An der Universität St. Gallen schwelt eine Plagiatsaffäre. Erst nach und nach werden Details bekannt. Die Hochschulleitung gerät zunehmend unter Druck.
Schon zu Beginn war zu erkennen, dass diese Sache lange zu reden geben würde. Nur die Verantwortlichen stellten sich noch taub, als das «St. Galler Tagblatt» am 2.Dezember seine Nachforschungen in einer Geschichte präsentierte, die im September die «NZZ am Sonntag» bekannt gemacht hatte: Ein an der Universität St. Gallen (HSG) lehrender Titularprofessor für Betriebswirtschaftslehre stehe im Verdacht, sich sowohl in seiner Dissertation wie in seiner Habilitationsschrift mit fremden Federn geschmückt zu haben, ohne dies auch kenntlich zu machen. Für solche Plagiate werden Studierende ohne Ansehen der Person bestraft, den Professor hingegen nahm die angesehene Wirtschaftshochschule zunächst einmal in Schutz. Man habe den Fall gründlich überprüft und kein wissenschaftliches Fehlverhalten festgestellt, erklärte ein Sprecher. Man sehe sich deshalb nicht genötigt, erneut Ermittlungen einzuleiten.
Von dieser Linie wich Rektor Bernhard Ehrenzeller auch nicht ab, nachdem der von der Zeitung beauftragte Salzburger Plagiatsforscher Stefan Weber seine Resultate präsentiert und erklärt hatte, er habe in der Dissertation bei der Überprüfung mittels Software schon nach kurzer Zeit eine «grosse Anzahl von Plagiaten» festgestellt. In der – an der Universität St. Gallen eingereichten – Habilitationsschrift seien die Plagiate dagegen «deutlich versteckt». Aber der Professor habe auch dort «teils grossflächig abgeschrieben, ohne Quellen zu nennen».
Der Rektor verschanzt sich
Am 10.Dezember erklärte Ehrenzeller in seinem ersten Interview zur Angelegenheit, die Universität sei von einer Anwältin auf Plagiate in der Habilitation hingewiesen worden, eine Untersuchungskommission habe dies abgeklärt. Ob es sich bei einer Textstelle um ein Plagiat handle, hänge von Faktoren wie der wissenschaftlichen Relevanz und dem Kontext ab. Auf die Bemerkung der «Tagblatt»-Journalisten, sie hätten in der Habilitationsschrift im Vorwort einen ganzen Abschnitt aus einer fremden Doktorarbeit gefunden, ohne jeden Hinweis auf die Quelle, sagte Ehrenzeller: Ja, das wäre ein Plagiat. Er selber habe aber diese Habilitation nie selber gelesen, er müsse sich auf die Gutachter verlassen.
Das war die Linie. Der Rektor verschanzte sich hinter einer anonymen Untersuchungskommission, und nicht nur die Studierenden, die sich an die Anwältin gewandt hatten, mussten den Eindruck bekommen: Da sollte etwas unter den Teppich gekehrt werden. Und es wurde immer mehr, was da unter dem Teppich hervorlugte. Zum Beispiel, dass der Professor Abschlussarbeiten von Studierenden unter eigenem Namen veröffentlicht hatte, was, wie Ehrenzeller eingestehen musste, «eine erhebliche Verletzung der Integritätsrichtlinien» darstellen würde.
Immer neue Details – und dann die Wende
Der Unmut wuchs, auf dem Campus, und auch in der Politik. Man erinnerte sich, dass die HSG in den vergangenen Jahren mehrere Affären nur mit Müh und Not überstanden hatte. Dabei hatte sich gezeigt: Das liberale Modell der Universität St.Gallen, mit Instituten, die eine grosse Eigenständigkeit geniessen, und mit Forschern, die neben ihrer Hochschul- oft auch eine Wirtschaftskarriere verfolgen, ist anfällig für Missbrauch.
Nach Tagen des erfolglosen Abwiegelns kam dann in der vergangenen Woche die Wende. Der Rektor bemühte sich, das Vertrauen der Studierenden zurückzugewinnen, die den Eindruck hatten erhalten müssen, bei Plagiaten werde an der HSG mit zweierlei Mass gemessen. Immer neue Details wurden bekannt: Etwa dass der Leiter des Instituts, an dem der Professor lehrte, mit einem Anwaltsschreiben, in dem er im Namen der HSG rechtliche Massnahmen androhte, Druck auf Studierende ausgeübt hatte.
Da wurde es auch dem bis dahin sehr schweigsamen St. Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker zu bunt. Letzten Freitag gab die Universität St.Gallen bekannt, dass sie die zwei Professoren per sofort freigestellt und ihnen den Zutritt zur Universität untersagt habe. Auch Sicherheitsdienst und Polizei wurden informiert – Vorgänge, die es «in der fast 125-jährigen Geschichte der Universität St. Gallen noch nie gegeben hat», wie das «St. Galler Tagblatt» feststellte. «Was derzeit geschieht, schadet der Universität und der Reputation der HSG enorm», sagte Kölliker, und kündigte einen «Befreiungsschlag» an: Umfangreiche Ermittlungen seien eingeleitet worden, bis zum März 2023 solle eine ausserkantonale Meldestelle eingerichtet werden, bei der sämtliche Angehörige der Universität Missstände melden könnten.
«Testfall für das System HSG»
Das ist zwar gut und schön. Aber es wird auch in Zukunft darauf ankommen, wie der Rektor oder die Rektorin – Ehrenzeller ist noch bis Februar 2024 im Amt – auf solche Missstände reagiert. Und es gibt, jenseits der Plagiatsaffäre, noch einen weiteren, ziemlich brisanten Komplex, wie die «NZZ am Sonntag» schreibt: Es stehe nämlich noch der Verdacht im Raum, «dass der Institutsleiter mit seiner an der Uni angesiedelten Privatfirma die Infrastruktur der Hochschule missbraucht und Gewinne abgezweigt haben soll». Mit der Untersuchung dieses Aspekts habe die HSG den früheren Bundesrichter Niklaus Oberholzer beauftragt. Sie werde zum «Testfall für das System HSG» werden.