
Unter dem Trump-Tsunami verändert sich Europa schnell. Die Schweiz verpasst den Anschluss in wichtigen Bereichen. Die Sicherheitspolitik und deren Basis in der Wirtschaft Europas schwenkt von euro-atlantischer zu euro-zentrischer Ausrichtung. Wie Trump zeigt, sind die Risiken der bisherigen engen Verbundenheit mit den USA zu gross.
Diesem grossen Bild schenkt die Schweiz kaum Beachtung. Stattdessen werden die Bilateralen III, ein für unsere Wirtschaft überlebenswichtiger und damit dringend notwendiger Vertrag zur Fortführung der Integration der Schweiz in den europäischen Binnemarkt bereits in kleinste Einzelteile zerlegt, um die mit Inbrunst und noch Jahre intern gestritten werden wird. Wegen einem überholten Neutralitätsdogma und der Schuldenbremse verpasst unterdessen die schweizerische Rüstungsindustrie den internationalen Anschluss. Dies droht damit auch wichtigen Teilen unserer Industrie, welche Präzisionsprodukte mit sogenannter «Dual Use» – sowohl zivile als auch militärische Verwendung möglich – herstellt.
Paneuropäische Verteidigung
Unter Führung der EU wird eine pan-europäische Verteidigung gebaut. Frankreich fühlt sich bestätigt und geht vor. Das Brexit-Grossbritannien und im Schlepptau das Nicht-EU-Mitglied Norwegen ziehen mit, weil sie nicht abgehängt werden wollen. In Deutschland hat sich dieser Wandel, getrieben durch den zukünftigen Kanzler Merz stark beschleunigt, wenn auch die Putin-Freunde auf der extremen Linken ebenso wie ihr rechtsextremes Pendant AfD zu blockieren versuchen. Die Nord- und Ost-EU muss nicht überzeugt werden, dass die Abwehr gegen Russland nötig ist und die EU-Länder im Süden und Westen unseres Kontinents werden mitziehen. Denn auch in Italien und Spanien wollen grosse Rüstungsunternehmen an diesem Jahrzehnt-Projekt teilnehmen.
Die EU ist seit dem Zweiten Weltkrieg und nach dem frühen Misserfolg einer europäischen Verteidigungsunion dem Weg zur primär wirtschaftlichen, aber nicht sicherheitspolitischen Einigung gefolgt. Dies könnte eine Fortsetzung zwar koordinierter, aber einzelstaatlich geführter Verteidigung vermuten lassen. Dem stehen heute zwei gewichtige Tatsachen entgegen. Einmal wird der amerikanische Teil der Nato, eingeschlossen der Nuklearschirm, wie er Westeuropa während des Kalten Krieges beschützt hat, durch Trump relativiert. Was zwangsläufig zur Frage führt, ob und wie die französische «Force de Frappe» europaweit geteilt oder gar mit ihrem britischen Pendant zusammengeführt werden sollte.
Zum Zweiten hat sich die EU mit zentraler Exekutivgewalt in verschiedenen Bereichen, gestützt durch ein demokratisch gewähltes Parlament, bereits so weit entwickelt, dass der Übergang zu einer auch sicherheitspolitischen Union heute nicht mehr am Souveränitätsanspruch der traditionellen Staaten Europas scheitern muss.
Beispielsweise steht konkret bereits ein Zusammenschluss verschiedener nationaler Rüstungsfirmen bevor, oder zumindest von Teilen davon, so die Raumfahrttechnik von Leonardo (Italien), Thales (Frankreich) und Airbus (Europa)
Copernicus
Genau in diesem Bereich sind schweizerische Betriebe hochkompetent. Ihr Einbezug in europäische Grossprojekte steht aber nicht zur Diskussion. Ein Beispiel stellt ein neues, nicht mehr von den USA abhängiges, satellitengestütztes Aufklärungssystem dar, welches vom EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt Andrius Kubilius kürzlich den Medien vorgestellt worden ist. Dabei sagte er wörtlich, dass Norwegen und «hoffentlich auch Grossbritannien» – im Rahmen eines noch unfertigen umfassenden Abkommens – beteiligt würden. Das neue System soll das europäische Erdbeobachtungssystem «Copernicus» beträchtlich erweitern und ergänzen. Dasselbe System Copernicus, das bislang primär zur Wetterbeobachtung und weiteren zivilen Verwendungen gedient hat und damit zum Paradebeispiel wird für den erwähnten «Dual Use».
Schuldenbremse auch hier
Vor einem Jahr hat der Bundesrat beschlossen, dass die Schweiz aus Finanzgründen Copernicus «einstweilen nicht beitreten wolle». Hoch lebe die spezifisch helvetische Schuldenbremse, deren Anwendung Investitionen in die Zukunft verhindert. Dafür werden hierzulande die bereits europaweit tiefsten Staatsschulden abgebaut, als wäre die Schweiz ein Privathaushalt und nicht ein Staatswesen, das routinemässig Anleihen zur Finanzierung von Investitionen aufnimmt. Wie das auch jedes private Unternehmen mit der Ausgabe von Wertpapieren oder via Bankkrediten tut.
Traditionelle Neutralität und der Ukrainekrieg
Seit der Übernahme der EU-Sanktionen gegen Putins Russland im Mai 2022 ist die offizielle Schweiz in kleinen Schritten wieder von dieser offensichtlich nicht ehrlich gemeinten Abkehr von der Neutralität klassischen Zuschnitts zurückgewichen. Die Beispiele reichen über eine weite Palette von Bereichen, wo die Schweiz – als demokratischen und menschenrechtlichen Normen verpflichteter Rechtsstaat – sich mit Hinweis auf «Neutralität» vor ihrer entsprechenden Verantwortung gedrückt hat. So etwa bei Bewilligungen zum freien Entscheid anderer Staaten über die Verwendung von längst aus schweizerischer Produktion geliefertem Kriegsmaterial bis hin zum schnellen und gründlichen Einfrieren von Guthaben des russischen Staates und von Vermögenswerten sanktionierter russischer Staatsangehörigen.
Die Kritik daran aus dem Ausland, ebenso wie die Absetzbewegung potenzieller Käufer von schweizerischem Rüstungsmaterial sind die logischen Folgen. So wie dies von Seiten autoritärer Staaten bei ausländischen Vorhaltungen gang und gäbe ist, hat sich die SVP lautstark über solche «Einmischung in interne Angelegenheiten» empört. Beispielsweise gegenüber einer massvollen Kritik des deutschen Botschafters. Ausgerechnet die SVP, welche sich einerseits als einzige wirkliche Verteidigerin des Heimatlandes darstellt, aber genau dies verhindert mit der von ihr vorbehaltlos unterstützen Neutralitätsinitiative. Welche wegen fehlenden Exporterlösen mit zum Niedergang der gerade in SVP-Stammlanden tief verwurzelten Rüstungsindustrie führen wird.
Dies zu korrigieren ist für die Zukunft der Schweiz wichtiger als die Kontroverse um den zukünftigen Standort der einzig in der Schweiz verbliebenen Grossbank.