Hier die Erfahrungen eines treuen Spenders, der aus naheliegenden Gründen nicht länger angeschrieben werden wollte.
Als er immer deutlicher erkannte, dass sein Leben zeitlich begrenzt war, wollte Roland B. (Name der Redaktion bekannt) nicht nur seine Hinterlassenschaft geregelt wissen, sondern auch sonst einiges in Ordnung bringen, um den Hinterbliebenen die Beschäftigung mit allerhand Kleinkram zu ersparen. So setzte er, von der letzten gesundheitlichen Attacke halbwegs genesen, ein Schreiben auf, in dem er die Empfänger bat, ihn per sofort von ihren Mailing- und Adresslisten zu streichen, ihm aber gleichwohl noch drei Einzahlungsscheine für die möglicherweise verbleibende Zeit zuzustellen. Dieses Schreiben, im Wortlaut identisch, ging an mehr als ein Dutzend Hilfswerke, die Roland B. in seinen letzten Lebensjahren regelmässig unterstützt hatte. Wo immer möglich, war es an eine bestimmte Person gerichtet, in der Regel die, die zuletzt namentlich um Hilfe gebeten oder sich für seine Hilfe bedankt hatte.
Drei der Angeschriebenen – die Hilfswerke Caritas, Medico International Schweiz und Solidar Suisse – antworteten mit einem persönlichen Brief, in dem sie ihr Verständnis bekundeten für die besondere Situation des Roland B. und sich gleichzeitig für die jahrelange Unterstützung bedankten. Zwei der Hilfswerke – Helvetas und Terre des Hommes Basel – reagierten auf den Brief überhaupt nicht, als ob sie gar nicht existierten, auch wenn die Spenden an sie über all die Jahre ja wohl irgendwo angekommen sein mussten. Dafür meldeten sich in der fraglichen Zeit aber neue, Roland B. bisher unbekannte Hilfswerke – so die „Tierärzte im Einsatz“ und eine „Stiftung für Menschen mit seltenen Krankheiten“ –, was ihn einmal mehr in seinem Verdacht bestärkte, mit den Adressen von Hilfswilligen werde ein flotter Handel betrieben. Die Reaktion der Schweizerischen Flüchtlingshilfe hatte derweil schon fast satirische Qualität: Sie schickte umgehend eine „Persönliche Einladung“ zu einer Informationsveranstaltung mit dem Titel „Erbfolge, Vorsorgeauftrag und Patientenverfügung geregelt – ein gutes Gefühl“ und verschaffte sich damit wohl selber das gute Gefühl, die eventuelle Teilhabe an einer möglichen Hinterlassenschaft gerade noch rechtzeitig aufgegleist zu haben.
Die übrigen acht Hilfswerke – und damit die Mehrheit der von Roland B. angeschriebenen – beschränkten sich auf eine Antwort im distanzierten Ton eines unpersönlichen Geschäftsbriefes: „Wir danken für Ihr Schreiben vom ... und lassen Ihnen in der Beilage wunschgemäss gerne drei Einzahlungsscheine zukommen.“ Die waren dann in ihrer Mehrzahl unadressiert, also ohne die bei regelmässigen Spendern üblicherweise vorgedruckte Adresse des Einzahlers, und lauteten zudem mehrheitlich auf ein anderes Bankkonto als das, das Roland B. bisher jeweils bedient hatte.
Spätestens jetzt realisierte Gönner Roland B., dass er selbst als regelmässiger Spender den Hilfswerken im Grunde mindestens so egal war wie die Hilfsbedürftigen in aller Welt wohl der Mehrheit der potenziellen Spender und Spenderinnen und dass viele Hilfswerke offenbar vollauf damit ausgelastet sind, Nebenkosten zu sparen und auf diese Weise den eigenen Umsatz zu optimieren.