Es ist in der Schweiz Tradition, dass gemeinnützige Institutionen im Auftrag des Staates öffentliche Aufgaben übernehmen. Diese sorgen mit einer unternehmerischen Ausrichtung für einen effizienten und bedarfsgerechten Service. Ein bedeutender Wirtschaftszweig sind die Behinderteneinrichtungen:
Nach Angaben des Branchenverbands Curaviva erzielen in der Schweiz hochgerechnet 750 Betriebe mit über 30´000 Klienten einen geschätzten Jahresumsatz von 3,8 Mrd. Franken. Allein der Kanton Zürich verwendet dafür rund 4 Prozent seines Gesamtbudgets. Zudem finanzieren sich Einrichtungen für Suchtkranke und sozial auffällige Jugendliche sowie Sonderschulen grösstenteils über staatliche Leistungsentgelte.
Anspruchsvoller Systemwechsel
Aufgrund des geänderten Finanzausgleichs (NFA) verlagerte sich 2008 die Finanzhoheit bei Behinderteneinrichtungen vom Bund zu den Kantonen, die hierzu – teilweise unter grosser Eile – ein eigenes Leistungsvereinbarungssystem aufbauen und die Institutionen dafür erstmals systematisch erfassen mussten. Und die meisten Leistungsfinanzierer haben bereits einen weiteren einschneidenden Systemwechsel vollzogen: die Umstellung von der betrieblichen Defizitgarantie zum «subjektorientierten» Pauschalsystem. Danach werden – gestuft nach den für die Klienten effektiv zu erbringenden Leistungen – Pauschalen abgegolten, und nicht mehr per se der anrechenbare Verlust.
Als Folge davon liegt es nun weitgehend in der unternehmerischen Verantwortung eines jeden Betriebs, mit dem erhaltenen Geld ein ausgeglichenes Ergebnis zu erreichen. Im Gegenzug haben die Institutionen gewisse Freiheiten, sie müssen sich beispielsweise nicht mehr an normierte Stellenpläne, Auslastungsvorgaben oder starre Lohnreglemente halten. Dies führt zu einer administrativen Entlastung beider Seiten. Der Kanton greift nur noch selten ins operative Tagesgeschäft ein, etwa wenn die Qualitätsvorgaben nicht erreicht werden.
Das Pauschalsystem verpflichtet die Betriebe jedoch zur laufenden Kosten- und Leistungsüberprüfung. Allfällige Verluste sind von nun an aus eigenen Reserven zu decken. Dementsprechend geraten Betriebe, welche unrentabel arbeiten oder zu wenig um ihre Auslastung bemüht sind, deutlich schneller unter Restrukturierungsdruck – zumindest theoretisch. Denn momentan werden die Pauschalen betriebsspezifisch und eher grosszügig angesetzt. Ergibt sich trotzdem ein Defizit, sind viele Leistungsfinanzierer in der gegenwärtigen Übergangsphase noch zu Anpassungen der Pauschale bereit, gegebenenfalls sogar zu Ausgleichszahlungen. Der politische Druck, die Pauschalen sukzessive anzugleichen und kostengünstige Anbieter dabei als Referenz zu betrachten (Benchmarking), nimmt jedoch zu.
Überschüsse können teilweise einbehalten werden
Sind die Aufwendungen für die Leistungserbringung kleiner als die dafür vom Staat erhaltenen Mittel, haben die Betriebe den «Gewinn» in den meisten Kantonen einem sog. «Schwankungsfonds» zuzuweisen. Das vereinfacht die Abrechnungsmodalitäten entscheidend, denn diese Reserven dienen zur Deckung späterer Verluste: Die Betriebe sparen gewissermassen in guten Zeiten Mittel für schlechte Zeiten an und gewinnen zusätzliche Flexibilität. Je nach Leistungsbereich beträgt die obere Grenze des Fonds bis zu 30 Prozent eines jährlichen Gesamtaufwands, was in Einzelfällen in die Millionen gehen kann. Der Schwankungsfonds ist somit nach oben begrenzt:
Übersteigt dieser den vorgegebenen Plafond, kann der überschiessende Betrag vom Kanton zumindest teilweise zurückgefordert werden. Nach dem neuen System dürfen die Institutionen nicht verwendete Subventionen also bis zu einem gewissen Masse einbehalten. Dies ist unter volkswirtschaftlicher Logik solange gerechtfertigt, als Überschüsse des einen Leistungsbereichs (z.B. «Wohnen») nicht mit Verlusten eines anderen (z.B. «Tagesstruktur») verrechnet werden, was ansonsten zu einer Wettbewerbsverzerrung führen würde. Zudem dürfen «Gewinne», die mittels Leistungspauschalen erzielt werden, weder an Betriebseigentümer ausgeschüttet noch für entbehrliche Projekte verwendet werden. Allerdings sind sich die Kantone dabei uneins, ob die «angesparten» Mittel ausschliesslich im Rahmen der Leistungsvereinbarung, also in einer engen Zweckbindung, oder ob sie vergleichsweise weit, beispielsweise für Investitionsvorhaben, eingesetzt werden können.
Das System wird weiterentwickelt
Eine aktuelle Umfrage der Verfasser bei den Kantonen, die das Pauschalsystem etabliert haben – das sind 19 von 26 Kantonen –, zeigt, dass sich dieses nach einer aufwendigen und teilweise konfliktgeladenen Einführungsphase bewährt hat. Für den einzelnen Betrieb bedeutet dies: Eine gute Auslastung, eine adäquate Personal- und Infrastrukturplanung sowie eine professionelle Leitung sind unabdingbar. Die Einrichtungen fordern zu Recht eine weitere, ausgereiftere Ausarbeitung des Pauschalmodells, wobei ausgewogene Sonderlösungen für die wenigen besonders kostenintensiven Klienten beizubehalten sind.
Ansonsten fänden Personen mit starker Fremd- oder Eigengefährdung oder einem extremen medizinischen Betreuungsbedarf – die jährlichen Gesamtkosten betragen in manchen Fällen mehrere Hunderttausend Franken – keinen geeigneten Betreuungsplatz mehr. Umgekehrt ist zu diskutieren, inwiefern grosszügige betriebliche Reserven aus der Vergangenheit zu einer Kürzung des Staatsbeitrags führen dürfen. Hält der öffentliche Spardruck an, müssen sich die Betriebe auf tiefere Pauschalen einstellen, was letztlich eine Restrukturierung der Branche bewirken könnte. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das neue System gezielte Kürzungen vereinfacht – verständlicherweise die grösste Befürchtung der Branche. Mit leistungsbezogenen Pauschalen ist aber deutlicher ersichtlich als früher, wer effizient arbeitet und wer nicht.
Akzeptabel ist eine vermehrte Angleichung der Tarife mittels Benchmarking nur dann, wenn auch weiterhin auf die jeweilige Klientenstruktur und die regionalen Gegebenheiten Rücksicht genommen wird. Ein wichtiger erster Schritt hierzu wäre eine umfangreiche Transparenz, welche es den einzelnen Betrieben erlaubt, ihre Leistungen und Kosten untereinander zu vergleichen. Alles in allem sind die Kantone und die Politik gefordert, die Institutionen auch weiterhin in die laufende Modellentwicklung und Tarifierung einzubeziehen und damit für beiderseitige Planungssicherheit zu sorgen.
Daniel Zöbeli ist Professor und Daniela Schmitz Projektleiterin am Institut für Management und Innovation (IMI) der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS).