Was er sagt, hat es in sich. Und der, der es sagt, ist nicht irgendeiner. Er wettert gegen die «internationale Schwulen-Lobby», gegen die Homosexuellen, die «nicht normal» seien, gegen die Feministinnen, die Tierschützer, gegen die illegalen Einwanderer, die «Vergewaltiger par excellence» seien. Den Klimawandel gebe es nicht.
Der Autor solcher Äusserungen war einer der höchstdotierten italienischen Generäle. Anschliessend wurde er Leiter des militärgeografischen Instituts in Florenz. Er ist 55 Jahre alt, heisst Roberto Vannacci und hat ein Buch geschrieben, in dem er seine homophobe, rassistische, frauenfeindliche und sexistische Weltanschauung darlegt. Ein Buch, das jetzt zum meistverkauften Buch in Italien geworden ist. Ein Buch auch, das der rechtspopulistischen italienischen Regierung einigen Ärger beschert.
Nachdem die Ergüsse Vannaccis an die Öffentlichkeit gelangt waren, wurde er vom italienischen Verteidigungsminister von seiner Funktion in Florenz abgesetzt. Das löste innerhalb des regierenden rechtspopulistischen Lagers einen Sturm der Entrüstung aus.
Nerv getroffen
Matteo Salvini, der Chef der xenophoben «Lega» brach sofort eine Lanze für den Ex-General und solidarisierte sich mit ihm. Die beiden führten ein «herzliches Gespräch». So wie Vannacci, sagte Salvini, würden in Italien viele denken.
Für einmal hat er recht.
Man kann das Buch als Spinnerei eines ewig Gestrigen abtun. Doch es trifft in Italien einen Nerv.
Weite Teile der italienischen Gesellschaft, nicht nur abseits der grossen Städte, sind schwulenfeindlich, machohaft und latent rassistisch. Zugegeben, viel hat sich verändert. So outet sich die sozialdemokratische Parteichefin Elly Schlein offen als «bisexuell». Doch viel hat sich eben noch nicht verändert.
Verprügelte Lesben, bespuckte Schwule
Ein Bankdirektor einer grossen italienischen Bank sagt offen: «Ich stelle keine Schwulen an.» Und wenn zwei Homosexuelle Hand in Hand durch Rom spazieren, werden sie angepöbelt. In Viterbo, einer Stadt nördlich von Rom, wurde ein homosexuelles Paar bespuckt. Und das im Jahr 2023. In Neapel wurden zwei lesbische Frauen, die sich näher kamen, von jungen Männern verprügelt. Die soziale Aversion und Feindseligkeit gegenüber Schwulen und Lesben macht auch vor Gebildeten und Intellektuellen nicht halt. Ein uns bekannter Kunstprofessor, Spezialist für das «Risorgimento», sagt: «Wenn ich zwei Schwule sehe, die sich küssen, dreht es mir den Magen um.»
Natürlich mischt da die katholische Kirche, oft als «grösster Schwulenklub der Welt» bezeichnet, kräftig mit. Viele der Priester und Würdenträger verleugnen ihre Neigung und verurteilen das, was sie selbst sind. Die homophobe Haltung der Kirche zeigt abseits der grossen Metropolen noch immer ihre Früchte.
«Verkehrte Welt»
Salvinis Solidaritätsbezeugung für den jetzt geschassten Vannacci hat das Ziel, die konservativen Wählerinnen und Wähler einzusammeln. Sie, die im Geheimen so denken wie Vannacci, aber sich bisher nicht getrauten, sich zu äussern. Viele von ihnen sagen sich wohl: «Endlich sagt es einer, endlich getraut sich einer, gegen den Zeitgeist anzukämpfen, gegen diese verkehrte Welt». «Il mondo al contrario» heisst denn auch das Buch: «Verkehrte Welt».
Salvinis Lega ist Koalitionspartnerin der italienischen Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Seine Partei kann auf etwa zehn Prozent der Wählerinnen und Wähler zählen. Mit seinem Anbiedern an die aus der Zeit gefallenen Wählerschaft versucht er nun, seine Wählerbasis zu erweitern.
Verzopfte Bekenntnisse
Salvinis Manöver stösst auf gemischte Reaktionen. Giorgia Meloni selbst, die in Albanien in den Ferien weilte, hat sich bisher nicht geäussert. Aber offenbar ist sie von Salvinis Vorprellen nicht begeistert. Sie versucht, ihrer Partei, den postfaschistischen «Fratelli d’Italia», ein modernes Image zu verpassen – und jetzt kommt Salvini mit seinen verzopften Bekenntnissen.
Meloni befindet sich in einer schwierigen Lage: Einerseits will sie neue Wählerinnen und Wähler dazugewinnen – und die findet sie nur in gemässigten Kreisen. Anderseits weiss sie, dass sich gerade innerhalb ihrer postfaschistischen Partei viele befinden, die so denken wie Vannacci.
Der erste, der in die Schusslinie der Kritik geriet, war Verteidigungsminister Guido Crosetto, der Vannacci entlassen hatte. Er wurde innerhalb der Partei teils scharf kritisiert. Schon spricht man davon, dass das Buch zu einem Minenfeld für die Regierung und den Verteidigungsminister werden könnte.
«Ich bin kein Monster»
Von den Linken wird Crosetto natürlich gelobt. Das führte zu einer rabiaten Replik von Giovanni Donzelli, einem Abgeordneten der Fratelli d’Italia:
«Es ist nicht Sache der Linken zu entscheiden, was in den Büchern stehen darf und was nicht. In einer liberalen Demokratie ist es nicht die Aufgabe der Politik, die moralische Korrektheit des Inhalts von Schriften zu prüfen.»
Er werde «keine Zeile zurücknehmen», sagt Vannacci. Er sei überzeugt, dass seine Ansichten «von vielen geteilt» würden, sagte er dem Corriere della sera. «Ich bin kein Monster».
«Liebe Homosexuelle, normal seid ihr nicht»
«Vannacci wird zum Bannerträger einer Rechten, die noch rechter ist als die Fratelli d’Italia», schreibt die Römer Zeitung «La Repubblica». Schon hatte die rechtsextreme «Forza Nuova»-Bewegung Vannacci angeboten, sie würde ihn unterstützen, wenn er in Monza bei einer Nachwahl für den Senat kandidieren würde. Es geht um die Neubesetzung des Sitzes, den Berlusconi innehatte. Diese faschistoide Unterstützung war Vannacci dann doch zu viel. Er lehnte ab.
Der Ex-General wettert auch gegen die «Diktatur der Minderheiten». Seine Sprache ist sexistisch und trivial. Er beanspruche «das Recht zu hassen».
«Liebe Homosexuelle, normal seid ihr nicht», schreibt er sarkastisch, «kommt drüber hinweg!» Doch die «internationale Schwulen-Lobby» habe erreicht, dass Homosexualität weitgehend akzeptiert werde.
«Unterdrückung der Normalen»
Und dann: Angriffe auf den Feminismus, auf den Umweltschutz, auf illegale Einwanderer – «Kriminelle und Vergewaltiger par excellence». Und es gebe Leute, die uns glauben machen wollten, dass es keine Rassen gebe. Wir würden in einer «Diktatur der Minderheiten» leben. Neben den Schwulen kritisiert er die «illegalen Einwanderer», die «Tierschützer», die «Marxisten» und den «radikalen Chic». Die «Normalen» müssten unter ihrer «Unterdrückung und ihrem Einfluss» leiden. Von «Heimat, Opfer, Verdienst» sei keine Rede mehr. Und körperliche Merkmale der erfolgreichen italienischen Volleyball-Spielerin, der Italienerin Paola Egonu, Tochter nigerianischer Einwanderer, würden nicht «das Italienische» repräsentieren.
Jene, die in Italien ankommen und «offensichtlich vorgeben, vor Kriegen, Hunger und Verfolgung zu fliehen», müssten «uns für unser Mitgefühl und unsere Grosszügigkeit danken». Stattdessen «verbringen sie in Italien ihre Zeit damit, Verbrechen zu begehen, zu vergewaltigen».
Platz 1 auf der Bestsellerliste
Klimawandel gebe es nicht. Es habe schon immer Klimaschwankungen gegeben. Und: «Die wahren Schuldigen» an der Luftverschmutzung seien die armen Länder. «Da sie hungern und sich nicht um die Regeln scheren, heizen sie notfalls mit dem Verbrennen eines LKW-Reifens.»
Vannaccis Buch ist im Selbstverlag erschienen. Auf der italienischen Bestsellerliste von Amazon befindet es sich auf Platz 1. 94 Prozent der Leserinnen und Leser bezeichnen es als positiv. Ein Leser kommentiert: «Splendido e lucido».
Die linksliberale Repubblica stellt fest: «Der Inhalt des Buches (357 Seiten) ist nicht einmal besonders originell, denn er entspricht voll und ganz der Propaganda und Rhetorik des rechten Flügels, der das Land derzeit regiert.»