Die Weimarer Republik war erst einige Monate alt – und schon war sie in höchster Gefahr.
Genau 13 Monate nachdem die Weimarer Regierung ihre Arbeit aufgenommen hatte, marschierte eine republikfeindliche Brigade Richtung Berlin. Auf ihren Helmen hatten die Aufständischen weisse Hakenkreuze gemalt.
Die Putschisten forderten ultimativ die Absetzung der Regierung, die Auflösung der Nationalversammlung, Neuwahlen und die Zulassung völkischer Milizen. Vor allem aber verlangten die Rebellen die Nichterfüllung des Versailler Vertrags, den sie als schmachvolles Friedensdiktat der Alliierten empfanden.
Reichspräsident Friedrich Ebert und die Regierung lehnten die Forderungen der Putschisten ab. Doch weite Teile der regulären Armee, die die Regierung hätte schützen müssen, verhielten sich passiv und spielten so den Rebellen in die Hände. Während Ebert und mehrere Regierungsmitglieder von Berlin nach Dresden flüchteten, zogen die Aufständischen grölend singend durch das Brandenburger Tor.
Angeführt wurde die Meuterei von General Walther von Lüttwitz. Wolfang Kapp, der Gründer der völkischen, republikfeindlichen „Deutschen Vaterlandspartei“, proklamierte sich zum Reichskanzler. Der Aufstand ging als „Kapp-Putsch“ in die Geschichte ein. Nach hundert Stunden brach er zusammen. „Reichskanzler Kapp“ sei dann nach Schweden geflohen, spottet sarkastisch der Historiker Horst Möller.
Nach dem gescheiterten Putsch riefen Sozialdemokraten, Gewerkschaften und linke Kreise zu einem regierungsfreundlichen Generalstreik auf, an dem 12 Millionen Menschen teilnahmen. Da wegen des Streiks in Berlin die Wasserversorgung ausfiel, holten sich Berliner an einer öffentlichen Pumpe Wasser.
Es war nicht die einzige Rebellion gegen die neu entstandene Republik, die nach dem verlorenen 1. Weltkrieg das Kaiserreich ablöste.
Wohl keine europäische Regierung des 20. Jahrhunderts wurde derart von rechts und links bekämpft wie die Weimarer. Fast täglich wurde die Regierung von „bad news“ erschüttert. Es gab Dutzende von Umsturzversuchen, Aufstände, Terror, Generalstreiks, Attentate und Morde. Dass die Weimarer Regierung all diese Angriffe in den ersten Jahren überlebte, war keineswegs selbstverständlich. Es gab „kein Jahr, in dem die demokratische Republik nicht schwere Anfechtungen zu bestehen gehabt hätte“, schreibt Möller.
Gefahr von rechts
Da gab es auf der einen Seite die monarchistischen Kreise, die ihre Privilegien verloren hatten. Unterstützung erhielten sie von vielen Offizieren und Soldaten. Sie wehrten sich gegen die Erfüllung des Versailler „Kapitulationsvertrages“, der vorsah, dass die deutsche Armee ihre Stärke von 250’000 Mann auf 100’000 Mann reduzieren sollte. Deutschland verlor in dem Vertrag nicht nur Elsass-Lothringen, sondern weite Gebiete im Osten. Der territoriale Verlust betrug über 70’000 Quadratkilometer, fast die doppelte Fläche der Schweiz.
Ferner verlangte der Vertrag eine Reparationszahlung von 132 Milliarden Mark. Dass „Versailles“ den Deutschen die Alleinschuld für den Krieg gab, wurde sowohl von den Monarchisten, vielen Militärs, aber auch in weiten Bevölkerungskreisen als schändliche Demütigung empfunden, die an der Selbstachtung und am Stolz der Deutschen nagte.
Das Rad zurückdrehen
Schon kurz nach der Bildung der Weimarer Regierung am 13. Februar 1919 begannen monarchistische und militärische Kreise mit dem Versuch, das Rad zurückzudrehen. Vor allem die Justiz, die Kirche und die Universitäten waren ein Nährboden völkischer Gesinnung.
Der Kampf völkischer, antisemitischer, rechtsnationaler und rechtsextremer Kreise gegen die Republik und die Demokratie brachte Deutschland Gewalt, Attentate und Morde.
Kurz nach der Einsetzung der Weimarer Regierung erschoss der Student Anton Graf von Arco den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Der Attentäter war ein deutsch-völkischer Antisemit und kämpfte gegen die Republik. Das Attentat heizte die revolutionäre Stimmung an. Kurz darauf, am 8. Oktober 1919, wurde auf den Sozialdemokraten Hugo Haase ein Attentat verübt; Haase starb einen Monat später.
„Schädling“ des deutschen Volkes
Am 26. August 1921 wurde Matthias Erzberger erschossen. Die Mörder, die sich mit Wilhelm Tell verglichen, stammten aus dem rechtsextremen „Germanenorden“. Erzberger war es, der den Versailler Vertrag im Wald von Compiègne unterschrieben hatte. Später war er Vizekanzler und Finanzminister. Bereits am 26. Januar 1920 hatte ein Schüler zwei Schüsse auf Erzberger, diesen „Schädling“ des deutschen Volkes, abgegeben.
Der Judenhass breiter Bevölkerungsschichten wurde salonfähig und von Rechtsextremen bewirtschaftet. Antisemitische Attentate häuften sich. Der deutschvölkische Bund kämpfte gegen eine „Judenrepublik“ und gegen das „internationale Finanzjudentum“. Auch die „Deutschnationale Volkspartei“ DNVP, die bei Wahlen immerhin bis zu 20 Prozent der Stimmen erreichte, wehrte sich gegen die „Vorherrschaft des Judentums“.
„... die gottverfluchte Judensau“
Zu den rabiatesten Judenhassern gehörte der bayerische Volksschriftsteller Ludwig Thoma, der auch heute noch in Bayern hier und da verehrt wird. „Wir lassen uns von den Saujuden an der Spree weder regieren noch schikanieren“, schrieb Thoma. Noch heute gibt es ein „Ludwig Thoma Bier“.
Im Juni 1922 ermordeten Rechtsextremisten den deutschen Aussenminister Walther Rathenau mit dem Slogan: „Knallt ab den Walter Rathenau, die gottverfluchte Judensau.“
Im Herbst 1923 wollte Hitler von München aus die Weimarer Republik beseitigen und rief – analog zu Mussolinis „Marsch auf Rom“ – zum „Marsch auf Berlin“ auf. Die Polizei schoss den Umsturzversuch nieder.
Gefahr von links
Doch Gefahr drohte der neuen Regierung keineswegs nur von rechts. Von Anfang an stand sie unter heftigem Druck radikaler Linker und bolschewistischer Kreise. Lenin hatte 1917 in Moskau die Macht ergriffen. Viele kämpften jetzt für einen Export der bolschewistischen Revolution nach Deutschland.
Die Sozialdemokraten waren schon lange gespalten. Der Bruch kam, nachdem 1914 die SPD zu Beginn des Krieges für die Kriegskredite gestimmt hatte. Daraufhin spaltete sich der linke Flügel der SPD ab. Später wurde daraus die USPD: die Unabhängige SPD. Dieser Bruderkampf zwischen SPD und USPD belastete die gesamte Weimarer Zeit aufs Schwerste. Die USPD paktierte immer wieder mit den Kommunisten und schwächte damit die demokratischen Parteien. Die „Mehrheitssozialdemokraten“, wie sich die SPD-Mitglieder nach der Abspaltung der USPD auch nannten, waren entschiedene Gegner der Bolschewisten.
Deutschland war nicht Russland
Erster Höhepunkt linksradikaler Agitation war der „Spartakusaufstand“, der im Januar 1919 stattfand – also noch vor der Einsetzung der Weimarer Regierung am 13. Februar. Die Spartakisten, unterstützt von der USPD, besetzten vier Tage lang Teile der Hauptstadt, inklusive einiger Zeitungsredaktionen. Ihr Ziel war es, die Republik zu verhindern und das Proletariat an die Macht zu bringen. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die Hauptprotagonisten des Aufstands, wurden kurz darauf erschossen.
Doch die Voraussetzungen für eine bolschewistische Revolution waren in Deutschland nicht gegeben. Im Gegensatz zum unterentwickelten Agrarland Russland war Deutschland auch unter dem Kaiser ein industrialisierter, entwickelter und funktionierender Staat. Das schien die radikale Linke nicht zu kümmern.
Vorwürfe
Deutschland war nach dem Krieg wirtschaftlich ausgezehrt. Viele hungerten, die Kaufkraft sank, das Elend nahm zu. In den Strassen lagen Kriegsversehrte. Streiks waren die einzige und schärfste Waffe der Arbeiter. Immer wieder war die Regierung mit linken Aufständen und Massenstreiks konfrontiert. Oft streikten Hunderttausende.
Es hagelte Vorwürfe an die Regierung. Radikale Linke warfen ihr vor, „das imperialistisch-kapitalistisch-militaristische Geschäft des in Schmach zusammengebrochenen deutschen Kaiserreichs fortzusetzen“.
Am 13. Januar 1920 versuchten bewaffnete linke Gruppen den Reichstag zu stürmen und gaben Schüsse ab. Bei den Auseinandersetzungen starben 42 Menschen.
Am 15. März 1920 übernahmen im Ruhrgebiet kommunistische Aufständische die Macht. 300’000 Ruhrkumpel streikten. Die Reichswehr schlug den Aufstand brutal nieder. Über tausend Menschen starben.
Am 20. März 1921 zettelten kommunistische Verbände Aufstände in Hamburg und Mitteldeutschland an.
Im März 1921 verlangte Russland einen Umsturz im Reich. Die „Märzaktion“ forderte 180 Tote.
„Reale“ Gefahr eines kommunistischen Putsches
Im Oktober 1923 war die Gefahr eines kommunistischen Aufstandes „durchaus real“, schreibt der Historiker Heinrich Gustav Winkler. Kommunistische Milizen plünderten Waffengeschäfte. Schiesstrainings wurden durchgeführt. Der Plan bestand darin, von Sachsen aus die kommunistische Revolution nach ganz Deutschland zu tragen. Doch die Bevölkerung schien nicht mitzumachen. Reichspräsident Ebert liess die kommunistischen Umtriebe niederschlagen.
Im September verhängte Ebert den Ausnahmezustand. Moskau hatte beschlossen, die Revolution Ende Oktober oder Anfang November zu starten. „Deutschland schien reif für irgendeine Art von Diktatur“, schreibt Winkler. Ebert gelang es, die Wogen zu glätten.
Dolchstosslegende
Die faktische Allianz der extremen linken und rechten Kräfte brachte die Republik immer wieder in Schieflage. Doch die Weimarer Regierung hatte nicht nur mit radikalen Linken und Rechten zu kämpfen, die das gleiche Ziel verfolgten: den Sturz der Demokratie.
Auch Verschwörungstheorien und „Fake News“ grassierten. Die groteskeste war die „Dolchstosslegende“, die vom späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und seinem Stellvertreter Erich Ludendorff verbreitet wurde. Hindenburg behauptete, die deutsche Armee, der er vorstand, habe ehrenvoll gekämpft und sei nicht auf dem Feld geschlagen worden. Sie sei „unbesiegbar“ gewesen. Doch Deutschland habe den Krieg verloren, weil die Armee von hinten „erdolcht“ worden sei, und zwar durch „Wühlarbeit“ der Sozialdemokraten, der Juden und der Demokraten. Damit wollte Hindenburg sich reinwaschen und davon ablenken, dass er als oberster Armeechef für die Niederlage verantwortlich war. Die Legende schlug wie eine Bombe ein und schürte nationalistische und völkische Gefühle. Hitler übernahm die Legende später.
Keine klaren Mehrheiten
Die Weimarer Jahre waren ein ewiges Feilschen um Koalitionen. Die Regierungsbildung erwies sich als zunehmend schwierig. Das Verhältniswahlrecht führte dazu, dass keine klaren Mehrheiten entstanden. Regierungen wurden gestürzt, verschiedene Bündnisse kamen und gingen, Mehrheits- und Minderheitsregierungen lösten sich ab. GroKos gab es schon damals.
Später wurde argumentiert, das Proporzwahlsystem sei wesentlich schuld daran, dass die Republik unstabil war und schliesslich zusammenbrach. Ein relatives Mehrheitswahlrecht hingegen hätte es erleichtert, so hiess es, stabile Regierungen zu bilden. Doch Historiker sehen im Verhältniswahlrecht nur einen von vielen Gründen für das Scheitern von Weimar.
Verspielter Goodwill
Auch aussenpolitisch stand die Regierung unter Druck. Der „Vertrag von Rapallo“ vertiefte die Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Der deutsche Aussenminister Rathenau hatte sich überzeugen lassen, dass Deutschland nur mit sowjetischer Hilfe überleben konnte. Als Reichspräsident Ebert vom Abschluss des Vertrags erfuhr, war er blass vor Wut, konnte das Abkommen aber nicht mehr verhindern. Der Vertrag schreckte auch Frankreich und Grossbritannien auf und führte dazu, dass Deutschland den dringend notwendigen Goodwill bei den Alliierten ganz verlor. Der Vertrag von Rapallo gilt einigen als Vorlage für den Hitler-Stalin-Pakt.
Auf Goodwill konnte Deutschland nun nicht mehr zählen. Frankreich und Grossbritannien forderten ultimativ die Zahlung der im Versailler Vertrag festgehaltenen Reparationen. Deutschland jedoch war zahlungsunfähig.
Französischer Einmarsch
Da die Reparationen nur teilweise bezahlt wurden, besetzten am 11. Januar 1923 100’000 französische und belgische Soldaten das Ruhrgebiet. Deutschland reagierte mit passivem Widerstand. Der Schaden, der dadurch der deutschen Wirtschaft entstand, wird auf 4 Milliarden Mark geschätzt. Nicht aus der Luft gegriffen war die deutsche Befürchtung, dass Frankreich das Ruhrgebiet ewig behalten wollte – als Puffer gegen Restdeutschland.
Der Kampf gegen die soziale Misere, gegen Hungersnot, Elend und Hyperinflation kam nur schleppend voran, was die Republik-Verdrossenheit steigerte. Ein Brot kostete 3 Millionen Mark.
Gefährdet war die Republik auch wegen des Dauerstreits mit Bayern, Sachsen und Thüringen, die sich der Zentralregierung nicht unterordnen wollten.
Ein diktatorisch waltendes Direktorium
Nicht genug: Jetzt schwenkte auch die Wirtschaft auf einen anti-republikanischen Kurs um und verlangte die Abschaffung der Demokratie. Hugo Stinnes, der einflussreiche Industrielle und Chef des „Reichsverbands der deutschen Industrie“ (RDI), forderte ein diktatorisch waltendes Direktorium. Dieses müsse mit Macht ausgestattet sein, „um alles zu tun, was irgendwie nötig ist“. Offenbar dachte er daran, dass der Armeechef eine solche Rolle übernimmt. Dieser jedoch zögerte. Die rechten Flügelparteien, vor allem die Deutschnationalen, waren bereit, die Demokratie zugunsten eines autoritären Regimes zu ersetzen.
Dann endlich etwas Entspannung. Auf amerikanischen Druck hin wurden die Reparationszahlungen gekürzt. Amerika wollte, nicht ganz uneigennützig, die deutsche Wirtschaft beleben, denn Deutschland war ein wichtiger Abnehmer für amerikanische Produkte. Und auch die Sowjetunion zeigte plötzlich kein Interesse mehr an einer Revolution in Deutschland.
Andere sahen es später anders
Was Ebert, der am 28. Februar 1925 starb, nicht mehr erlebte, ist der „Vertrag von Locarno“, der Deutschland wieder in den Kreis der internationalen Gemeinschaft aufnahm.
Dass die Weimarer Regierung all diese Widrigkeiten zunächst überlebte, grenzt an ein Wunder. Es zeigt, dass einige starke, besonnene sozialdemokratische und bürgerliche Persönlichkeiten gemeinsam für die Überzeugung kämpften, wonach es keine Alternative zur Republik gab.
Andere sahen es später anders.
***
Teil 3: (folgt am Freitag) Von Hindenburg, „moralisch nicht geeignet“.
Teil 1: „Ein Gastwirt als Staatspräsident“
Quellen/Literatur
Horst Möller: Die Weimarer Republik, Demokratie in der Krise, Neuauflage, Piper, 2018.
Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933, Geschichte der ersten deutschen Demokratie, Neuauflage, Beck, 2018.
Sebastian Haffner: Von Bismarck zu Hitler, ein Rückblick, Neuauflage, Knaur, 2014.
Christopher Clark: Von Zeit und Macht, DVA, 2018.