Da ist einmal die zunehmende Unlust der führenden Militärmacht USA, nach kostspieligen und weitgehend fehlgeschlagenen Interventionen in Afghanistan und im Irak, sich auf dem globalen Schachbrett an ähnlichen internationalen Brandherden substantiell zu exponieren.
So in Syrien, wo Putin die Rolle des geopolitischen Polizisten glaubt übernehmen zu müssen, offensichtlich ohne sich über potentielle Kollateralschäden für Russland und ihn selbst allzu grosse Gedanken zu machen.
Denn Krieg, nicht im ‘Bruderland’ Ukraine, sondern im islamischen Minenfeld, gepaart mit einer anämischen Wirtschaft, könnte die seit den Zeiten der UdSSR gegen innen und aussen schmalere Machtbasis des Moskauer Zars ins Wanken bringen. Durch die Intervention werden ja auch bisherige russische Brücken verbrannt, so zur dominierenden mittelöstlichen Sunni-Allianz, inklusive der Türkei.
Kopfloser russischer Kraftakt
China seinerseits ergreift die Gelegenheit - wegen der relativ geopolitischen Zurückhaltung der USA -, seine globale Wirtschaftsexpansion mit auch sicherheitspolitisch verwendbarer Infrastruktur zu unterlegen. Dies mit dem Jahrhundertprojekt ‘Neue Seidenstrasse’, welche auf dem Land- (Zentralasien, Iran, Türkei) und dem Seeweg (Strasse von Malakka, Südasien, Afrika, Mittelmeer) Europa enger an das Reich der Mitte binden soll.
Wiewohl durchdachter als der kopflose russische Kraftakt im Mittleren Osten, da mit Diplomatie und nicht mit Waffen vorgebracht, sowie mit sehr viel Geld ausgestattet, sind die Hindernisse beim transkontinentalen Seidenstrassenbau evident. Sie beginnen mit offenem dem Widerstand gegen die chinesische Expansion, so in Indien und Südostasien. Dazu kommt die Kardinalfrage bei der Durchführung: Wer erhält die Profite und wer überwacht die zwar von China bezahlten und gebauten, aber auf fremdem Boden liegenden Strassen, Häfen, Flugplätze und Eisenbahnlinien? Schliesslich führen beide Routen der Seidenstrasse durch politisch instabile Regionen und Länder, sowie via strategisch heikle Knotenpunkte, was Verzögerungen und Unterbrechungen als praktisch sicher erscheinen lassen.
Selbstemanzipation
Warum also nehmen Russland und China so riskante Operationen zum jetzigen Zeitpunkt in Angriff? Dies hat speziell in ihrer eigenen Perspektive viel mit dem zweiten hier diagnostizierten Megatrend zu tun. Es handelt sich um die oft unterbrochene, aber unaufhaltsame Selbstemanzipation jener Teile von Zivilgesellschaften in aller Welt, welche nach wirklichen oder versprochenen Wirtschaftsfortschritten auch mehr politische Mitbestimmung fordern.
Diese Entwicklung fällt je nach unterschiedlicher Geschichte und weltanschaulicher Identität verschiedenartig aus. Der rote Faden, welcher so unterschiedliche Ereignisse verbindet, wie den arabischen Frühling, eingeschlossen der heftigen Gegenreaktionen politischer (Ägypten) und religiöser (IS) Natur, den Versuch zur Entmachtung einer korrupten Regierung in Brasilien, das friedliche Abwürgen eines Militärputsches in Afrika, aber auch zaghafte Reformbestrebungen von oben in Asien, so etwa in Myanmar und Vietnam, ist der Drang zu mehr Freiheit in der Gestaltung des politischen Umfelds. Eine Freiheit, welche über weiteste Teile des Westens grundsätzlich besteht - und manchmal so selbstverständlich erscheint, dass sie gar nicht mehr bewusst wahrgenommen wird.
"Der einzige Weg zu vergangener Grösse"
Autoritäre Regime, welche ihre Machtposition letztlich auf eine ‘Lichtgestalt’ aufbauen, können eine solche Entwicklung aber nur mit grosser Sorge betrachten, da sie den allein selig machenden Anspruch dominierender Strukturen grundsätzlich in Frage stellt. Dies gilt aktuell sowohl für Russland als auch China. Im Falle Putins bedarf dies kaum weiterer Erläuterung. Die Tatsache, dass China zum jetzigen Zeitpunkt sich rasch von einer zurückhaltenden zu einer expandierenden Grossmacht wandelt, ist aber ebenso wenig zufällig. Präsident Xi Jinping wurde zu Beginn seiner Amtszeit als neuer Deng Xiaoping eingestuft, also grundsätzlich ein Reformer. Heute wird der Vergleich mit Mao gezogen, also ein Autokrat, welcher seiner Vision und seinem Machtanspruch alles andere unterordnet.
In beiden Länder, der vermeintlichen Grossmacht Russland und der wirklichen Grossmacht China, ist die Regierung mit ihren ausländischen Abenteuern bestrebt, ihrer eigenen Bevölkerung zu zeigen, dass ihre Art des Regierens den einzigen Weg darstellt, dem eigenen Land vergangene Grösse wieder zu geben. Diese Rechnung dürfte auf mittlere und längere Sicht kaum aufgehen. Soviel sollten uns die - schwierigen, ja kurzfristig oft gar gescheiterten, aber letztlich offensichtlich unaufhaltsamen - demokratischen Regungen und Revolutionen der jüngsten Vergangenheit gelehrt haben.