Oder liegt er in drei Särgen - oder in vier? Oder haben die Engländer den Toten geraubt? Auch 190 Jahre nach dem Tod des Kaisers geht die Polemik weiter.
Napoléon ist am 5. Mai 1821 um 17.49 Uhr auf der britischen Insel Sankt Helena gestorben. Am 7. Mai wurde er eingesargt. Im offiziellen Rapport heisst es:
„Heute am 7. Mai 1821 wurde der Leichnam von Kaiser Napoléon in Longwood auf der Insel Sainte-Hélène in einen Blech-Sarg gelegt.“ Dem Toten wurde seine Uniform angezogen. Der Sarg ist mit weissem Satin ausgekleidet. Das Herz wurde in einem silbernen Gefäss verschlossen, das mit dem kaiserlichen Adler geschmückt ist. Diese Urne wurde ebenfalls in den Sarg gegeben. Ebenso ein Gefäss, in dem der Magen aufbewahrt wird. Zudem werden einige Münzen in den Sarg gelegt.
„Dieser erste Sarg“, heisst es in dem Rapport, „wurde unter Anwesenheit von uns zugeschweisst und in einen zweiten Sarg aus Blei gelegt. Auch dieser wurde zugeschweisst und in einen dritten Sarg aus Mahagoni-Holz gestellt“.
Der Mahagoni-Sarg wurde auf dem Feldbett Napoléons aufgebahrt und mit einem violetten samtenen Tuch bedeckt. Darauf wurde der Mantel des Kaisers gelegt, den er seit der Schlacht von Marengo immer getragen hatte.
Unterschrieben wird dieser Rapport von Graf de Montholon, Graf Bertrand, und Marchand.
Also, drei Särge: Im Innersten ein Blechsarg, dann einer aus Blei, dann einer aus Mahagoni.
Doch stimmt das?
1825 erschien ein Buch von Francesco Antommarchi, Napoléons Leibarzt auf Sankt Helena. Er erklärte, Napoléon sei nicht an Magenkrebs, sondern an einem Fieber, das auf der Insel grassierte, gestorben. Er spricht von vier Särgen: Blech, Mahagoni, Blei, Mahagoni. Im Vergleich zum ersten Rapport der Einsargung kommt plötzlich an zweiter Stelle ein Mahagoni-Sarg dazu.
19 Jahre nach dem Tod Napoléons wurde der Sarg (die Särge) auf der Insel Sankt Helena den Franzosen übergeben. Darauf hatten sich die britische und französische Regierung geeinigt.
In Anwesenheit britischer und französischer Persönlichkeiten wurde der Sarg am 15. Oktober 1840 geöffnet. Auch jetzt fand man vier Särge, allerdings in anderer Reihenfolge, als es Antommarchi beschrieben hatte.
Das Protokoll der Exhumierung besagt: In Anwesenheit des Gouverneurs und hoher Militärs wurden die Särge geöffnet. Zunächst der äussere Mahagoni-Sarg. Dann wurde „mit grösster Vorsicht der Bleisarg aufgebrochen. Darin lag ein Holzsarg, der sich in gutem Zustand befand. Man hob den Deckel dieses Holzsargs und stiess auf einen leicht rostigen Eisensarg. Dieser wurde geöffnet. Unter einem Satin-Tuch, das ein Arzt mit grosser Vorsicht entfernte, lag der Leichnam von Napoléon. Seine Gesichtszüge hatten nur wenig gelitten und wurden sofort wiedererkannt“.
Die Ärzte nahmen schnell einige Masse des Toten. Nach zwei Minuten wurde der Eisensarg wieder verschweisst. Er wurde in den Mahagoni-Sarg gestellt und dieser in den Bleisarg, der erneut in einen Bleisarg gestellt wurde. Plötzlich sind es zwei Bleisärge.
Diese werden jetzt in einem fünften Sarg, einem Ebenholz-Sarg, deponiert.
Napoléon hat zwar enormes Leid über Europa gebracht, doch in Frankreich werden vor allem seine positiven Taten gesehen: Er, der die Moderne eingeläutet hat und der Menschheit unter anderem den Code Napoléon vermachte, ist ein Nationalheiligtum. Und um solche schwirren Legenden.
Haben die Protokollführer 1821 einfach einen Sarg vergessen? Waren sie übermüdet oder emotional gestresst, dass sie ein falsches Protokoll schrieben?
Wieso weicht die Reihenfolge der benutzten Särge in den verschiedenen Berichten voneinander ab? Wo kommen die Mahagoni-Särge her? Auf Sankt Helena gibt es kein Mahagoni.
Weshalb sind die Originale einiger britischer Dokumente, die über die Einsargung berichten, unauffindbar?
Napoléon in seinen Särgen wurde 1840 nach Paris überführt und im Invalidendom beigesetzt. Doch ist es wirklich Napoléon, der hier ruht? Haben die Engländer die Leiche gestohlen? Liegt Napoléon in Wirklichkeit in Westminster?
Ist der Tote, der im Invalidendom begraben ist, Cipriani, Napoléons Hausherr auf Sankt Helena? Er starb drei Jahre vor Napoléon. Hat Hudson Lowe, der Wächter Napoléons, den Leichnahm des Kaisers nach England gebracht?
Haben die Ärzte und Diplomaten, die 1840 bei der Exhumierung dabei waren, allesamt gelogen? Weshalb wurde der Sarg damals nur zwei Minuten lang geöffnet?
Es gehört zum Privileg von Königen und Kaisern, dass Verschwörungstheorien um sie kreisen – auch nach dem Tod. Namhafte Historiker sehen wenig Grund, daran zu zweifeln, dass der verbannte Kaiser im Pariser Invalidendom liegt.
(hh)