tod regelrecht abstürzte. So konstatierte der Kunstkritiker Peter Killer 1982 das «Ende eines Mythos». Das einst so erfolgreiche gemässigt moderne Œuvre der Zeit bis Mitte Fünfzigerjahre erschien als allzu konventionell, wenn nicht gar epigonal. Gublers Bilder verloren denn auch auf dem Kunstmarkt drastisch an Wert und wurden nur noch als Bestandteile von Sammlungen ausgestellt. Der von Jedlicka inszenierte Geniekult – dies im Rückblick der erste und folgenreichste der tragischen Irrtümer um Gubler – hielt einem distanzierteren Blick nicht Stand.
Das in Bern nun endlich integral gezeigte Lebenswerk gibt Anlass zur Vermutung, dass die kalte Entsorgung aus dem Kanon der bedeutenden Schweizer Künstler der dritte Irrtum zu Lasten Gublers war. Denn hätte man in den achtziger Jahren den weggeschlossenen Teil des Œuvres schon gekannt, wäre das vernichtende Urteil wohl nicht gefällt worden.
Die psychische Erkrankung sprengte den Käfig des Zwangs, unter dem Gubler gestanden hatte. Schon seine Mutter, seine (ebenfalls künstlerisch tätigen) Brüder, dann aber vor allem sein Mentor Jedlicka und offensichtlich auch seine Frau Maria hatten mit überzogenen Erwartungen an seinen Erfolg und seine Grösse lebenslang Druck auf ihn ausgeübt. Gubler durfte nicht scheitern, und so ging er künstlerisch keine Risiken ein, sondern suchte den Erfolg zu perfektionieren. Bei aller vordergründigen Kühnheit – er arbeitete immer schneller, immer gestischer – blieb er beim Gewohnten: bei seinen Themen und Sujets, beim Figurativen und bei einer konventionellen Raumauffassung. Seine Bilder waren gut gemacht, und sie forderten das Publikum nicht heraus.
Bezeichnenderweise kritisierte Jedlicka ein 1958, also in der Zeit der Hospitalisierungen, gemaltes Porträt von Flora Steiger-Crawford als zerfahren und misslungen. Das heute geradezu klassisch wirkende Bild erfüllte sein professorales Kriterium der «geschlossenen Bildstruktur» nicht. Einzelne Bilder der letzten Periode mögen eine psychiatrische Deutung nahelegen. Doch vor dem Hintergrund einer Moderne, die in vielfältiger Art Normen und Normalität überschreitet, ist eine ausschliessliche Einordnung in die Gattung «Art brut» nicht zwingend. Vielmehr erscheinen die in Bern gezeigten Werke der Jahre 1958 bis 1961 durchaus auch als Manifestationen einer künstlerischen Entwicklung im 20. Jahrhundert mit Bezügen zu zahlreichen anerkannten Exponenten moderner Malerei.
Es ist das Verdienst des Kunstmuseums Bern, Max Gubler, befreit von der Last dreier tragischer Irrtümer, neu zu zeigen. Es ist diesem Maler zu wünschen, dass er in seinen Qualitäten und in der Tragik seiner Künstlerexistenz erkannt und anerkannt wird.