Zunächst die Zahlen: 11,5 Millionen Schriftstücke sind aus nur einer Anwaltsfirma in Panama, nur einer der notorischen Geldwaschanlagen, aufgetaucht. Diese Millionen werden uns für Monate im Atem halten; mit weiteren sensationellen Enthüllungen von Prominenten und ihren in Briefkastenfirmen geparkten Vermögen ist zu rechnen.
Jenseits des Vorstellungsvermögens
Stellen wir uns einmal vor, dass alle Anwaltsfirmen von der Art der Mossack-Fonseca in Panama - also auch gewisse Zürcher und Genfer Anwaltsbüros - geknackt würden, an allen einschlägigen Standorten von Briefkastenfirmen, eingeschlossen dem Kanton Zug. Die dabei ans helle Licht der Fiskal- und Justizsonnen gezerrten Daten übersteigen unser Vorstellungsvermögen und wohl auch das von Supercomputern.
Wohl ist weder eine Briefkastenfirma, noch ein Offshore-Konto, noch die Kombination von beidem per se illegal. Aber Panama und die im Zusammenhang mit diesem Datenleck genannten Orte, Finanzintermediäre, Strohmänner und Zuträger befinden sich dort, wo traditionell daran gearbeitet worden ist, „to make it easy to keep a dark secret“, wie die global führende Wirtschaftszeitung , das renommierte englische Finanzblatt Financial Times (FT) in einem Leitartikel schreibt.
Schweizer Grossbanken im Fokus
Die FT spricht dabei gar nicht nur von der Schweiz, sondern ebenso von einer Allianz grösserer Staaten, eingeschlossen Grossbritanniens, welche gegenüber den Briefkastenbetreibern und ihrer Klientel bislang „unheilige Toleranz“ geübt hätten. Aber sie schreibt eben auch von der Schweiz und dem internationalen Druck, der zur Aufgabe des schweizerischen Bankgeheimnisses geführt habe.
Und sie betont, dass die zwei schweizerischen Grossbanken als Nummer 2 und 3 der Bankenverbindungen von Briefkastenfirmen-Betreibern in Panama genannt worden sind. Nr. 1 ist übrigens die britische HSBC, deren Genfer Filiale bekanntlich entscheidend mit zum endgültigen Sturz des schweizerischen Denkmals Bankgeheimnis beigetragen hat.
Verniedlichung und Verdrängung
Wie dort demonstriert worden war, gelten die schweizerischen Regeln nicht nur für schweizerische Banken in der Schweiz und im Ausland, sondern ebenso für ausländische Banken in der Schweiz. Dies hat offensichtlich die schweizerische Filiale der Gazprom-Bank nicht verinnerlicht, nahm sie doch sehr hohe Summen vom besten Jugendfreund Putins an, welche kaum mit dessen Cello erspielt worden sind. Diese flossen via eine andere russische Bank mit Hilfe eines Zürcher Anwaltsbüros nach Panama.
Angesichts solcher Machenschaften und weiterer Transfers von Genfer Anwälten nach Panama zugunsten notorisch korrupter Politiker beziehungsweise deren Familien in Afrika und China hat der Präsident der schweizerischen „Selbstregulierungsorganisation“ solcher Finanzintermediäre die Frechheit, vor den Medien von gesamthaft „doch funktionierenden Regeln“ zu schwadronieren.
Verniedlichung also, aber auch Verdrängung: Die zweite Verteidigungslinie wird um das Kleinkindargument „ich nöd, er au“ gezogen. Die bösen Amerikaner, welche ja bekanntlich hinter allem vergangenen und aktuellen Druck auf den schweizerischen Finanzplatz stecken, hätten den meisten Dreck am Stecken, da Bundesstaaten wie Delaware, Nevada und Wyoming Briefkastenfirmen zulassen würden.
Die Ausrede "Neutralität"
Dies stimmt grundsätzlich und erklärt, warum nur wenige Amerikaner in den Panama-Papers auftauchen. Aber erstens wird die nun sehr wahrscheinlich anrollende Regulierungswelle im Nichtbanken-Finanzsektor auch inneramerikanische Auswirkungen haben, und zweitens ist die Schweiz nun einmal nicht Amerika. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf Grösse und Macht, sondern auch im Bezug auf die fehlende Präsenz der Schweiz in der grossen Politik. Was innerschweizerisch als Tugend gilt, so etwa fehlendes sicherheitspolitisches Engagement auf internationaler Ebene, beschönigend mit „Neutralität“ umschrieben, sieht man im Ausland als mangelnde Solidarität im Blick auf die Verteidigung westlicher Werte.
Die Panama-Papers und ähnliche Enthüllungen werden zunächst nur skandalpolitisch, dann aber auf der Ebene internationaler Bestrebungen zur weiteren Abdichtung von Steuerschlupflöcher Auswirkungen haben. Am Schluss dieses Prozesses werden der schweizerische Finanzplatz und ganz sicher das Ansehen des Landes einmal mehr Schaden genommen haben - wie dies die Geschichte von aussichtsloser Verteidigung und schliesslich ohnmächtiger Aufgabe des Bankgeheimnisses gezeigt hat.
Und was tut die Schweiz, in der soeben der zweite schweizerische Fifa-Präsident von einer Schweizer (!) Strafklage wegen Korruption eingeholt worden ist? Man vergnügt sich mit der Einführung einer neuen 50-Franken-Note, und unser famoser Finanzminister schweigt. So wie unser Bundespräsident, der ja eigene Erfahrung mit Offshore-Briefkastenfirmen hat.