Im Dezember letzten Jahres rechnete mir Caritas Schweiz vor, dass in Ostafrika 13 Millionen Menschen hungern. Médecins Sans Frontières Suisse informierte mich eingehend über den Stand der Neonatologie in Afrika, das Schweizerische Rote Kreuz über den der Augenmedizin in Ghana, und Solidar Suisse richtete meine Aufmerksamkeit auf die häusliche Gewalt im Norden Nicaraguas.
An Weihnachten mindestens will man auf der richtigen Seite stehen. Amnesty International wollte sich auch in meinem Namen für die Freilassung und den Schutz bedrohter Menschen einsetzen. Greenpeace versprach, auch weiterhin „gewaltlos und kreativ gegen die zerstörerischen Handlungen von Wirtschaft und Politik vorzugehen“. Das IKRK wiederum bat mich, ihm bei seiner Hilfe an vertriebene Familien beizustehen, und Helvetas lud mich ein, eine Wasser-Patenschaft zu übernehmen und mit einer regelmässigen Überweisung einer Familie zu sauberem Trinkwasser zu verhelfen.
Gleichzeitig meldeten sich auch die Bedürftigen in der Heimat. Die Schweizer Patenschaft für Berggemeinden lenkte meinen Blick „auf die Menschen im Alpenraum, wo härtere Lebensbedingungen herrschen“, während die Stiftung Bergwaldprojekt mich lehren wollte, „in Zeiträumen der Bäume zu denken“. Da traf es sich ausgezeichnet, dass Pro Longo Mai gerade jetzt um Beistand bei der Rettung eines Waldstückes bat.
Listenplatz im Testament
Die einschlägigen Hilfswerke, gemeinnützigen Zirkel und humanitären Organisationen müllten mir also mit ihren Bettelbriefen, Zeitschriften, Kalendern, Agenden, Glückwunschkarten und allerhand unverlangtem Schnickschnack letzten Dezember den Briefkasten förmlich zu. Neu dabei war, dass ich in der Tonalität mancher Schreiben eine eher unangenehme Aufdringlichkeit auszumachen glaubte. Jedenfalls luden die einen ziemlich ultimativ zu Patenschaften mit horrenden Jahresbeiträgen ein, während sich andere schon mal ungeniert um einen aussichtsreichen Listenplatz in meinem demnächst wohl eh fälligen Testament bewarben.
Das alles wurde mir ein bisschen zu viel. Also verfasste ich meinen ganz persönlichen Bettelbrief und schlug Hilfswerken und allerhand Institutionen vor, mich fortan mit ihrem mehrmaligen jährlichen Aussand zu verschonen und mir stattdessen einfachheitshalber einmal im Jahr einen Einzahlungsschein zu senden. So könnte ich sie weiterhin berücksichtigen, während sie andernfalls Gefahr liefen, eines Tages die gesammelte Bettelpost unfrankiert refüsiert zu bekommen. Meinen Vorschlag richtete ich direkt an die jeweiligen Präsidentinnen oder Geschäftsleiter, die mir durch ihren regelmässigen Auftritt inzwischen namentlich bekannt und dank des Fotos, das oft ihre Schreiben ziert, schon fast persönlich vertraut waren.
Das IKRK am Telefon
Der Brief ging an ein Dutzend Adressen. Keine 24 Stunden später hatte ich das IKRK in Genf am Telefon, das damit seinem Ruf, auch in heiklen Situationen unverzüglich zu handeln, alle Ehre machte. Anni Feldmann, Assistentin der Spendenabteilung, versprach: „Sie werden in Zukunft höchstens noch zweimal im Jahr Post von uns bekommen – einmal einen Brief samt Einzahlungsschein und im Februar dann die reguläre Spendenbestätigung.“
Innerhalb von zehn Tagen meldete sich der Grossteil der Angeschriebenen, alle sehr verbindlich und kooperativ. Dank meiner letztjährigen Aktion Bettelbriefe bleibe ich künftig also von der üblichen Flut von Spendenbegehren verschont. Glaubte ich mindestens bis vor ein paar Tagen. Dann aber realisierte ich, dass inzwischen fünf meiner Hilfswerke meine E-Mail-Adresse entdeckt haben. Jetzt fängt das Ganze von vorne an.