In Avignon sind die Urteile gesprochen: Im Vergewaltigungsprozess um Gisèle Pelicot ist der Hauptangeklagte, der Ex-Mann Pelicots, zur Höchststrafe von 20 Jahren Haft verurteilt worden. Gisèle Pelicot hatte sich entschieden, den Prozess öffentlich führen zu lassen. Ihr Ausspruch «la honte doit changer de camp» (die Scham muss die Seite wechseln) steht für eine durch ihren Fall ausgelöste breite gesellschaftliche Diskussion über sexuelle Gewalt.
In dem Mammutverfahren standen neben dem Hauptangeklagten 50 weitere Männer vor Gericht, die meisten wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung. Einen von ihnen sprach das Gericht wegen versuchter Vergewaltigung schuldig, zweien legte es sexuelle Gewalt zulasten, so die Nachrichtenagentur dpa. Alle anderen sprach das Gericht wegen schwerer Vergewaltigung schuldig.
Dominique Pelicot hatte seine damalige Frau Gisèle fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt, missbraucht und von Dutzenden Fremden vergewaltigen lassen. Der jahrelange sexuelle Missbrauch war vor vier Jahren eher zufällig aufgeflogen. Dominique Pelicot war im September 2020 festgenommen worden, nachdem er Frauen im Supermarkt unter dem Rock gefilmt hatte. Polizisten untersuchten den Computer des Mannes. Dieser hatte den Missbrauch an seiner Frau in Hunderten Fotos und Videos dokumentiert. Gisèle selbst hatte die Übergriffe wegen der starken Medikamente, die ihr damaliger Mann ihr heimlich verabreicht hatte, nicht mitbekommen. Sie geht davon aus, etwa 200 Vergewaltigungen erlitten zu haben. Die Ermittler vermuten auch ein Dutzend weitere Täter, die aber nicht identifiziert werden konnten.
Das seit September laufende Verfahren hat Frankreich aufgerüttelt. In einem ungewöhnlichen Schritt entschied sich Gisèle Pelicot dazu, den Prozess nicht hinter verschlossenen Türen führen zu lassen. Sie habe sich nichts vorzuwerfen, betonte sie. In nur wenigen Wochen wurde Pelicot zum Vorbild und zur feministischen Ikone. Sie wolle, dass andere missbrauchte Frauen durch sie Mut bekämen, sagte sie vor Gericht. «Ich will, dass sie keine Schande mehr verspüren. Nicht wir sollten uns schämen, sondern sie.»