Putin befindet sich in einer irrationalen Parallelwelt. Wie wird sich China nun verhalten? Im schlimmsten Fall kommt es zum globalen Konflikt. Aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts kennt man das Beispiel eines verrückt gewordenen Autokraten, der grundlos einen Konflikt lostritt, der zur globalen Katastrophe führt. Das bis vor kurzem Undenkbare, einen grossen Krieg in Europa, hat Putin (der «verrückte Vladimir») mit der Invasion der gesamten Ukraine bereits ausgelöst.
Ob Putin «nur» eine Einnahme Kiews und die Einsetzung einer ukrainischen Marionettenregierung vorhat oder gleich eine dauernde Besetzung des ganzen Landes mit russischen Truppen, ist unerheblich; er hat seit Donnerstagmorgen eine Grenze normalen Verhaltens in den internationalen Beziehungen unter zivilisierten Nationen bereits überschritten.
Harte Sanktionen
Die härtesten möglichen Sanktionen des Westens, aber unter der Grenze militärischer Gegenmassnahmen, werden folgen. Diesen werden alle westlichen Demokratien nachzuleben haben, eingeschlossen die Schweiz. Weil erstens für einen Rechtsstaat nichts anderes möglich ist und zweitens ein Ausscheren wichtiger Wirtschaftsakteure – und dazu gehört die Schweiz – aus der westlichen Front kaum geduldet werden wird.
Ob solche harten Sanktionen Putin vom Schlimmsten abhalten werden ist ungewiss. Zusammen mit gezielten Massnahmen gegen den innersten Zirkel von Putin und deren Familien – Blockierung von Konten, Beschlagnahmung von Grundstückbesitz, Enteignung von Beteiligungen an westlichen Firmen – und härterem als im Kreml geplantem Widerstand der ukrainischen Armee, könnte mittelfristig aber das gesamte «System Putin» ins Wanken kommen. Unmittelbar wird es also darum gehen, die Sanktionen möglichst lückenlos durchzusetzen.
China als Schlüssel
Dazu ist China der Schlüssel. Ob es Absprachen gegeben hat zwischen Peking und Moskau, bis zum Ende der Olympischen Spiele mit der Invasion der Ukraine zuzuwarten, bleibe dahingestellt. Entscheidend wird sein, ob Putin eine Art grünes Licht von China erhalten hat, die Invasion im Namen der «Heimholung» von eigenem Territorium ins russische Reich durchzuführen. Ein grünes Licht, das Russland erlauben würde, westliche Sanktionen mit Hilfe chinesischer Lieferungen abzufedern, bezahlt mit Rohstoffen, welche nicht mehr in den Westen geliefert werden können.
Laut direkten Informationen eines Teilnehmers an der kürzlichen Sicherheitstagung in München war dies die entscheidende Frage, welche sich deren westliche Teilnehmern gestellt hat. Der chinesische Aussenminister Wang Yi war zusammen mit im chinesischen System für die Aussenpolitik noch wichtigeren Akteuren in München anwesend und hat eine erste, typisch indirekte Antwort erteilt.
Pekings Dilemma
Diese Antwort fiel in westlicher Optik relativ beruhigend aus. Yi erwähnte die traditionelle Haltung Pekings, dass nationale Souveränität unantastbar sei und deren Verletzung nicht zugelassen werden könne. Ob dies für China auch für den aktuellen Fall der Ukraine gilt, ist ungewiss. Es wird nun abzuwarten sein, welcher Seite sich Peking zuschlägt in den kommenden Diskussionen im Uno-Sicherheitsrat, wo Sanktionen gegen Russland das Hauptthema sein werden.
Ebenso möglich ist leider nicht nur eine Duldung von Putins Aggression durch China, sondern auch das Ausnutzen einer in den Augen von Xi Jinping einmaligen Gelegenheit, im Schatten der westlichen Auseinandersetzung mit der Ukrainekrise seinen längst öffentlich gemachten Forderungen und Ansprüchen weiteren militärischen Nachdruck zu verschaffen. Dies gilt ebenso für den völkerrechtswidrigen chinesischen Ausgriff auf das süd- und ostchinesische Meer als auch – und noch gravierender – für Taiwan.
Sollte Peking tatsächlich militärisch, auch unter der Grenze einer vollen Invasion, gegen den Inselstaat vorgehen, wären wir definitiv bei einem globalen Konflikt angelangt. Auch wenn, wie im Falle der Ukraine und der NATO, die amerikanische Beistandspflicht gegenüber Taiwan nicht vertraglich verankert ist, könnte Washington, aber auch die militärische Regionalmacht Japan einem militärischen chinesischen Vorgehen gegen Taipeh nicht tatenlos zusehen.