Während US-Präsident Donald Trump hyperventiliert, wird in China bereits langsam zum Courant normal übergegangen. Offizielle Zahlen belegen, dass China die Epidemie langsam aber sicher in den Griff bekommt. Am 13. März wurden 80’813 Fälle registriert. 3’167 Menschen starben. Obwohl diese Zahlen eine Mortalitätsrate von etwas über 3,5 Prozent signalisieren, ist die effektive Mortalitätsrate nach Erkenntnissen chinesischer Wissenschaftler wegen der Dunkelziffer von registrierten Fällen bei etwa einem Prozent.
Höhepunkt überschritten
Die chinesische Gesundheitskommission beurteilt die derzeitige Lage wie folgt: „Insgesamt ist der Höhepunkt der aktuellen Epidemie in China überschritten.“ Die Kommunistische Partei Chinas feiert bereits den Sieg des „Volkskrieges“ gegen das Virus. Des Risikos einer zweiten Infektionswelle ist man sich im Reich der Mitte jedoch wohl bewusst. Entsprechende Massnahmen sind im Riesenreich bereits getroffen. Alles in allem hat China im Kampf gegen das neuartige Coronavirus (fast) alles richtig gemacht.
Wirkungsvolle Eindämmungskampagne
Natürlich kam es im Dezember und Anfang Januar zu einigen Verzögerungen, welche die Ausbreitung des Virus begünstigten. Doch die Parteiführung stützte sich danach auf Mediziner und Gesundheitsexperten. Eine gewaltige und wirkungsvolle nationale Mobilisierungs- und Eindämmungskampagne setzte ein. Entgegen den Erwartungen im Westen sind die meisten Chinesinnen und Chinesen mit den drakonischen Massnahmen einverstanden. Mit andern Worten, die Unterstützung des autoritären Systems ist so unter dem Strich nach der Corona-Krise eher gefestigt. Die chinesischen Verzögerungen zu Beginn der Krise freilich sind gering, verglichen mit dem, was in den USA Präsident Trump zu verantworten hat. Zunächst verharmloste Trump, dann beschwichtigte er. Den Rat der Fachleute schlug er in den Wind. Dann erst aus heiterem Himmel die Abschottung der ganzen USA.
Gesamthaft gesehen läuft in ganz China die Wirtschaft wieder langsam, sehr langsam an. Menschen, Maschinen und Roboter arbeiten wieder. Sechzig Prozent der Kleineren und Mittleren Betriebe (KMU), meist in privater Hand, sind wieder eröffnet. Das ist besonders wichtig, weil die KMU das Rückgrat der chinesischen Wirtschaft sind, generieren sie doch 60 Prozent des Brutto-Inlandprodukts, 70 Prozent der Innovationen und 80 Prozent der Arbeitsplätze.
Schwerer Rückschlag
Für Chinas wirtschaftliche Entwicklung ist das erste Quartal 2020 ein schwerer Rückschlag. Chinas Volkswirtschaft wurde für zwei Monate auf nahezu Null heruntergefahren. Geschäfte und Fabriken waren geschlossen, Arbeiter und Angestellte in Quarantäne, Transport- und Reiseverbindungen unterbrochen. Die am Montag (16. März) veröffentlichten Zahlen für die ersten beiden Monate dieses Jahres zeigen eine Volkswirtschaft im freien Fall. Es ist weit schlimmer, als sich das Ökonomen in China und im Westen vorgestellt hatten.
Im Januar und Februar sank die Industrieproduktion im Jahresvergleich um 13,5 Prozent, die Umsätze des Einzelhandels um 20,5 Prozent und die Investitionen um 24,5 Prozent. Das Brutto-Inlandprodukt (GPD) weist mit einem Minus von 13 Prozent im Jahresvergleich eine Rekordzahl aus. Letztmals wurde ein solch negatives Ergebnis am Ende der chaotischen zehn Jahre der „Grossen Proletarischen Kulturrevolution“ 1976 registriert.
Bedrohter Mittelstand
Dem chinesische Mittelstand, vor allem den für die Wirtschaft extrem wichtigen privaten Klein- und Mittelbetrieben, steht das Wasser bis zum Hals. Die meisten haben gerade noch für drei Monate Reserven. Die Pekinger Zentralregierung und die Chinesische Volksbank (Notenbank) haben inzwischen Massnamen zur Stützung der Wirtschaft und der betroffenen Firmen unternommen. Es sind punktuelle und gezielte Eingriffe. Erst nach den Zahlen des ersten Quartals sind allenfalls weitergehende Konjunkturmassnahmen möglich.
Der zunächst noch aufrechterhaltene Optimismus einer raschen Erholung im zweiten Quartal verflüchtigt sich jetzt schnell angesichts der Pandemie auf der ganzen Welt und der drastischen Abschottungsmassnahmen nicht zuletzt von Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich und weiteren europäischen Staaten sowie von der grössten Volkswirtschaft der Welt, Amerika. Die Lieferketten sind gestört oder unterbrochen, der Aussenhandel ist weltweit massiv eingeschränkt und das Vertrauen der Investoren und Konsumenten massiv getrübt. Der Crash an den Börsen weltweit zeigt es.
Einfluss weltweit
Im ökonomischen Konjunkturkalkül gilt es auch zu bedenken, dass Chinas Wirtschaft heute sehr viel wichtiger ist als vor 17 Jahren während der Sars-Epidemie. Damals betrug der Anteil am weltweiten Brutto-Inlandprodukt (GDP) gerade einmal vier Prozent. Heute sind es 18 Prozent. Der Anteil Chinas am weltweiten GDP-Wachstum betrug 2002 18 Prozent, heute sind es 37 Prozent. China im Herzen der globalen Liefer- und der globalen Wertschöpfungskette sowie als Schlüssel-Konsummarkt übt mithin, ungleich früher, einen grossen Einfluss aus.
China-Bashing
Das Verhältnis China–Ausland in einer digitalisierten globalen Welt ist enger, als sich das bislang wohl irgendjemand vorgestellt hat. Nur gemeinsam, so müsste die Corona-Lektion lauten, kann die Krise gelöst werden. Doch davon ist man trotz der Panik weit entfernt. Geopolitisch wird – vor allem von US-Präsident Trump – hoch gepokert, wie wenn nichts gewesen wäre. China-Bashing ist im Westen wieder an der Tagesordnung, auch in der Schweiz. Offenbar können sich Medien, Politiker und assortierte China-Experten einfach nicht vorstellen, dass China aufgrund seiner Kultur und Geschichte einen eigenen Entwicklungsweg geht.
Ökonomen jedenfalls sind derzeit nicht mehr fähig, ihre Prognosen auf den letzten Stand zu bringen, denn der Nachrichten-Zyklus dreht sich so schnell wie noch nie. Ein ähnlicher Wirtschaftsschock wie in China wird sich jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in den USA und Europa – und somit auch in der Schweiz – bald wiederholen. Die ökonomischen Folgen des neuartigen Coronavirus sind härter und tiefer, als sich das Wirtschaftswissenschaftler in Ost und West vorstellen konnten.
Unvermeidbar
Eines jedenfalls ist heute so gut wie gewiss: Eine weltweite Rezession ist nicht mehr zu vermeiden. Der renommierte Wirtschaftsprofessor der Yale-Universität und China-Experte Stephen Roach formuliert es so: „Ich persönlich glaube, dass wir uns jetzt in einer globalen Rezession befinden, wobei der Corona-Schock der Wendepunkt war. Aber bereits zu Beginn des Jahres 2020 hat sich die globale Wirtschaft signifikant verlangsamt.“