Ein junger Dirigent für einen jungen Komponisten. Für einen Komponisten, der zu diesem Zeitpunkt gerade in einer äusserst glücklichen Phase seines Lebens stand: Er hatte soeben seine Konstanze geheiratet, die «Entführung aus dem Serail» wurde vom Publikum begeistert aufgenommen und das Stück blieb in der Folge das erfolgreichste zu Mozarts Lebzeiten.
Und nun steht Maxim Emelyanychev im Zürcher Opernhaus vor dem historisch orientierten Orchester «La Scintilla». Es ist die zweite Probe, noch ohne Sänger. Maxim Emelyanychev ist kurzfristig eingesprungen für Teodor Currentzis, der gesundheitshalber abgesagt hatte. Eine echte Herausforderung! Currentzis, «Dirigent des Jahres 2016», die Kultfigur im gegenwärtigen Opernbetrieb, der Grieche, der von Russland aus die Klassik umkrempelt und der Zürich einen phänomenalen «Macbeth» beschert hat. Currentzis war es aber auch, der vorschlug, Maxim an seiner Stelle dirigieren zu lassen.
Maxim Emelyanychev ist sich der Herausforderung bewusst und freut sich gleichzeitig auf die unverhoffte «Entführung aus dem Serail». Schmal, etwas blass und sehr jung sieht er aus. Und äusserst quirlig ist er. Vermutlich ist er tatsächlich der Jüngste in dieser Produktion. Mit hellwachen, strahlend blauen Augen sucht er Kontakt zum Orchester – und los geht’s.
Mit Zwölf erstmals am Pult
Rhythmisch stampft er auf den Boden und scheint den nun entstehenden Klangkoloss wie einen Findling mit aller Kraft vor sich herzuschieben. «Babam babam …, one and two …». So langsam formt sich da etwas. Dann die nächste Passage: langgezogener weicher Klang, etwas melancholisch, «daaaa, daaaa, digge digge diii …». Eine gewisse Anspannung ist spürbar, die Haare fliegen nur so und fallen ihm dauernd ins Gesicht. Fahrig streicht er sie weg. Mit ungestümer Jugendlichkeit geht er ans Werk, volle Aufmerksamkeit nach allen Seiten, und der Klangkoloss kommt immer mehr ins Rollen. Trompeten und Hörner mischen sich ein, etwas ungehobelt, aber spannend und lebendig. Als Gegensatz dazu Geigenklänge, wie ein flüchtiger Hauch Melancholie in der Luft.
Nach drei Stunden sitzt Maxim Emelyanychev am Tisch, müde, aber durchaus zufrieden. Neben ihm ein Espresso, und Maxim erzählt. Aus Nishni Novgorod kommt er, einer Stadt östlich von Moskau, an der Wolga gelegen. Und aus einer Musikerfamilie. Mit Mozart kennt er sich aus. «Ich habe bei Currentzis in den Aufnahmen zum ganzen ‘Da Ponte-Zyklus’ Continuo gespielt und auch selbst viele Mozart-Konzerte und -Sinfonien aufgeführt.» Auf alten Instrumenten und auch mit neuen. Zum Teil hat er die Konzerte vom Klavier oder vom Cembalo aus geleitet. «Die Zeit bei Currentzis in Perm war eine grossartige Erfahrung für mich.»
Mit zwölf Jahren hat er zum ersten Mal dirigiert. Sein Weg schien von Anfang an klar. Die Ausbildung erhielt er im Konservatorium Moskau, wo er sich aber vor allem auf Tasteninstrumente konzentrierte und auf alte Musik. «Ich habe auch Bombard gespielt», sagt er lachend. Bombard? «Ja! Und Zink … Bombard, das ist so eine Art Vorgänger der Oboe aus der Renaissance und der Zink, oder Cornetto, stammt auch aus dieser Zeit.»
Rastloses Energiebündel
Riccardo Minasi und Dmitry Sinkovsky, zwei Geiger des italienischen Barockorchesters «Il Pomo d’Oro» haben Maxim Emelyanychev dann bei einem Besuch in Moskau entdeckt und nach Italien eingeladen. Seit rund vier Jahren spielt er nun Cembalo bei «Pomo d’Oro» und ist inzwischen dessen Chefdirigent. In Russland wurde er mit der «Goldenen Maske» für sein Cembalospiel in «Le Nozze di Figaro» bei Currentzis ausgezeichnet und im vergangenen August konnte er in Berlin einen Echo-Preis für die Einspielung der Haydn-Konzerte mit «Pomo d’Oro» entgegennehmen. Ausserdem ist er gegenwärtig auf Europa- und US-Tournee mit Joyce DiDonato, einer der grössten Sopranistinnen unserer Zeit. Die dazugehörige CD «War and peace» erscheint dieser Tage.
Man staunt. So jung, so unprätentiös und schon so viel erreicht! Momentan hat er nur eine Sorge: «Hoffentlich sind die Flüge pünktlich ...», denn neben der «Entführung» in Zürich flitzt er immer wieder in die Welt hinaus, um Konzerte mit «Pomo d’Oro» zu geben und mit Joyce DiDonato. Und ausserdem möchte er weiterhin in Novgorod bei einem Jugendorchester tätig sein. «Natürlich ist das ein anderes Niveau, aber mir ist es sehr wichtig, ihnen als Lehrer etwas beizubringen und Teil der Musik in Russland zu sein.»
Später dann, ein paar Tage vor der Premiere, Orchesterprobe im Opernhaus. Das Bühnenbild steht, die Sänger sind dabei. Angelpunkt zwischen allen Beteiligten ist Maxim: ein Energiebündel unter Hochspannung, kraftvoll und federnd, mit fliegenden Händen, immer auf der Lauer, immer auf dem Sprung. Oben auf der Bühne tummeln sich gleich drei Personen im grossen Bett und Maxim blättert in der Partitur. Ein paar Worte Russisch an Olga Peretyatko, die «Konstanze» im Stück, und schon geht es weiter.
Da er im letzten Moment eingesprungen ist, muss er sich an gewisse Vorgaben halten, die durch die Inszenierung gegeben sind. «Natürlich ist es ein Kompromiss», sagt er. «Man muss das akzeptieren, denn Musik und Bühne gehören zusammen und wir müssen eine Einheit bilden.»
Von den Rockern lernen
Wichtig ist ihm aber vor allem auch, Mozart unverbraucht zu präsentieren. «Ich bin zwar kein Rock-Spezialist, aber in einem Rock-Konzert bin ich immer berührt davon, wie die Rocker gleichzeitig Emotion und Professionalität auf die Bühne bringen. Von dieser Energie müssen wir lernen! Auch für das Publikum zu Bachs oder zu Mozarts Zeiten war die Musik immer ganz unbekannt. Nach dreissig Jahren hat man sie schon als ‘alt’ bezeichnet und verlangte wieder Neues. Ich denke, wir sollten alte Musik, wie Mozart, heute wieder wie ganz neu aufführen.» Mozart also anhören, als wäre es Rockmusik? «Ja!»
Ein bisschen umschauen kann er sich in Zürich, aber viel Zeit bleibt nicht. Denn mindestens ebenso interessiert wie an der neuen Umgebung ist er daran, anderen Dirigenten auf die Finger zu schauen. Zum Beispiel Giovanni Antonini, der parallel zu Maxim Emelyanychev am Zürcher Opernhaus «Nozze di Figaro» probte.
Was ihn aber daneben wirklich noch sehr interessiert, ist die Wissenschaft, Physik vor allem. Der Teilchenbeschleuniger im Cern bei Genf fasziniert ihn. «Auf diesem Gebiet geschieht so viel …». Vielleicht liegt ja ein Besuch drin, so lang er in Zürich Mozart dirigiert.
«DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL»
Opernhaus Zürich
Premiere: 6. November 2016
HAYDN | CONCERTOS
Riccardo Minasi / Maxim Emelyanychev / Il Pomo d’Oro
ERATO
„IN WAR & PEACE“
Joyce DiDonato /Maxim Emelyanychev, Il Pomo d’Oro
ERATO