Der Irakkrieg war nicht einfach ein Misserfolg. Zehn Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein durch eine amerikanisch dominierte Intervention habe ich in meinem Beitrag vom 18. März dargelegt, warum die Antwort auf eine erste von drei kritischen Fragen, jene nach der Rechtfertigung des Krieges, grundsätzlich positiv ausfällt.
Zweifelhafte Legalität
Das Gegenteil ist der Fall, was die Antwort auf die zweite Frage, nämlich nach der damaligen Legalität des Krieges, anbelangt. Man erinnert sich allenfalls an den etwas theatralischen Auftritt des französischen Aussenministers Dominique de Villepin im UNO-Sicherheitsrat am 14. Februar 2003, rund einen Monat vor Ausbruch des Krieges. Bis dahin hatte genereller internationaler Konsens geherrscht, dass der Irak weiter und stärker unter Druck gesetzt werden müsse, im Notfall auch durch eine von der UNO autorisierte Militäraktion. Ausdruck davon war die einstimmig angenommene Resolution 1441 von Anfang November 2002, welche die vollständige ABC-Abrüstung des Irak mit «allen nötigen Mitteln» vorsah. Basierend darauf glaubten die USA und Grossbritannien, einen Unbedenklichkeitsstempel der UNO für Einmarsch und gewaltsamen Regimewechsel erhalten zu können.
Dies änderte sich grundlegend mit dem französischen Umschwenken auf eine Antikriegslinie im besagten Auftritt de Villepins mit der durchaus vertretbaren Argumentationslinie, den UNO-Kontrollen der irakischen Abrüstung müsse mehr Zeit gegeben werden, zumal ein Krieg erstens eine Besetzung und einen Wiederaufbau und zweitens auch Konsequenzen in der Region nach sich ziehen würde. Das kam eher überraschend, hatten doch auch die französischen Streitkräfte noch im Januar gewisse Kriegsvorbereitungen getroffen. Dies insbesondere in Absprache mit dem Emirat Katar, welches schon damals militärisch und wirtschaftlich eng mit Paris verzahnt war.
In der Folge reihten sich zahlreiche Staaten, eingeschlossen Russland und China, hinter Frankreich ein, und es wurde offensichtlich, dass weder im Sicherheitsrat und noch in der UNO-Vollversammlung Mehrheiten für eine unmittelbare Intervention zu haben waren.
USA im Dilemma und unter Zugzwang
Dies brachte die USA in beträchtliche Schwierigkeiten. Der militärische Teil des Aufmarsches gegen den Irak hatte schon Jahre zuvor begonnen und war praktisch abgeschlossen. In Kuwait war es schon in den Jahren 2001 und 2002 ein offenes Geheimnis, dass regelmässig massive Lieferungen im damaligen amerikanischen Stützpunkt Doha (kein Zusammenhang mit der katarischen Hauptstadt Doha) unmittelbar nördlich von Kuwait City eintrafen.
Ein Herausschieben des Invasionsdatums hätte die unangenehme Folge gehabt, entweder einen Angriff in der Glutofenhitze des irakischen Sommers zu unternehmen oder den Einmarsch erst für den Winter 2003/2004 vorzusehen. Beides war keine verlockende Alternative für die Zehntausenden von Truppen und ihr Material. Dies umso mehr, als kurzfristig auch die Türkei ihren militärischen Verbündeten USA und UK enge Beschränkungen auferlegte mit Bezug auf Transit von Menschen und Matrial via türkische NATO-Stützpunkte und damit einen Zangenangriff auf den Irak verhinderte.
Dünne völkerrechtliche Grundlage und dilettantische Planung
Entsprechend beschlossen die Alliierten mit einer «Koalition von Entschlossenen» auch ohne ausdrückliche UNO-Genehmigung loszuschlagen; dies unter Berufung auf Resolution 1441. Völkerrechtlich bildete dies wahrscheinlich eine zu dünne Grundlage, da ja im Moment des Kriegsbeginns offensichtlich war, dass eben grade keine Mehrheit dafür bestand, wäre eine Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat erzwungen worden. Mit dem damaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan, wenn auch nicht in dessen im Rückblick ausdrücklicher Form, muss der damalige Kriegsbeginn als «wahrscheinlich illegal» bezeichnet werden.
Die französische Intervention, und speziell de Villepins Inszenierung «à la De Gaulle» wurde, man erinnert sich, auf der anderen Seite des Atlantiks gar nicht goutiert. «Frenchie» wurde in den USA vom Kose- zum Schimpfwort und unschuldige Pommes übernacht von French zu Freedom Fries. Indes hat die Geschichte gezeigt, dass de Villepin insbesondere mit seinen Bedenken zu Verwaltung und Befriedung nach der Invasion Recht hatte.
Es gehört zu den grossen Räseln der Zeitgeschichte, warum die Weltmacht USA so wenig und so falsch vorausplante, wie der von Saddam befreite Irak verwaltet werden sollte. Hybris und Ignoranz einiger entscheidender Verantwortlicher um Präsident George W. Bush herum, wie auch dieser selbst, dürften entscheidend dazu beigetragen haben. Auf Twittermass verkürzt liesse sich also sagen, dass nicht der Krieg, wohl aber seine Durchführung falsch war.
Einschätzung der Ergebnisse: widersprüchlich
Die dritte und entscheidende Frage, ob sich der Krieg gelohnt hat, ist jedenfalls im Moment nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantwortbar. Für beide Positionen gibt es valable Gründe. Mehr Freiheit im Irak von heute als unter Saddam, aber auch mehr Unsicherheit, da staatliche Strukturen, geschweige denn Infrastrukturen lediglich in Ansätzen bestehen. Mehr Rechte und Wohlstand für die von Saddam unterjochten Schiiten, aber nun umgekehrt eindeutige Tendenzen zu einer Diktatur der schiitischen Mehrheit über die sunnitische Minderheit.
Nicht einmal die simple Frage «Geht’s euch nun besser?» an die Iraki selbst scheint sich unzweideutig beantworten zu lassen. Von Ulrich Tilgner im Schweizer Fernsehen quer durch die Medien bis zu Roula Khalaf, der Mittelost-Chefin der Financial Times, sehen und lesen wir aus Anlass des Zehnjahretages ausgezeichnete Portraits, in denen sich die verschiedensten Iraki durchaus unterschiedlich und gelegentlich gegensätzlich zu dieser Frage äussern.
Schicksalsfrage: Beziehungen zwischen Sunni und Schiiten
Eine Konstante zieht sich indes durch alle Antworten und Analysen. Es hat im Irak eine politische Schwergewichtsverschiebung von den Sunni zu den Schiiten stattgefunden, welche sich nicht nur im Lande selbst sondern in der gesamten muslimischen Welt auswirkt.
Die politische Schicksalsfrage für die Zukunft des von Diktatur und dann Krieg schwer geprüften Landes stellt sich vor dem Hintergrund des Zwists zwischen den beiden grossen Strömungen im Islam. Falls sich die gegenwärtig schiitische Regierung dazu aufrafft, die Macht mit den Sunni zu teilen – leider spricht im Moment nicht gerade viel dafür – kann und wird der Irak als Modell gelten. Im umgekehrten Fall sind weitere langjährige Auseinandersetzungen absehbar, auch wieder im Irak selbst. Das gleiche droht im Falle Syriens, wo ein gerechtfertigter Bürgeraufstand gegen ein despotisches Regime im Begriffe ist, in einen Glaubenskrieg abzugleiten und die jeweiligen «Brüder», auf der arabischen Halbinsel für die Sunniten, im Iran für die Schiiten, nur darauf warten, ihr politisches und finanzielles Gewicht ins Spiel zu bringen.
Dazu eine kurze, populärhistorische Nebenbemerkung. Als der christliche Glaube ungefär das gegenwärtige Alter des Islams hatte, standen sich Katholiken und Protestanten ja ebenso unversöhnlich gegenüber wie Sunna und Schia heute. Auch damals wurden bilaterale Auseinandersetzungen schnell zu multilateralen Glaubenskämpfen.
Den «Fluch des Öls» bannen
Die zweite und wirtschaftliche Schicksalsfrage für die Zukunft des Iraks liegt beim ressource course, dem Fluch des grossen und einfachen Geldes für, ja, unverdiente und ohne eigene Anstrengung gewonnene Rohstoffe. Sie können kurzfristig Loyalität, oder zumindest Schweigen erkaufen, längerfristig bringen bringen sie aber Verschwendung, Trägheit, Korruption und Konflikte mit sich, spätestens bei Versiegen der Quellen und/oder internationalem Preiszerfall. Die Ölförderung und damit die entsprechenden Gewinne haben im neuen Irak bereits wieder Rekorde erreicht.
Im fast gänzlich autonomen kurdischen Norden des Iraks scheint ein Modell heranzuwachsen, wie der Fluch gebannt und mit dem Ölgeld ein funktionierendes und prosperierendes Staatswesen aufgebaut werden kann. Es bleibt zu hoffen, dass man sich weiter unten im Zweistromland, um Babylon, wo ja eine der ersten funktionierenden grösseren Gesellschaften der Menschheitsgeschichte lebte, auf diese alten Traditionen besinnt und jene archaischen Stammesgesellschaften, in denen sich Familienclans im vermeintlichen Nullsummenspiel auf ewig bekriegen, endlich hinter sich lässt.