Der 1942 geborene António Lobo Antunes gehört zu den wichtigsten Schriftstellern Portugals und gilt seit längerem als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis. 1970, nach seinem Medizinstudium, wurde er ins Militär eingezogen und 1971, ein halbes Jahr nach seiner Heirat, für zwei Jahre als Militärarzt nach Angola geschickt.
Das diktatorische Regime – erst unter Salazar, ab 1968 mit Caetano – hielt damals trotz der um sich greifenden Dekolonisation an seinen afrikanischen Territorien fest und führte seit 1961 in Mosambik, Kap Verde und Guinea-Bissau, São Tomé und Príncipe sowie in Angola einen langwierigen Kolonialkrieg. Dieser verschlang bis zur Hälfte der Staatsfinanzen und zerrüttete das Land. Die Nelkenrevolution vom 25. April 1974, getragen von einem linksgerichteten Aufstand grosser Teile der Armee, fegte dann aber Diktatur und Kolonialherrschaft hinweg.
Ein halber, aber intensiver Dialog
Lobo Antunes hat sich seither schriftstellerisch immer wieder mit seiner traumatischen Kriegserfahrung auseinandergesetzt. Doch erst 2005 (auf Deutsch übersetzt 2007) kam das unmittelbar aus der Angola-Zeit stammende Dokument an die Öffentlichkeit: die Sammlung der fast täglich nach dem fernen Lissabon an seine Frau geschriebenen Briefe. Herausgeberinnen waren die beiden Töchter des Schriftstellers. Ihre Mutter hatte eine Veröffentlichung für die Zeit nach ihrem Tod gewünscht.
Der Band enthält nur die Briefe Lobo Antunes’. Seine Frau hat ihm selbstverständlich auch geschrieben, doch ihre Stimme schweigt in dem Buch. So bekommt man die viel (aber nicht alles) sagende Hälfte eines intensiven Dialogs mit. Sie gibt Einblick in einen meist armseligen und geisttötenden, manchmal schrecklichen Kriegsalltag am Ende der Welt. Vom Leben der jungen Ehefrau bekommen wir indirekt einiges mit. Sie ist bei der Abreise Antónios mit dem ersten Kind schwanger und bereitet sich auf ein Universitätsexamen vor.
Die „Briefe aus dem Krieg“ – so der Untertitel des Bandes – sind private, ja intime Zeugnisse. Ihr Grundton ist die verzehrende Sehnsucht, das Leiden an der Trennung, der ungestillte Hunger nach Zärtlichkeit und Sex. António ist verzweifelt darüber, bei der Geburt seines Kindes nicht dabeizusein. Da die Post oft nicht funktioniert, bleibt er immer wieder ohne Nachricht über seine Liebste und – nach der Geburt der Tochter – über seine kleine Familie, worüber er sich bitter ins Leere hinaus beklagt.
Das Werden eines Schriftstellers
Seine Schilderungen von Kämpfen und sonstigen militärischen Aktionen bleiben spärlich. Er weiss nicht, ob man seine Briefe zensiert und ihn selbst überwacht. António Lobo Antunes hatte sich unter der Diktatur der verbotenen Kommunistischen Partei angeschlossen und war deswegen auch im Gefängnis. Seine Vorsicht ist begründet.
Trotz seiner Zurückhaltung beim Schildern der Zustände in den verschiedenen gottverlassenen Ecken der Kolonie, in die er abwechselnd versetzt wird, fügt sich beim Lesen der Briefe nach und nach ein Bild zusammen. Dazu gehört auch, dass man den Autor zwar meistens als unvoreingenommenen und respektvollen Beobachter einheimischer Menschen und Szenen, vereinzelt aber auch als verärgerten und nicht eben einfühlsamen Angehörigen der Kolonialmacht erlebt. Schärfer als jemals über die Ansässigen und Aufständischen urteilt er allerdings über dumpfe und unfähige Armeeangehörige.
Ausführlich geben die Briefe Bericht über die ersten schriftstellerischen Gehversuche. Militärischer Dienst scheint stets mit viel Warten und Langeweile einherzugehen, so auch im Kolonialkrieg in Angola. Lobo Antunes hat ausgiebig Zeit, um sich mit der Niederschrift seines ersten Romans abzumühen. Über die Kämpfe mit dem Text und die Höhenflüge beim Gelingen redet er ausgiebig. In heftigem Auf und Ab der Stimmungen sucht er seinen Weg zur Schriftstellerei. Wenn es nichts werde mit dem Erstling, dann gebe er das Schreiben auf für immer, erklärt er mehrfach.
Ungeschützte Authentizität
Die Briefe aus Angola, vier Jahrzehnte nach dem Ende des Kolonialkriegs erschienen, beeindrucken als Dokumente des heroischen Kampfes eines jungen Mannes. Gewaltsam und für lange Zeit getrennt von der Liebe seines Lebens – die romantische Formel darf hier sein – scheint er geglaubt zu haben, mit Worten diese Liebe am Leben halten zu müssen. Im manischen Schreiben kämpfte er augenscheinlich zugleich um das eigene Leben. Es war ein verzweifeltes Ringen, bei dem er alles ihm zu Gebote Stehende in die Waagschale warf: glühende Liebeserklärungen, poetischen Zauber, sarkastischen Humor, erotische Phantasien, emphatische Wertschätzung, flehentliche Bitten, aber auch das stolze männliche Selbstbewusstsein, das Ausmalen des ersehnten Zusammenlebens und die närrische Freude auf das gemeinsame Kind.
Briefeditionen haben den Nimbus des Authentischen, besonders wenn die Korrespondenz – wie hier – ohne Seitenblick auf eine mögliche Veröffentlichung entstanden ist. Die Briefe António Lobo Antunes’ an seine Frau sind in ihrer Intimität vielleicht ein Grenzfall dessen, was einem Lesepublikum vorgelegt werden kann.
Die Grenze zum Voyeurismus ist hier aber nicht überschritten. Eine unzweifelhafte Wahrhaftigkeit verleiht diesen ungeschützten, verletzlichen Texten eine einhüllende Aura. Wer die Briefe liest, fühlt sich in die Pflicht genommen, einerseits die Monotonie des geschilderten Lebens mit auszuhalten, andererseits gegenüber den Entblössungen des Verfassers eine respektvolle Distanz zu wahren. In dieser Weise gelesen, werden die rohen, an sich unliterarischen Texte dann doch zu ergreifender Literatur.
António Lobo Antunes: Leben, auf Papier beschrieben. Briefe aus dem Krieg, hrsg. von Maria José und Joana Lobo Antunes, Luchterhand Literaturverlag, München 2007, 527 S.