Malaysia und die Türkei haben bislang als Beispiele dafür gegolten, dass demokratische Modernität und islamisches Staatsverständnis kompatibel sein können. Um ihre persönliche Macht zu erhalten, sind zwei "starke Männer’"daran, dieses nicht nur für die beiden Länder wichtige Erbe zu verspielen. Aus strategischen Gründen schaut der Westen weg.
Beide Augen zudrücken
Aktuelle innenpolitische Ereignisse in den beiden Ländern zeigen erstaunliche Parallelen. In der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan die letzten Parlamentwahlen völlig personalisiert und nicht erreicht, was er wollte. Erdoğans seit langem allein regierende AKP-Partei wurde vom kurdischen Politiker Selahattin Demirtaş und seiner primär pro-kurdische HDP-Partei gezwungen, Koalitionsgespräche zu führen. Beobachter glauben, dass Erdoğan Neuwahlen anstrebt.
Um diese aber mit einer absoluten Mehrheit zu gewinnen, und damit noch autoritärer regieren zu können als bislang, muss Erdoğan nationalistische und religiöse Emotionen im Wahlvolk hochkochen. “Religiös” meint hier speziell "sunnitisch", da die der Schia verpflichteten türkischen Minderheiten traditionell für die kemalistische Opposition der AKP votieren. Aus diesem Grund haben die Behörden bislang beide Augen zugedrückt, wenn sunnistische Extremisten im syrischen und irakischen "Kalifat" des "Islamischen Staats" (IS) die Türkei praktisch als Nachschubbasis gebraucht haben.
Korruptionsvorwürfe
In Malaysia sieht sich Premierminister Najib Razak in die Ecke gedrängt, da immer mehr Beweise für seine direkte Verwicklung in einen gigantischen Korruptionsskandal rund um den staatlichen Entwicklungsfonds 1 MDP (1 Malaysia Development Berhad) auftauchen. Mit den paar hundert Millionen US-Dollar, welche nach komplizierem Waschvorgang, unter anderm über zwei Schweizer Banken, in Najibs Privatkonto in Singapur landeten, soll er sich den schmalen, aber entscheidenden Vorsprung bei der letzten Parlamentswahlen gekauft haben.
Internationale Ermittlungen dazu, darunter die Inhaftierung eines schweizerischen Angestellten einer der Banken in Thailand, sind so breit angelegt, dass der Ministerpräsident sich kaum mit Dementis und Vertuschung retten werden kann. Entsprechend scheint er eine Allianz mit einer bislang oppositionellen, konservativ islamischen Partei anzustreben.
Pakt mit konservativen islamischen Parteien
Dies könnte gelingen, da die breite malaysische Oppositionsfront kürzlich an der Frage der Einführung der Hudud (islamische Strafgerichtsordnung) zerbrochen ist. Die Oppositionsfront besteht traditionell aus einer Zweckehe zwischen Islamisten und den liberalen Parteien der grossen chinesischstämmigen Minderheit (ca. 40% der Gesamtbevölkerung).
Dass eine solch scharfe Hinwendung zu konservativ islamischen Parteien eines bislang grundsätzlich laizistischen Staates überhaupt ernsthaft diskutiert wird, erscheint leider wenig erstaunlich, wenn man sich die seit langen Jahren andauernde, schleichende Islamisierung von Volk und Staat in Malaysia vor Augen hält.
Nur ein AKP-Kurde ist ein guter Kurde
Beide Staaten, Malaysia und die Türkei, stehen an einem Wendepunkt. In der Türkei wird immer deutlicher, dass die von der Regierung gross angekündigte Offensive gegen "Extremisten" primär Luftangriffe und beschränkte Bodenoperationen gegen die PKK umfasst - und den “Islamischen Staat” weitgehend unbehelligt lässt. Die PKK ist eine traditionell als terroristisch eingestufte, weitgehend aus dem Nordwesten vom Irak aus operierende Kurdenpartei, welche aber über die letzten Jahre hinweg mit Erdoğans Türkei in einen vielversprechenden Befriedungsprozess eingetreten war.
Nicht nur hat die türkische Regierung diesen nun aufgekündet und dessen Basis zerschlagen, sondern auch den Druck auf Kurden generell massiv erhöht. Im Parlament machte der Premierminister klar, dass für Erdoğan nur ein Pro-AKP-Kurde ein guter Kurde sein könne. Entsprechend unmöglich wird damit die Position des oppositionellen Kurdenpolitiker Demirtaş, der laut jüngsten Berichten von den Behörden "wegen Unterstützung von Extremisten" belangt werden soll. Es fällt schwer, hier nicht ein nacktes Powerplay von Erdoğan zu sehen.
Autoritär und zunehmend isoliert
Falls Najib in Malaysia sich tatsächlich mit harten Islamisten ins selbe politische Bett legt, würde dies einem auch anderenorts in der islamischen Welt bekannten Muster folgen. Ein autoritärer Herrscher, zunehmend isoliert, wendet sich an die islamische Rechte, welche ihm gerne ideologische Rückendeckung gewährt, allerdings zu einem hohen Preis. Was das in letzter Konsequenz bedeuten kann, zeigt sich bei der "Mutter aller konservativ islamischen Regime", dem saudischen Wahabismus. Dass dieser nicht auf die arabische Halbinsel beschränkt sein muss, belegt das Beispiel des kleinen Cousins von Malaysia, dem an sich superreichen, aber in islamischem Autoritarismus erstarrten Sultanat Brunei.
Aus strategischen Gründen schaut der Westen im Moment weg, sowohl was das Nato-Mitglied Türkei, als auch was das Asean-Mitglied Malaysia anbelangt. Die USA haben eben die von ihnen jährlich erstellte Klassifizierung von Malaysia mit Bezug auf Menschenhandel so zurechtgebogen, dass Kuala Lumpur nicht mehr automatisch von der fast fertig ausgehandelten Freihandelszone TTP (Trans-Pacific Partnership) ausgeschlossen bleibt. Der TTP-Vertrag soll einen Eckpfeiler bilden bei der amerikanischen Hinwendung zu Asien (Asia pivot). Er ist die strategisch westliche Antwort auf chinesischen Expansionismus.
Zuviel steht auf dem Spiel
Falls sich tatsächlich eine offizielle Hinwendung von Malaysia zu islamischer Rechtssprechung, mit allen entsprechenden Konsequenzen auch für die ausländische Präsenz im Land, beschleunigen sollte, wird eine Reaktion nötig sein.
Ebenso, wenn klar werden sollte, dass Recep Tayyip Erdoğan an der türkischen Süd- und Ostgrenze die Präsenz des IS einer moderaten kurdischen Präsenz von der Art des gegenwärtigen De-facto-Staates im Nordirak vorzieht. Zuviel stünde auf dem Spiel, sowohl für die nichtislamistischen Bevölkerung in beiden Staaten, als auch für die westlichen Interessen in beiden Staaten.