Nach den offiziellen syrischen Meldungen sollen die Gespräche zunächst zwei Tage dauern. Dabei soll ein Zeitplan für ihre Fortsetzung aufgestellt werden. Laut den offiziellen Medien beteiligen sich an dem Dialog die Baathisten (das heisst: die Vertreter des Regimes), Oppositionelle, Akademiker, Parteipolitiker und politische Jugendgruppen.
Ziel sei es, die bestehende Verfassung so abzuändern, dass ein freies demokratisches Regime entstehe. Auch jene Paragraphen der gegenwärtigen Verfassung, die der Baath-Partei ein politisches Monopol zusichern und jene, die es erlauben, die Presse zu zensurieren, stünden zur Diskussion. Der Konferenz werde eine Serie von Gesetzesentwürfen vorgelegt, darunter der Vorschlag für ein neues Parteigesetz, ein Wahlgesetz usw.
Keine Teilnahme der Demonstranten
Doch die syrischen Widerstandskämpfer haben erklärt, sie würden an den Gesprächen nicht teilnehmen. Sie weigerten sich, mit dem Regime zu diskutieren, solange dieses auf syrischen Demonstranten schiessen lasse und massenweise gewaltlose Manifestanten einkerkere und misshandle. Die Gewalt müsse zuerst aufhören und die Gefangenen freigelassen werden, bevor ein Gespräch in Frage komme.
Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisationen ist die Zahl der Todesopfer in Syrien inzwischen auf gegen 1‘300 gestiegen; die Zahl der Eingekerkerten betrage etwa 1‘200.
Die grossen Demonstrationen in ganz Syrien, die Freitag, dem 9. Juni durchgeführt wurden und mindestens 15 neue Todesopfer gekostet haben, waren unter Schlagworten wie: "Keine Beteiligung am Dialog mit dem Regime," und "Nicht-Dialog Freitag" durchgeführt worden.
Offiziöser Dialog
Vor dem gegenwärtigen offiziellen Dialog hatte das Regime am 27. Juni einen offiziösen Dialog zugelassen. Zum ersten Mal duldete das Regime, dass sich eine grössere Zahl von Regimekritikern in einem der grössten Hotels der Hauptstadt zu einer gemeinsamen Sitzung trifft.
Unter ihnen befanden sich meist Oppostionelle der älteren Generation, die oft jahrelang in Gefängnissen verbracht hatten. Diese geduldete aber nicht offiziell anerkannte Versammlung arbeitete ein Papier aus, in dem sie die Massnahmen aufzählte, welche ihres Erachtens notwendig seien, um die gegenwärtigen Unruhen zum Abklingen zu bringen.
Die Anführer der Demonstranten waren zu dieser Versammlung nicht eingeladen. Man habe sie fern gehalten, weil man "neutral" bleiben wollte, erklärten die Initiatoren der geduldeten Oppositionsversammlung.
Diese "neutrale" Versammlung erklärte jedoch, wie die Oppositionsbewegung der Demonstranten, ein Treffen mit der Regierung komme nicht in Frage, solange diese weiter Gewalt gegen ihre eigene gewaltlos vorgehende Bevölkerung anwende.
Die Teilnehmer dieses offiziösen Dialogs sind meist langjährige Einzelkämpfer gegen das Regime. Es ist nicht anzunehmen, dass sie sich für den nun eingeleiteten offiziellen Dialog hergeben werden.
"Bewaffnete Banden" als Alibi der Regierung
Die offizielle Regierungspropaganda bezeichnet die Opposition auf den Strassen als "Banden, die vom Ausland aufgewiegelt werden". Mit dieser Behauptung sucht sie auch das gewaltsame Vorgehen der Armee zu beschönigen.
Niemand in Syrien glaubt dies, denn alle haben auf Internetbildern und auf dem Sender al-Jazeera die grossen Massen von syrischen Bürgern gesehen, welche unmöglich als blosse Banden bezeichnet werden können.
Nur die Propagandisten des Regimes selbst und manche der von ihren Gefolgs- und Sicherheitsleuten abgeschirmten Machthaber glauben und schüren solche Behauptungen. Die Frage ist, wieweit Baschar al-Asad selbst daran glaubt. Erliegt er noch immer der Illusion, dass ein grosser Teil der Bevölkerung zu ihm steht?
Wo immer er öffentlich in Erscheinung tritt, werden für ihn Sympathie-Demonstrationen organisiert. In den zwei grossen Städten des Landes, Damaskus und Aleppo, dürfte es immer noch grössere Mengen von Regimeanhängern geben. Demonstrationen sind nur aus den verarmten Rand- und Volksquartieren von Damaskus und an der Universität von Aleppo gemeldet worden.
Kennt Asad die wirklichen Verhältnisse im Land?
Unter der syrischen Bourgeoisie bis hinab zu den Basarhändlern dürfte es viele geben, die fürchten, eine nach-Asad-Zeit mit lang andauernden Unruhen könnte für sie noch viel schlimmer werden als die heutigen Zustände. Sie können die Vorgänge im Irak in den Jahren des Bürgerkrieges zwischen Schiiten und Sunniten als warnendes Beispiel sehen.
Unter den Staatsbeamten und in den Schulen gibt es ausserdem grosse Gruppen von Leuten, die fürchten, sie könnten ihre Stellen verlieren - oder schlimmeres, wenn sie sich weigerten, den Geboten der Propagandisten der Baath-Agitatoren Folge zu leisten. Die Gruppe der Syrier, die sich vor einer Nach-Asad-Ära fürchtet, ist so laut, dass der Präsident selbst vielleicht tatsächlich die wirklichen Verhältnisse im Land nicht wahrnimmt – und natürlich nicht wahrnehmen möchte.
Wie der Vater so der Sohn
Andere Teile des Asad-Regimes verschleiern gegenüber dem Präsidenten das wirkliche Ausmass der Grausamkeiten. Dazu gehört vor allem der Sicherheitsapparat, der aus seinen alawitischen Vertrauensleuten zusammengesetzt ist. Es liegt in ihrem Vorteil, Asad als positive Vorzeigefigur zu erhalten. Während vielen Jahren hat das Regime davon profitiert, dass der junge Präsident für eine Person gehalten wurde, an dessen gutem Willen die Syrer glauben konnten. Dass sich dies heute geändert hat, dürften seine Sicherheitsschergen schwerlich erkennen.
Leiter dieser Sicherheitsschergen ist Asads Bruder, Maher al-Asad. Die Parallele zu dem was unter Hafez al-Asad ablief, dem Gründer Asad-Dynastie und Vater des jetzigen Präsidenten, ist erstaunlich.
Damals war es ebenfalls ein draufgängerischer Bruder des Präsidenten, Rifaat al-Asad, der alles tat, um die Opposition niederzuschlagen. Er hatte 1982 die aufrührerische Stadt Hama umzingelt und sie brutal unter gewaltigen Verlusten an Menschenleben unter seine Kontrolle gebracht. Heute regt sich dort wieder der Widerstand. Rifaat hat sich später mit dem damaligen Präsidenten überworfen. Hafez as-Asad fürchtete, er wolle ihn von der Macht putschen. Deshalb wurde Rifaat nach Paris verbannt.
Der US-Botschafter bei den Demonstranten
Doch das Klischee vom guten Präsidenten und seinen gefährlichen Sicherheitsschergen ist nicht mehr funktionsfähig. Das Doppelspiel an der Spitze des Staates ist allzu durchschaubar geworden. Die seltsamen Ereignisse um den amerikanischen Botschafter in Damaskus zeigen, dass die Leute des Regimes nicht mehr fähig sind, zwischen ihrer eigenen Propaganda und der politischen Realität zu unterscheiden.
Der amerikanische Botschafter, Richard Ford, ging, offenbar mit Zustimmung Washingtons und begleitet vom französischen Botschafter Eric Chevallier, am Donnerstag unmittelbar vor den geplanten Demonstrationen vom Freitag nach Hama, um dem syrischen Volk die Solidarität Amerikas mit den Demonstranten zu demonstrieren. Er besuchte dort unter anderem ein Spital, in dem verletzte Demonstranten lagen.
Das syrische Aussenministerium reagierte mit einem empörten Propagandaaufschrei. Es erklärte, der Botschafter sei ohne Erlaubnis nach Hama gegangen. Und dies trotz der dortigen Strassensperren, "die von den Saboteuren errichtet wurden, um die Bürger daran zu hindern an ihre Arbeit zu gehen". Sein Ziel sei gewesen, mit den bewaffneten Banden Kontakt aufzunehmen und sie weiter gegen die Regierung aufzuhetzen.
Die Bevölkerung weiss, wer diese "bewaffneten Banden" sind. Sie sind in Wirklichkeit die gewaltlos demonstrierende grosse Bevölkerungsmehrheit. Deshalb zeigt die Reaktion des Regimes deutlich, wie hilflos es ist.
Washington zitierte darauf den syrischen Botschafter in den USA ins Aussenministerium und verwarnte ihn. Washington kritisiert scharf die Praktiken der syrischen Botschaft in Washington. Syrische Botschaftsangehörige würden Leute fotografieren, die vor der syrischen Botschaft in Washington gegen das Asad-Regime demonstrieren. So sollten sie und ihre Familien eingeschüchtert werden. Solche Aktionen müssten unverzüglich aufhören, heisst es im amerikanischen Aussenministerium.
Ausgeleierte Politmaschine
Vor diesem Hintergrund soll nun ein Dialog stattfinden. Auf der einen Seite gibt sich Asad als der gute Präsident. Anderseits schiesst der „böse“ Asad-Bruder die Demonstranten nieder. Die wenigsten der wirklichen Oppositionellen, weder jene der "neutralen" Gruppierung noch jene der Strassendemonstrationen, werden auf ein solches Propagandamanöver hereinfallen.
Dass es dennoch aufgezogen wird, kann sich nur zum Nachteil des Regimes auswirken. Ähnlich wie die Angriffe gegen den amerikanischen Botschafter.
Denn es macht den Syrern deutlich, auch jenen, die sich bisher noch nicht vom Regime abgewandt haben, dass die politische und die Propaganda-Maschine, die viele Jahrzehnte lang die Asad-Herrschaft mit einer Aureole der Hoffnung umgaukelte, nur noch knarrt aber nicht mehr verführen kann.