Führt der Rechtsruck in der EU zu einem Ende des European Green Deal? Tim Guldimann diskutiert mit dem bisherigen Mitglied des Europäischen Parlaments Reinhard Bütikofer und der Bundestagsabgeordneten Chantal Kopf; beide politisieren für die Grünen.
Reinhard Bütikofer meint, vor fünf Jahren habe überall in Europa eine Hochkonjunktur der politischen Diskussion über Klimapolitik geherrscht. «Fridays for Future» habe unglaublich viele, gerade auch junge Leute mobilisiert. Das habe sich geändert. Der Gestaltungsoptimismus, den die Grünen vor fünf Jahren hatten, sei unter dem Druck der Pandemie und des russischen Aggressionskrieges zerbröselt. Sicherheit sei an die Stelle eines Denkens über Aufbruch getreten. Heute gehe es um die Frage, ob in den nächsten fünf Jahren der European Green Deal abgewrackt oder weiterentwickelt werde.
Für Chantal Kopf, die für die Grünen im Bundestag ist, gibt es wenige politische Führungsfiguren, die in Europa eine Orientierung bieten, wie man aus den Krisen heraus in eine bessere Zukunft gelangen kann. Sie sei aber erleichtert, dass der Rechtsrutsch im Europäischen Parlament nicht so massiv ausgefallen ist wie befürchtet.
Für Bütikofer waren die Fehler der Politik und insbesondere der Grünen, dass Deutschland zu sehr immer noch glaube, wir lösen das deutsch. Dabei gehe es darum zu kämpfen, dass wir es europäisch hinkriegen. Zudem könnten die Grünen nicht siegen, wenn der Eindruck entsteht, die Ökologie sei der Feind der Freiheit. Auch sei es ein Fehler zu glauben, das ökologische Denken habe schon die Vorherrschaft erobert.
Kopf meint, man wäre in der Gesellschaft schon weiter, wenn es die Überzeugung gäbe, dass Klimapolitik und Wirtschaftspolitik in die gleiche Richtung laufen. Wie fragil das ist, zeige sich jetzt, wenn der Gewerkschaftsbund sagt: «Klimapolitik gefährdet Arbeitsplätze und überfordert die Gesellschaft.”
Die Grüne Partei brauche, so Kopf, dringend ein Angebot für junge Wähler und Wählerinnnen, weil auch diese das Thema Sicherheit priorisierten. Selbstkritisch meint Bütikofer, seine Partei habe auch Jungwähler, bei denen sie zwei von drei Stimmen verloren haben, vor den Kopf gestossen. Die Leute hätten den Eindruck, die Grünen wollten ihnen eine Klimazukunft aufzwingen, die sie gar nicht wollen. «Wann waren wir zum letzten Mal richtig stark in der öffentlichen Meinung? Als wir fröhlich, einladend, pragmatisch und engagiert rübergekommen sind. Und was ist im Moment das Image, das uns schwächt? Dass wir binnenfixiert, verbissen und ideologisch sind.»
Journal21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.