Unklar ist, wie sich unser Land – über humanitäre Hilfe hinaus – in der Ukraine engagieren will. Die Schweiz hätte ein wichtiges finanzpolitisches Mittel, um dem bedrohten Land zu helfen.
Für die Ukraine ebenso wichtig wie Waffen, um sich gegen Putins Russland zu verteidigen, ist Geld, um die eigene Wirtschaft trotz des Krieges am Laufen zu halten. Dieses kann nur vom westlichen Ausland kommen, damit auch der Schweiz. Die SDR («Special Drawing Right», Sonderziehungsrechte im Rahmen des Internationalen Währungsfonds IWF) sind dafür geeignet – ohne Staatsverschuldung der Schweiz.
Die Wirtschaftsprobleme der Ukraine sind enorm, was für ein Land, das im Krieg steht, nicht erstaunt. Die traditionellen Hauptexportgüter werden zu einem grossen Teil nicht mehr exportiert: Getreide, weil Anbau und auch Export zu einem guten Teil kriegsbedingt nicht mehr möglich sind. Ferner: Eisen und Stahl, weil die Produktionsstätten im Osten zerstört sind und Energie für die Produktion nur teuer auf dem Landweg eingeführt werden kann.
Rund ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung hat die Stelle verloren; jüngere Ukrainer stehen im Feld und sind damit nicht produktiv tätig. Vorhandene Budgetmittel müssen für das Militär und für minimale Sozialaufgaben verwendet werden. Weder Reparaturen noch Investitionen sind möglich.
Wiederaufbau?
Anfang Juli hatte in Lugano die erste internationale Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine stattgefunden – unlängst die zweite solche Konferenz in Berlin. Bundespräsident Cassis hat bei beiden die Schweiz prominent vertreten, ohne dass klar geworden ist, wie sich unser Land über übliche humanitäre Hilfe hinaus engagieren will. Für den Wiederaufbau müssen internationale Strukturen aufgebaut werden. Die Rede ist von einem neuen Marshallplan einschliesslich von Kontrollen der Mittelverwendung.
Kurzfristige Bedürfnisse
Kriegsbedingt steht im Moment der langfristige Wiederaufbau nicht im Vordergrund. Zuerst geht es jetzt um die Befriedigung kurzfristiger Bedürfnisse eines Landes, welches nicht nur um seine Existenz und territoriale Unversehrtheit kämpft, sondern gleichzeitig grundlegende Werte verteidigt, welche auch für uns zentral sind. Damit ist der Westen, speziell Europa, also auch die Schweiz, aufgerufen, der Ukraine jetzt beizustehen.
Wohl ist im Rahmen des Ukrainekrieges eine breite Diskussion über eine zeitgemässe Neutralität der Schweiz entbrannt. Direkte und im Moment auch indirekte Lieferung von Kriegsmaterial will Bern aber nicht zulassen.
Wenn nicht mit Waffen, müssen wir der Ukraine eben mit Geld beistehen.
Dutzende von Milliarden werden unmittelbar benötigt. Der ukrainische Premierminister Denis Shmyhal sprach kürzlich von einem «Winterpaket» von rund 20 Mia. $, allein, um die ukrainische Bevölkerung vor den grössten Entbehrungen des ersten Kriegswinters zu schützen. In der Zahlungsbilanz des Landes fehlen zudem rund 5 Mia. $ pro Monat.
Ukrainerinnen und Ukrainer tun bereits, was sie können, um den eigenen Staat zu unterstützen. Seit Kriegsbeginn hat das Finanzministerium Kriegsanleihen von über 15 Mia. $ verkauft. Dies heizt allerdings die Inflation an, die bereits bei rund 25% steht und deren weiterer Anstieg voll auf die Bevölkerung zurückfällt.
Geld aus dem westlichen Ausland
Benötigt werden also Gelder aus dem Ausland. Diese können einzelne Staaten oder die EU der Ukraine zur Verfügung stellen. Oder: Von zentraler Bedeutung sind Gelder des Internationalen Währungsfonds IWF.
Basierend auf dem Währungshilfegesetz von 2004 hat die Schweiz, beziehungsweise die Schweizerische Nationalbank SNB, der Ukraine bereits vor Jahren eine bilaterale Kreditlinie von 200 Mio. Franken gewährt, wovon 2017 100 Mio. gezogen, allerdings wegen des damals hohen Zinssatzes von 3% bald wieder zurückgezahlt worden sind.
Der IWF und seine SDR
Bereits in den 60er Jahren hat der Internationale Währungsfonds IWF, dem die Schweiz voll angehört und in dem wir als wichtiges Währungsland einen Direktorenposten innehalten, eine heute als «digitale Reserve» zu bezeichnende monetäre Einheit geschaffen. Diese ergänzt die Reserven der einzelnen Zentralbanken und soll zum Einsatz kommen, um die Schwächsten zu stützen sowie das monetäre Gesamtsystem zu stabilisieren.
Das sind die Sonderziehungsrechte SDR, welche periodisch und auf Beschluss aller IWF-Mitgliedsländer verteilt und diesen gemäss der Bedeutung ihrer Wirtschaftskraft zugesprochen werden. Die Schweiz hält heute am Sitz des IWF rund 9 Mia. SDR, was rund 11,5 Mia. Franken entspricht. SDR sind keine frei handelbare Währungen, sondern können von einem SDR-Kreditnehmer in Hartwährung von Seiten eines SDR-Kreditgebers umgewandelt werden. Die SDR sind im Gegensatz zu den üblichen Krediten des IWF mit keinerlei Konditionen für den Schuldner verbunden.
Dies alles neben den bekannten Hilfspaketen des IWF – mit Konditionen und Zinsen verbunden – für von Zahlungsunfähigkeit bedrohte Mitgliedstaaten. Ein solches Paket für die Ukraine ist im Moment in Ausarbeitung, wird aber nicht ausreichen. Damit sind innovative Lösungen gefragt.
SDR Channeling
Solche bestehen bereits innerhalb des IWF: SDR können übertragen werden, was als «SDR channeling» bezeichnet wird. Damit kann ein Mitglied die Menge seiner eigenen SDR, also seiner Notreserve beim IWF, dramatisch erhöhen. Technisch ist dieser auf den ersten Blick einfach erscheinende Vorgang alles andere als einfach und nur für Experten ohne weiteres einsehbar. Es genügt allerdings zu wissen, dass via Hilfsvehikel im Rahmen des IWF solche Übertragung möglich ist; Deutschland, Kanada und die Niederlande haben dies bereits zu Gunsten der Ukraine getan. Diese profitiert sehr direkt für kriegsbedingte Notfinanzierung, welche rasch ausbezahlt wird.
Die Schweiz könnte ebenfalls so vorgehen. Höhere Beträge in der Reservewährung SDR stehen, wie erwähnt, zur Verfügung, welche aller Voraussicht nach von uns nie gebraucht werden, da trotz kürzlicher Verluste der SNB auf ihrem Anlagevermögen die schweizerische Staatsverschuldung im internationalen Vergleich sehr tief liegt und der Schweizer Franken zu den weltweit härtesten Währungen gehört
Yes we can!
Dieser notwendigen und für die Schweiz nicht «budgetrelevanten» (also keine weitere Staatsverschuldung) Lösung stehen international die Türen weit offen. Sie würde nicht nur von der Ukraine, sondern zweifelsohne auch von der EU als europafreundliche Geste der Schweiz gewürdigt, was angesichts der gegenwärtigen Zerrüttung des bilateralen Verhältnisses zwischen Bern und Brüssel nicht unwillkommen wäre.
Intern dürften konservative, währungstechnische und auch rechtliche Mahnfinger erhoben werden gegenüber einer Aktion, welche tatsächlich einzigartig, aber angesichts der fortdauernden russischen Aggression gegenüber der Ukraine dringend und notwendig erscheint. Dem Finanzminister, der SNB und letztlich dem Bundesrat ist zuzurufen: «Yes, we can!» – wenn nötig auch mit Notrecht und später folgender Parlamentsdebatte. Der Ukrainekrieg geht weiter, ohne auf den Gang der eidgenössische Gesetzesmühle Rücksicht zu nehmen.